Am 18. Juni 2015 durfte die CDU/CSU-Bundestagsfraktion der Öffentlichkeit verkünden, zu welcher Einigung auf Kosten von Sexarbeiter/innen sich das SPD-geführte Familienministerium bereitgefunden hat. Sinnigerweise ist der frauenpolitische Sprecher der CDU/CSU ein Mann. Das passt. Auch wenn dieser Sprecher, ein Herr Weinberg, von einer Nadine Schön assistiert wird: Mit dem Schön-Reden einer durch und durch repressiven Reform der Prostitutionsgesetzgebung klappt es noch nicht.
Denn die Verkündung der Einigung in ihren Grundzügen – Details werden nach wie vor nicht preisgegeben – ist eine einzige Aneinanderreihung von Lügen und Verdrehungen.
Lüge Nr. 1
„Das Prostituiertenschutzgesetz kommt“
Tatsache ist: Registrieren von Sexarbeiter/innen und Hurenpässe schützen niemanden. Derartige Maßnahmen dienen einzig und allein der Kontrolle und Rundum-Überwachung der Betroffenen. Es handelt sich mithin nicht um ein Prostituierten“schutz“gesetz, sondern um ein Prostituierten“kontroll“gesetz.
Lüge Nr. 2
„Zeit der uferlosen Ausbeutung in der Prostitution ist vorbei“
Tatsache ist: Zuletzt, im Jahr 2013, gab es bundesweit 35 Fälle von Ausbeutung von Prostituierten“, verurteilt wurden nach diesem Delikt 2012: 2 Personen, 2011 und 2010: jeweils 1 Person pro Jahr. So die offizielle polizeiliche Kriminalstatistik. Statt „uferlose Ausbeutung“ haben wir es mit grenzenloser Demagogie der Christen von CDU/CSU zu tun.
Lüge Nr. 3
Ein Gesetzentwurf, „der es mit dem Schutz der Prostituierten vor Fremdbestimmung ernst meint“.
Tatsache ist: Ein Gesetz, dass – im Unterschied zu allen anderen Berufsgruppen –
eine Registrierungs- und Beratungspflicht für Sexarbeiter/innen vorsieht, dass eine Pflicht zum Mitführen eines „Nachweisdokuments“ vorsieht, dass eine Pflicht vorsieht, dieses Nachweisdokument von Polizei und Bordellbetreibern kontrollieren zu lassen, dass die Pflicht festschreibt, sich jederzeitigen verdachtsunabhängigen Kontrollen zu unterwerfen sowie vorsieht, sich bereits ab 1 Person in der Wohnungsprostitution einer Erlaubnispflicht zu unterwerfen inklusive der Pflicht, sich einer Zuverlässigkeitsprüfung zu unterziehen – ein solches Gesetz schützt nicht vor Fremdbestimmung, es ist der konzentrierte Ausdruck von Fremdbestimmung.
Lüge Nr. 4
Die Neuregelung des Prostitutionsmarktes erfolgt, „da das rot-grüne Prostitutionsgesetz von 2002 in der Praxis gescheitert ist“.
Tatsache ist: Die Halbherzigkeit des Prostitutionsgesetzes von 2002 wird nur zum billigen Vorwand genommen für die Behauptung, eine Neuregelung des Prostitutionsmarktes sei erforderlich. Das ist aber nach Lage der Fakten nachweislich falsch. Denn das Kernstück der gegenwärtigen Prostitutionsgesetzgebung – die Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten – ist ein langfristiges Projekt des Bundeskriminalamts aus dem Jahre 1993 – als es das Prostitutionsgesetz noch gar nicht gab! Konzipiert zum Zwecke der Migrations- und Prostitutionsbekämpfung, wurde die Konzessionierungs-Idee unter Rot-Grün zeitweilig zurückgestellt. Sie wurde 2006 – noch vor der Evaluation des Prostitutionsgesetzes! – vom BKA wieder aus der Schublade geholt und von der damaligen Familienministerin von der Leyen der Öffentlichkeit aufgetischt. Das Prostitutionsgesetz von 2002 ist zweifellos kritikwürdig – aber sein Scheitern ist zweifellos nicht der Grund für die gegenwärtige Neureglementierung von Prostitution, wie es die CDU/CSU glauben machen will.
Lüge Nr. 5
Man wolle „der Organisierten Kriminalität weniger Spielraum“ lassen
Tatsache ist: Entgegen den Behauptungen der CDU/CSU existiert für die Annahme organisierter Kriminalität im Prostitutionsgewerbe kein Beweis. Ausgerechnet eine Studie des BKA (Eric Minthe, Anette Herz, „Straftatbestand Menschenhandel, 2006) belegte das genaue Gegenteil: Von 49 analysierten Menschenhandels-Verfahren wurden im polizeilichen Ermittlungsbericht lediglich 5 Verfahren (12,2 %) als „OK“ bewertet. Auf der Ebene der Anklage wurde jedoch nur noch in 1 Fall an dieser Bewertung festgehalten. „In keinem Urteil konnte hingegen eine Bewertung als OK festgestellt werden.“ Noch deutlicher lagen die Dinge bei den 91 von Annette Herz analysierten Strafverfahren. Lediglich in 1 Verfahren erfolgte eine Bewertung als OK (1 %). „Auf staatsanwaltschaftlicher und richterlicher Ebene gab es indes keine einzige entsprechende Einstufung.“
Hinzu kommt: Seit gut 20 Jahren liegt das Täter-Opfer-Verhältnis bei „Menschenhandel“ laut Polizeilicher Kriminalstatistik bei 1:1: Das ist alles, nur kein Beleg für „organisierte Kriminalität“. Zu Recht sprach das BKA 2011 davon, dass das von diesem Kriminalitätsbereich ausgehende Gefährdungspotenzial ‚begrenzt‘ sei.“ (Antwort des Bundesinnenministeriums auf die Anfrage BT-Drucksache 17/12291, S. 3)
Lüge Nr. 6
Das neue Prostitutionsgesetz gebe es nicht wegen der selbstbestimmt tätigen Prostituierten, sondern „für diejenigen, die fremdbestimmt diese Arbeit ausüben.“
Tatsache ist: Dass das geplante Prostitutionsgesetz für diejenigen gemacht werde, die „fremdbestimmt“ der Prostitution nachgehen, ist ein schlechter Scherz. „Fremdbestimmung“ ist völlig unbestimmt. Es ist kein Rechtsbegriff, sondern ein dehnbarer Plastikbegriff, um insbesondere Prostitutionsmigrantinnen, die aus wirtschaftliche Erwägungen der Prostitution nachgehen, nachzusagen, sie seien „Opfer von Menschenhandel“ oder „Zwangsprostituierte“. Das sichert nicht ihre Berufsausübung, sondern im Zweifel ihre Abschiebung.
Das geplante Gesetz ist weder für „selbstbestimmt“, noch für angeblich „fremdbestimmt“ tätige Sexarbeiter/innen gemacht. Es richtet sich gegen alle Sexarbeiter/innen. Die Differenzierung der CDU/CSU ist ein durchsichtiges Manöver zur Spaltung von Sexarbeiter/innen, um das neue Gesetz mit weniger öffentlichem Widerstand durchsetzen zu können.
Lüge Nr. 7
Die Gruppe der 18- bis 20-jährigen Sexarbeiter/innen müsse sich engmaschiger melden, „damit sie im direkten Kontakt mit den Behörden Hilfe bekommt, wenn sie sie braucht.“
Tatsache ist: Es geht hier nicht um „Hilfe“ für 18- bis 20-jährige Sexarbeiter/innen, wie die CDU/CSU wahrheitswidrig behauptet. Schon heute unterliegen 18- bis 20-jährige Sexarbeiter/innen im § 232 StGB einem diskriminierenden Sonderrecht, das jeder Gleichbehandlung spottet. Dieses Sonderrecht wird mit dem neuen Prostitutionsgesetz fortgeschrieben und verschärft – was als „Hilfe“ verbrämt und vermarktet wird.
Es wäre jedoch ungerecht, die CDU/CSU- Bundestagsfraktion nur der Lüge zu bezichtigen. Ihre Pressemitteilung spricht immerhin ungeschminkt aus, worum es bei dem neuen Prostituiertenkontrollgesetz jedenfalls NICHT geht: um die „Verbesserung der Arbeitsbedingungen“ durch Qualitätsstandards. Das wird mit keiner einzigen Silbe erwähnt. Worum es geht, ist Kontrolle und Kriminalisierung von Sexarbeit. Und das gehört – wie es die Pressemitteilung der CDU/CSU deutlich macht – ganz klar in die Hand „staatlicher Behörden“. Man braucht nicht viel Phantasie, um zu erraten, um welche staatliche Behörde es sich hierbei handeln wird.
Doña Carmen e.V. wird auch weiterhin gegen das repressive „Prostituiertenschutzgesetz“ Front machen und sich für die legitimen Rechte von Sexarbeiter/innen öffentlich einzusetzen:
– für eine konsequente Entkriminalisierung von Prostitution;
– für eine rechtliche Gleichstellung von Prostitution mit andere Erwerbstätigkeiten;
– für eine rechtliche Regelung des Umgangs mit Prostitutionsstätten in der
Gewerbeordnung;
– für die Anerkennung selbständiger Sexarbeit als freiberufliche Tätigkeit!