Doña Carmen e.V. und Voice4Sexworkers zum „Offenen Brief“ des Deutschen Juristinnenbundes u. a.

An
Deutsche Aidshilfe e.V.
Deutscher Frauenrat e.V.
Deutscher Juristinnenbund e.V.
Diakonie Deutschland – Evangelischer Berufsverband
Dortmunder Mitternachtsmission e.V.
Evangelische Frauenhilfe in Westfalen e.V.
Frauentreff Olga, Berlin

 

Sehr geehrte Damen,

in einem „Offenen Brief“ an Bundeskanzlerin Merkel u. a. vom 27. Januar 2015 erklären Sie, dass Sie „die Rechte der Prostituierten stärken, sie vor Gewalt, vor Demütigungen bei Behörden und vor gesellschaftlicher Stigmatisierung schützen und ihnen eine gute gesundheitliche Versorgung ermöglichen wollen“.

Das ist löblich. Konkret halten Sie drei Punkte für „kontraproduktiv“: verpflichtende Gesundheitsuntersuchungen, ein Mindestalter von 21 Jahren und eine Anmeldepflicht für Prostituierte. Das ist schon seit Langem die Position der Sexarbeiter/innen. Und dass sie sich ihnen anschließen, ist gut so.

Man könnte sich beruhigt zurücklehnen und den „Offenen Brief“ unkommentiert lassen, wäre da nicht Ihre bewusst selektive Bezugnahme auf die vorliegenden Eckpunkte für ein „Prostituiertenschutzgesetz“ und Ihr beredtes Schweigen zum Kernpunkt der „Reform“, zur geplanten Einführung einer Erlaubnispflicht für Prostitutionsbetriebe.

Schweigen heißt Einverständnis, heißt in diesem Fall: Durchwinken einer repressiven, gegen die Sexarbeiter/innen gerichteten „Reform“. Dass Sie sich dafür hergeben, entwertet Ihre kritischen Einwände.

Wir wissen natürlich, dass vier der Unterzeichnerinnen des „Offenen Briefs“ in der Anhörung im Deutschen Bundestag vom 12. Juni 2014 der Bundesregierung bereits beigesprungen sind und der Einführung einer Erlaubnispflicht für Prostitutionsbetriebe zu einem Zeitpunkt zugestimmt haben, als längst noch nicht klar war, mit welchen Verpflichtungen und Auflagen diese Erlaubnispflicht tatsächlich einhergehen wird.

Normalerweise kauft niemand eine Katze im Sack. Doch der Deutsche Frauenrat, die Diakonie Deutschland, die Deutsche Aidshilfe und die Dortmunder Mitternachtsmission hatten es für nötig befunden, in vorauseilendem Gehorsam und in Kenntnis, dass Sexarbeiter-Organisationen die Erlaubnispflicht ablehnen, der Bundesregierung eine Blankovollmacht zu erteilen. Das war leichtfertig und in hohem Maße unverantwortlich.

Zwei Monate später, seit Bekanntwerden der „Eckpunkte“ eines so genannten „Prostituiertenschutzgesetzes“ vom 14. August 2014, wissen wir zumindest so viel, dass die geplante Erlaubnispflicht für Prostitutionsbetriebe umfangreiche Mitteilungs- und Dokumentationspflichten der Betreiber/innen über die in ihren Etablissements tätigen Prostituierten beinhalten soll, dass die Betreiber/innen von Prostitutionsbetrieben relevante Daten „über die im Betrieb als Prostituierte tätige Personen“ inklusive der Dauer ihrer Beschäftigung an (bislang nicht näher genannte) Behörden weiterleiten müssen.

Was ist das anderes, als eine Betreiber gestützte Meldepflicht durch die Hintertür?

Sowohl die eigenverantwortlich getätigte Meldung der einzelnen Sexarbeiterin an jedem Ort, an dem sie tätig ist, als auch die in die Erlaubnispflicht eingebaute, Betreiber gestützte Variante der Meldepflicht verstoßen gegen das grundgesetzlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung, das auch Sexarbeiterinnen zusteht.

Die nun im Zuge der Einführung der Erlaubnispflicht vorgesehene behördliche Registrierung von Sexarbeiter/innen ermöglicht ein umfassendes Bewegungsprofil der Frauen als Angehörige einer nach wie vor stigmatisierten Berufsgruppe. Ihre Erfassung zielt auf ein zentrales Register aller im Prostitutionsgewerbe tätigen Frauen. Das ist keine mutwillige Unterstellung seitens Doña Carmen e.V., das ist die erklärte Absicht des – nicht nur von der Regierung hoch geschätzten – Papstes der bundesdeutschen Prostitutionsgesetzgebung, Prof. Dr. Joachim Renzikowski, der ohne Scham die „Einrichtung eines zentralen Prostitutionsregisters“ fordert. (siehe: Stellungnahme Renzikowski zur Bundestagsanhörung vom 12.6.2014, S.8)

Sie, die Unterzeichnerinnen des „Offenen Briefs“, hätten die Gelegenheit nutzen können, gegen all diese unsäglichen Bestrebungen Ihre Stimme zu erheben. Sie haben es unterlassen. Sie haben zur konkreten Ausgestaltung der Erlaubnispflicht geschwiegen. Daraus kann man nur schließen, dass Sie diese Überwachung befürworten. Damit fallen Sie den Sexarbeiter/innen erneut in den Rücken!

Der Deutsche Juristinnenbund war im Unterschied zu den oben genannten vier Organisationen nicht an der Bundestagsanhörung im Juni 2014 beteiligt. Er hat sich dafür in einer eigenen umfassenden Stellungnahme vom 15. 09. 2014 – also nach Veröffentlichung der „Eckpunkte“ der Bundesregierung – nicht nur für die dort vorgesehene Erlaubnispflicht für Prostitutionsbetriebe, sondern dezidiert gegen eine „individuelle Anzeige- bzw. Anmeldepflicht für Prostituierte“ ausgesprochen. So widerspricht man der einen Variante der Meldepflicht, ohne sich gegen die andere – die nicht minder missbrauchsanfällige Betreiber gestützte Variante – gestellt zu haben!

Spätestens seit Bekanntwerden der Eckpunkte für ein „Prostituiertenschutzgesetz“ aber dürfte klar geworden sein: Wer ‚Ja‘ sagt zur Erlaubnispflicht für Prostitutionsbetriebe, sagt ‚Ja‘ zur Meldepflicht für Sexarbeiter/innen!
Als Unterzeichnerinnen des „Offenen Briefs“ mahnen Sie eine „Versachlichung der Debatte“ an. Zur Sachlichkeit einer Debatte gehören Sachkenntnis und das Ausgehen von Tatsachen.

Unbestritten dürfte die Tatsache sein, dass Sexarbeiter/innen nach wie vor einer „gesellschaftlichen Stigmatisierung“ unterliegen – sonst würden Sie die Prostituierten ja davor nicht schützen wollen. Tatsache ist auch, dass es in Deutschland für den gesellschaftlich stigmatisierten Berufsstand der Prostituierten eine berufsspezifische Meldepflicht zuletzt unter den Nationalsozialisten gab. Verwiesen sei hier auf den entsprechenden Runderlass des Reichsinnenministers von 1939.

Unseres Erachtens hat die Stellungnahme der Gewerkschaft ver.di anlässlich der Bundestags-Anhörung vom 12. Juni 2014 zu Recht darauf verwiesen, dass in Anbetracht der einschlägigen historischen Erfahrungen hierzulande und unter dem Vorzeichen einer nach wie vor existierenden gesellschaftlichen Stigmatisierung von Prostitution eine wie auch immer geartete Meldepflicht für Sexarbeiter/innen nicht zu befürworten ist. Dem kann sich Doña Carmen e.V. vor dem Hintergrund einer bald 20 Jahre währenden Arbeit mit behördlich und polizeilich drangsalierten Sexarbeiter/innen vorbehaltlos anschließen.

Ihnen, den Unterzeichner/innen des „Offenen Briefs“, fehlt aber in dieser Frage ganz offensichtlich der Mut zu einer klaren Parteinahme für die Interessen von Sexarbeiter/innen.

Schon aus Gründen der Prävention müsste man klar und deutlich sagen: Solange Prostitution auch nur durch einen einzigen Rechtsparagrafen diskriminiert und obendrein gesellschaftlich stigmatisiert wird, verbietet sich jede Form einer Meldepflicht für Sexarbeiter/innen – auch die indirekte, per Erlaubnispflicht exekutierte Form derselben.

Eine solche klare und eindeutige Position vermissen wir bei Ihnen. Daher sind Ihre Anmerkungen zur geplanten Meldepflicht für Prostituierte geradezu handzahm: Sie sei „nicht erforderlich“, „nicht sinnvoll“ – so als könnten Sie sich Situationen vorstellen, in denen sie möglicherweise doch sinnvoll und erforderlich sei. Sie öffnen den Adressaten Ihres „Offenen Briefs“ sogar noch ein Hintertürchen, indem sie durchblicken lassen, dass eine Meldepflicht nur unter „extrem hohe(n) Anforderungen an den Datenschutz“ möglich wäre.

Mit Blick auf die Stärkung der Rechte und des Schutzes von Prostituierten erklären Sie in Ihrem „Offenen Brief“ weiter, Sie „unterstützen …die in den Eckpunkten für ein Prostituiertenschutzgesetz benannten Ziele“. Wollen Sie etwa allen Ernstes behaupten, Rechte und Schutz von Sexarbeiterinnen seien das zentrale Anliegen des geplanten Gesetzes? Das sind Streicheleinheiten für Ministerin Schwesig. Über den tatsächlichen Inhalt des Gesetzes schweigen Sie sich aus.

Bitte erklären Sie uns doch:

Welche Rechte von Sexarbeiter/innen werden mit einem Gesetz gestärkt, das den Art. 297 EGStGB – die Grundlage der ausgrenzenden Sperrgebietspolitik – ausdrücklich festschreibt?

Welche Rechte werden gestärkt, wenn diskriminierende Sonder-Bestimmungen zu Prostitution im Strafrecht und anderen Rechtsmaterien weiterhin beibehalten und mitgeschleppt werden?

Sie wenden sich in Ihrem „Offenen Brief“ gegen die unsägliche Vermengung von ‚Prostitution‘ und ‚Menschenhandel‘ und zeigen wohlfeil mit dem Finger auf andere. Aber was machen Sie selbst?

Sie verzichten auf das Mindeste, nämlich auf die Forderung nach Streichung des Strafrechtsparagraf § 232 StGB („Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung“). Dieser Sonder-Paragraf repräsentiert die Vermengung von ‚Menschenhandel‘ und ‚Prostitution‘ par excellence. Was wäre naheliegender, als die beiden Paragrafen § 232 StGB und § 233 StGB („Menschenhandel zum Zwecke der Ausbeutung der Arbeitskraft“) endlich in einem einzigen neutral formulierten Paragrafen zusammenzufassen? Jeder weiß, dass hier im Strafrecht gegenwärtig eine „künstliche Trennung“ vorliegt. (vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte, Follmar-Otto, Rabe, 2009) Sie war und ist Ausdruck und Mittel der Stigmatisierung von Prostitution.

Die von Ihnen als Schutz gegen Stigmatisierung gelobten „Eckpunkte“ für ein „Prostituiertenschutzgesetz“ behalten diese problematische Trennung bei. Sie, die Unterzeichnerinnen des „Offenen Briefs“, lassen das unerwähnt – und stimmen dem zu.

Wir möchten Sie weiter fragen: Wie erklären Sie sich, dass die von Ihnen unterstützte Erlaubnispflicht für Prostitutionsbetriebe nach dem geplanten Gesetz bereits dann greifen soll, wenn sich nur zwei Frauen zum Zwecke gemeinschaftlicher Prostitutionsausübung eine Wohnung mieten? Wie erklären Sie sich, dass die Erlaubnispflicht sogar dann greifen soll, wenn sich eine einzige Frau eine Wohnung zwecks Ausübung der Prostitution anmietet (z. B. weil sie Sexdienstleistungen in der Wohnung, in der sie und ihre Familie leben und wohnen, nicht anbieten möchte)? Ist das Schutz? Oder ist das Überwachung?

Warum verschweigen Sie, dass die von Ihnen befürwortete Erlaubnispflicht für Prostitutionsbetriebe nicht – wie gemeinhin üblich – in, sondern „außerhalb der Gewerbeordnung“ geregelt werden soll? Was auf den ersten Blick nebensächlich scheint, hat einen ganz einfachen Grund: Nur so kommt die Polizei als Kontrollinstanz ins Spiel, anstatt die üblicherweise für das Gewerberecht „zuständigen Behörden“. Wir nennen das diskriminierendes Sonderrecht!

Man kann in der Tat den Eindruck gewinnen, dass Sie all diese „Details“ unerwähnt lassen, weil Sie die hergebrachte polizeiliche Überwachung des Prostitutionsgewerbes und der Sexarbeiter/innen begrüßen.

Sie wenden sich gegen die „Anhebung des Schutzalters auf 21“ mit der recht sonderbaren Begründung, dass diese Personengruppe sich dann „nicht mehr an Beratungsstellen und polizeiliche Behörden wenden“ könne und zudem „nicht …erreichbar für Ausstiegsangebote“ sei. Wer – wie hier – Prostitution vorrangig mit „Ausstieg“ und „Polizei“ assoziiert, betreibt selbst die gesellschaftliche Stigmatisierung, die er vorgibt zu bekämpfen. So ist es nur logisch, das „Prostituiertenschutzgesetz“ der Großen Koalition für unterstützenswert zu halten, wenn man Sexarbeiter/innen in erster Linie als schutzbedürftige Berufsgruppe wahrnimmt und obendrein Schutz mit Kontrolle gleichsetzt bzw. verwechselt.

Wir sind nicht gegen Schutzbestimmungen in der Sexarbeit. Ganz im Gegenteil. Doch unter Bedingungen der nach wie vor bestehenden rechtlichen Diskriminierung und Ausgrenzung ist nicht der vielbeschworene Schutz, sondern in erster Linie die rechtliche Gleichstellung von Sexarbeit mit anderen Erwerbstätigkeiten maßgeblich. Rechte sind allemal der beste Schutz. Wir wollen Gleichbehandlung, nicht Sonderbehandlung! Es ist bedauerlich, dass dieser elementare Maßstab für Sie als Unterzeichnerinnen des „Offenen Briefs“ nicht handlungsleitend ist. Es ist bedauerlich, dass ein aufs andere Mal ‚Rechte‘ und ‚Schutz‘ gegeneinander ausgespielt werden – auf Kosten der betroffenen Sexarbeiter/innen.

Die festgestellte Übereinstimmung in den eingangs benannten drei Punkten Ihres „Offenen Briefs“ erweist sich bei Licht betrachtet als oberflächlich und wenig tragfähig. Aus Ihrem „Offenen Brief“ spricht bedauerlicherweise eine distanzlose Nähe zum sozialdemokratischen Teil des Berliner Politikbetriebs – zum Schaden der Sexarbeiter/innen.

Eine „aufrichtige Debatte“ haben Sie angemahnt. Aber Sie haben diesen Anspruch durch Ihre selektive Bezugnahme auf die „Eckpunkte“ der Bundesregierung und durch das konsequente Verschweigen der repressiven Dimension des von der Regierung geplanten Anti-Prostitutions-Gesetzes selbst ad absurdum geführt.

Die taz bezeichnet Ihren „Offenen Brief“ als „den großen Aufschlag“. Nein, das war er wirklich nicht. Er war vielmehr ein Schlag ins Wasser. Wenn Sie schon zum Wesentlichen der geplanten Prostituierten-Reglementierung schweigen, wäre es dann nicht besser gewesen, Sie hätten ganz geschwiegen?
gez.

Doña Carmen e.V.

Voice4Sexworkers