Offener Brief – Gegen die Verschärfung des Prostitutionsgesetzes

Herrn Dr. Günter Krings MdB
– Stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU- Bundestagsfraktion  –
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1

11011 Berlin

Offener Brief – Gegen die Verschärfung des Prostitutionsgesetzes

Sehr geehrter Herr Dr. Krings,

Sie haben kürzlich dem Nachrichtenmagazin  „Focus“ (38/2012) in einem Interview mitgeteilt, dass die CDU das 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz verschärfen wolle und dass sich am 25 September 2012 zu diesem Zweck Unions-Fachpolitiker träfen, um entsprechende Details zu besprechen.

  • Als Gründe für eine Verschärfung des Prostitutionsgesetzes haben sie im „Focus“-Interview angeführt, dass das Prostitutionsgesetz einen „weitgehend rechtsfreien Raum“ habe entstehen lassen;
  • dass die Legalisierung der Prostitution als „Schonraum für ein kriminelles Umfeld“ gedient habe und „Menschenhandel, Drogendelikte und Organisierte Kriminalität“ gedeihen ließ;
  • dass sich der Staat gegenüber der Prostitution „von seiner Kontroll- und Schutzaufgabe verabschiedet“ habe.

Vor diesem Hintergrund fordern Sie – auch „im Interesse der Frauen“ – , es müsse hier „wieder gründlicher kontrolliert werden“ und plädieren für eine „Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten“ mit der Begründung, dass es absurd sei, wenn „eine Gaststätte strengeren Anforderungen unterliegt als ein Bordellbetrieb“.

Als Organisation, die sich seit vielen Jahren für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten engagiert, die schon lange vor Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes für eine Legalisierung von Prostitution eingetreten ist und das 2002 beschlossene Gesetz die vergangenen 10 Jahre kritisch begleitet hat, erlauben wir uns, Ihren bodenlosen Behauptungen zu widersprechen.

1.
Ihre Aussage, das Prostitutionsgesetz habe einen „weitgehend rechtsfreien Raum“ entstehen lassen, wirft die Frage auf, in welcher Republik sie eigentlich leben und mit welchen Voraussetzungen Sie einen Doktor der Rechtswissenschaften haben erwerben können.

Sie werden nicht im Ernst bestreiten können, dass eine erhebliche gesetzliche Regelungsdichte in Bezug auf Prostitution existiert, die sich in einem Rattenschwanz entsprechender Verordnungen und Erlasse fortsetzt.

Um Ihrem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge zu helfen, möchte ich Sie nur darauf hinweisen, dass es nach wie vor ein umfassendes straf- und ordnungsrechtliches Reglement gibt. Neun spezielle Paragrafen sorgen dort für eine diskriminierende Sonderbehandlung von Prostitution:

(1) § 180a StGB Ausbeutung von Prostituierten
(2) § 181a StGB Zuhälterei + §181b Führungsaufsicht ( bezogen auf § 181a)
(3) § 181c StGB Vermögensstrafe und Erweiterter Verfall (bezogen auf § 181a)
(4) § 184d StGB Ausübung der verbotenen Prostitution
(5) § 184e StGB Jugendgefährdende Prostitution
(6) § 232 StGB Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung
(7) § 233a StGB Förderung des Menschenhandels (bezogen auf § 232)
(8) Art. 297 EGStGB Verbot der Prostitution / Sperrgebietsverordnungen
(9) § 119 / §120 OWiG Grob anstößige und belästigende Handlungen; Verbotene Ausübung der Prostitution; Werbung für Prostitution

Das ist eine imposante Regelungsdichte, die keineswegs durch das Prostitutionsgesetz beseitigt worden ist, wie Sie mit Ihrer Behauptung vom „weitgehend rechtsfreien Raum“ suggerieren.

Aber das ist noch nicht alles. Hinzu kommen gegen das Prostitutionsgesetz verstoßende Spezialregelungen in 8 Landespolizeigesetzen, zudem eine Prostitution diskriminierende Regelung in § 55 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz sowie auf Länderebene noch Durchführungsverordnungen zu Art. 297 EGStGB. Die Ermächtigung zur Verdrängung der Prostitution durch Sperrgebiete nutzen zurzeit folgende Bundesländer:

Baden-Württemberg (VO vom 03.03.1976)
Bayern (VO vom 26.05.1976)
Hessen (VO vom 05.08.1975)
Niedersachsen (VO vom 28.06.1999)
Nordrhein-Westfalen (VO vom 11.03.1975)
Rheinland-Pfalz (VO vom 27.11.1974)

Hinzu kommt die Reglementierung von Straßenprostitution gemäß städtischen Satzungen, die Reglementierung der Arbeitsvermittlung durch die Bundesagentur für Arbeit sowie Spezialparagrafen im Infektionsschutzgesetz zur Durchsetzung potenzieller Berufsverbote.

Mit dem Verweis auf die in 7 Bundesländern ohne gesetzliche Grundlage, auf bloßer Erlassbasis praktizierten Sonderbesteuerungsverfahren nach dem so genannten „Düsseldorfer Modell“ möchte ich diese sicherlich unvollständige Aufzählung der geltenden Regulierungen von Prostitution an dieser Stelle beenden.

Ich denke, die Hinweise zeigen jedem Unvoreingenommenen, dass sich ihre Aussage von einem hinsichtlich der Prostitution bestehenden „weitgehend rechtsfreien Raum“ als das erweist, was es ist: eine dreiste Lüge.

2.
Nicht besser bestellt ist es um ihre zweite Behauptung, die Legalisierung von Prostitution habe als „Schonraum für ein kriminelles Umfeld“ gedient und die Delikte im Umfeld von Prostitution würden ansteigen.

Auch hier fragen wir uns, in welcher Parallelwelt sie eigentlich leben. Wir empfehlen Ihnen und Ihren Unionskollegen anlässlich Ihres Treffens am 25. September, doch mal einen Blick in die Statistik des Wiesbadener Bundesamtes (Verurteilten-Statistik) bzw. in die Polizeiliche Kriminalstatistik zu werfen. Das könnte Ihnen nicht schaden.

Betrachten Sie beispielsweise das prostitutionsnahe Delikt „Ausbeutung von Prostituierten (§ 180a StGB), so würden sie feststellen, dass es im Jahre 2000 immerhin noch 1.915 mutmaßliche Opfer, im Jahr 2011 hingegen ganze 64 Opfer dieser Deliktart gab. Das Statistische Bundesamt weist für das Jahr 2010 lediglich einen einzigen verurteilten Täter (!) im Hinblick auf die „Ausbeutung von Prostituierten“ aus. Weniger geht nicht.

Im Falle der so genannten „Zuhälterei“ liegen die Dinge ähnlich: Im Jahr 2000 gab es noch 1.304 mutmaßliche Opfer, 2011 waren es nur noch 253. Die Zahl der im ganzen Jahr 2010 verurteilten Täter lag bei 36 Personen (2000: 151 Personen).

Sie mögen vielleicht einwenden, Herr Dr. Krings, dass beide Paragrafen im Zuge des Inkrafttretens des Prostitutionsgesetzes entschärft worden seien und die hier aufgezeigte Entwicklung darauf zurückzuführen sei. Dem möchten wir widersprechen. Im Bereich der „Zuhälterei“ sinken die Ofer- und Tatverdächtigen-Zahlen bereits seit Jahrzehnten – unabhängig von irgendeiner Legalisierung.

Gerne werfen wir aber auch einen Blick auf den von Ihnen mal wieder ins Spiel gebrachten „Menschenhandel“. Dort sind – wie Sie vielleicht noch wissen – die gesetzlichen Bestimmungen 2005 unter einer schwarz/roten Bundesregierung sogar verschärft worden. Nichtsdestotrotz sinken auch dort die Kriminalitätsraten. Im Jahr 2000 gab es ausweislich der offiziellen Polizeilichen Kriminalstatistik 1.197 mutmaßliche Opfer bei dem Delikt „Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung“. Im Jahr 2011 gab es nur noch 753 mutmaßliche Opfer. Die Zahl der verurteilten Täter lag hier bei lediglich 115 Personen – seit mehr als 15 Jahren liegt hier eine sinkende Tendenz vor!

Im Übrigen weist der „Menschenhandel“ seit nunmehr 20 Jahren ein Täter/Opfer-Verhältnis von 1: 1 auf – nicht gerade ein Beleg für „Organisierte Kriminalität“, die in Ihrer Darstellung natürlich nicht fehlen durfte.

All diese offiziellen Daten, Herr Dr. Krings, widerlegen Ihre Behauptung, dass die Legalisierung von Prostitution einen „Schonraum für kriminelles Verhalten“ böte. Abermals erweist sich Ihre Behauptung als dreiste Lüge, mit der Sie die Öffentlichkeit auf eine Verschärfung des Prostitutionsgesetzes einzustimmen versuchen. Wie man aber sieht: Ihre Bestrebungen entbehren jeglicher sachlichen Substanz, sie verdanken sich allein konservativer Prostitutionsgegnerschaft.

3.
Auch Ihre Behauptung, der Staat habe sich mit Inkrafttreten des Prostitutionsgesetzes in diesem Bereich „von seiner Kontroll- und Schutzaufgabe verabschiedet“ kann nicht unwidersprochen bleiben.

Sie hoffen vielleicht, in dieser gemeinhin schwer nachprüfbaren Angelegenheit durch bloße Behauptungen brillieren zu können. Aber da haben Sie sich geirrt. Seit über 10 Jahren führt Doña Carmen e.V. eine auf der Website des Vereins (www.donacarmen.de) für jede/n einsehbare „Razzien-Statistik“. Da wir diese Statistik gewissenshaft führen und auswerten, darf ich Ihnen einige Schlussfolgerungen daraus mittteilen, die geeignet sein dürften, auch Ihre dritte Behauptung zu widerlegen.

Vorab sei erläutert, dass uns nicht daran gelegen ist, durch Verwendung des Begriffs „Razzia“ die Polizei zu diffamieren. Es geht uns nicht darum, jede Kontrolle im Rotlicht als „Razzia“ zu dramatisieren. Unter Razzien verstehen wir – so unsere Arbeitsdefinition – die in regionalen / überregionalen (Online-) Medien erwähnten Polizeiaktionen im Prostitutionsgewerbe, bei denen mindestens eine der nachfolgend genannten Bedingungen vorliegt: mindestens 3 zeitgleich kontrollierte Objekte, bzw. mindestens 20 eingesetzte Ermittler, bzw. mindestens 20 kontrollierte Personen, bzw. mindestens 10 vorläufig festgenommene Personen, oder unter Beteiligung von Spezialeinsatzkräften wie MEK, SEK, BGS, BKA oder GSG 9.

In den vergangenen 11 Jahren haben wir 259 derartiger Razzien allein Im Prostitutionsgewerbe registrieren müssen. Betroffen davon waren 607 Gemeinden in Deutschland. Die Zahl der dabei kontrollierten Objekte lag bei 5.840, die Zahl der dabei eingesetzten Ermittler lag bei 55.980 und die Zahl der dabei kontrollierten Personen bei 37.230.

Nun behaupten Sie, Herr Dr. Krings, der Staat habe sich im Zuge der Legalisierung Schritt für Schritt aus seiner Kontrollaufgabe verabschiedet. Es geht also um die Darstellung der Entwicklung im Zeitablauf, und zu diesem Zwecke lassen sich sinnvollerweise die beiden Sechs-Jahres-Zeiträume 2000/2005 und 2006/2011 miteinander vergleichen.

Unsere Statistik gibt Ihnen, Herr Dr. Krings, in einem Punkt recht. Denn im ersten Zeitraum ergeben sich 24 Rotlicht-Razzien pro Jahr, im zweiten Zeitraum lediglich 19 Razzien pro Jahr. Das entspricht einem Rückgang um 21%. Was aber in der öffentlichen Debatte gerne übersehen und auch von Ihnen natürlich nicht thematisiert wird, ist die Tatsache, dass sich die Zahl der kontrollierten Objekte und Personen sowie die Zahl der eingesetzten Ermittler in diesem Gesamtzeitraum drastisch erhöht haben. Auch hier können wir mit Zahlen dienen, die einen guten Anhaltspunkt für die öffentliche Auseinandersetzung bieten.

So wurden im Zeitraum 2000/05 im Schnitt 9 Objekte pro Rotlicht-Razzia kontrolliert, im darauf folgenden Zeitraum waren es dagegen 41 Objekte pro Razzia. Eine Steigerung um mehr als 360 %! Noch eindeutiger liegen die Verhältnisse im Hinblick auf die dabei kontrollierten Personen: Waren es im Zeitraum 2000/05 im Schnitt 29 Personen pro Razzia, so waren es 2006/2011 im Schnitt 276 Personen pro Razzia, was einer Steigerung von 850 % entspricht. Auch die Zahl der bei einer Razzia eingesetzten Ermittler hat sich von durchschnittlich 179 pro Razzia im ersten Zeitraum auf 248 eingesetzte Ermittler im darauf folgenden Zeitraum deutlich erhöht.

Diese Zahlenverhältnisse sind eindeutig. Sie besagen, dass Ihre durch nichts gestützten und daher unverantwortlichen Behauptungen einer rückläufigen Kontrolldichte im Gefolge der Legalisierung von Prostitution ein Ammenmärchen ist. Sie verschaukeln die Öffentlichkeit, um Ihrer Forderung, das Prostitutionsgewerbe müsse „wieder gründlicher kontrolliert werden“, Nachdruck zu verleihen.

Dabei haben wir noch nicht einmal die „normalen Kontrollen“ im Rotlicht einbezogen. Durch Razzien werden jährlich rund 4.000 Personen im Prostitutionsgewerbe kontrolliert. Nach Berechnungen von Doña Carmen muss man – ausgehend von Angaben der Polizei und den LKAs – jährlich mit zusätzlichen 11.500 Kontrollen und weiteren 44.000 dabei kontrollierten Personen im Prostitutionsgewerbe ausgehen.

Mit anderen Worten: Binnen 4 Jahren haben bundesdeutsche Ermittler so ziemlich alle im Prostitutionsgewerbe tätigen Personen einmal kontrolliert. Kein anderer Wirtschaftszweig wird in Deutschland so überdimensioniert und so nutzlos kontrolliert! Und da fordern Sie, Herr Dr. Krings, weitere „gründlichere“ Kontrollen. Was wollen sie eigentlich? Wollen Sie wieder die totale polizeiliche Reglementierung der Prostitution?

Fakt ist doch: Trotz zunehmender Kontrolle und Überwachung haben wir es erwiesenermaßen mit immer weniger „Begleitkriminalität“ in der Prostitution zu tun. Von dieser Tatsache haben Sie entweder keine Ahnung und behaupten einfach das Gegenteil – möglicherweise wider besseres Wissen.

Sie versuchen, Ihrem absurden Kontrollwahn den Anschein zu geben, als ginge es darum, angeblich von Regelungen verschonte und deshalb im Vorteil befindliche Bordellbetriebe endlich mit anderen Gewerbebetrieben wie Gaststätten, Frittenbuden und Bierzelten etc. gleichzustellen. Ausgerechnet Ihre Partei, die stets behauptete, Prostitution sei kein Beruf wie jeder andere, glaubt jetzt, die geplante verschärfte Überwachung von Bordellen als  längst überfällige „Gleichstellung“ mit anderen Gewerbebetrieben verkaufen zu können. Damit können Sie vielleicht einem CDU-Stammtisch imponieren, eine aufgeklärte Öffentlichkeit werden Sie damit nicht an der Nase herumführen können.

Abschließend bleibt mir nur festzustellen, dass die Beratungen der CDU/CSU zum Prostitutionsgesetz offenbar von keiner Kenntnis der Tatsachen getrübt zu sein scheinen. „Im Interesse der Frauen“ – wie Sie behaupten -, sind sie jedenfalls nicht.

Als Fazit der von mir vorgetragenen Argumente ergibt sich, dass eine „Verschärfung“ des Prostitutionsgesetzes – wie von Ihnen geplant – kein sachlich begründetes Anliegen ist, sondern den Versuch darstellt, Prostitution wieder mit Mitteln des 19. Jahrhunderts zu regulieren.

Da kommen Sie etwas zu spät, Herr Dr. Krings. Ein solches Projekt ist zum Scheitern verurteilt. Ich rate Ihnen davon ab.

gez. Juanita Henning

(Sprecherin Doña Carmen e.V.)

Offener Brief an Dr. Krings (CDU)