Der Kampf um die Gemeinnützigkeit von Doña Carmen e.V.

Worum geht es da eigentlich? Was hat das mit den Rechten von Sexarbeiter/innen zu tun?

Doña Carmen, Verein für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten, wurde im September 2015 vom Finanzamt Frankfurt die Gemeinnützigkeit aberkannt. Im Februar 2017 wurde dem Verein aufgrund des bloßen Einreichens einer Klage vor dem Hessischen Finanzgericht ohne Angabe von Gründen seitens des zuständigen Finanzamts wieder zuerkannt. Das Finanzamt mied den Rechtsstreit vor dem obersten hessischen Finanzgericht und gab im Vorfeld klein bei. Zweieinhalb Jahre brauchte das Finanzamt, um seine Fehlentscheidung zu revidieren. Dass dieser abrupten Kehrtwende eine verspätete Einsicht zugrunde liegt – dafür gibt es keine Indizien.

Die Aberkennung der Gemeinnützigkeit bezog sich auf zwei gemeinnützige Zwecke, für die Doña Carmen sich einsetzt: (1) die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens / Gesundheitsförderung und (2) die Förderung der allgemeinen, kulturellen und beruflichen Bildung (hinsichtlich ausländischer Frauen in der Prostitution).

Das Finanzamt Frankfurt begründete sein Vorgehen gegenüber Doña Carmen im Wesentlichen damit, dass Tätigkeiten des Vereins (im strittigen Zeitraum von 2011 bis 2013) nicht den satzungsmäßigen oder den steuerbegünstigten Zwecken der Abgabenordnung entsprochen hätten. Die „tatsächliche Geschäftsführung“ habe damit das Kriterium der Ausschließlichkeit (§ 56 Abgabenordnung) verletzt, was zwangsläufig den Entzug der Gemeinnützigkeit zur Folge haben müsse. Darüber hinaus bestritt das Finanzamt, dass sich das in der Satzung benannte Eintreten gegen die „Diskriminierung von Prostituierten“ einem gemeinnützigen Zweck der Abgabenordnung zuordnen lasse.

Im Februar 2018 nahm das Finanzamt diese Vorwürfe zurück und bestätigte wieder die Übereinstimmung der Satzung und der tatsächlichen Geschäftsführung mit der Abgabenordnung.

Was zunächst bleibt, ist die bittere Erfahrung, dass eine staatliche Behörde sich das Recht herausnehmen kann, mit Verweis auf Bestimmungen der Vereinssatzung sowie auf Aktivitäten, die zuvor 17 Jahre lang als gemeinnützig galten, plötzlich das genaue Gegenteil zu vertreten und einem Verein – ohne Anhörung – von einem auf den anderen Tag die Gemeinnützigkeit abzusprechen und ihm diese dann nach zweieinhalb Jahren – ohne Begründung – wieder zurückzugeben.

Was sich aus der Betroffenenperspektive des Vereins Doña Carmen als Willkür und Schikane, ja geradezu als kafkaesk ausnimmt, erweist sich aus gesellschaftspolitischer Gesamtperspektive jedoch als Teil eines politisch motivierten strategischen Vorgehens.

Denn zum einen war das Vorgehen gegen Doña Carmen kein Einzelfall – wie das Vorgehen des gleichen Finanzamts gegenüber ATTAC verdeutlichte. Und es war zum anderen auch nicht der Laune eines Behördenmitarbeiters geschuldet. Denn bezeichnend ist: (1) Mitarbeiter des Hessischen Finanzministeriums waren in die Angelegenheit ATTAC involviert; (2) das Bundesfinanzministerium animierte noch unter Schäuble das Finanzamt Frankfurt nach dessen gerichtlicher Niederlage im Rechtsstreit mit ATTAC dazu, vor dem Bundesfinanzhof gegen die vom Hessischen Finanzgericht verkündete Nichtzulassung einer Revision Beschwerde einzulegen; (3) das Bundesfinanzministerium tritt schließlich neben dem Frankfurter Finanzamt als Kläger gegen ATTAC auf.

All das verweist darauf, dass hier ein von höchster Ebene politisch koordiniertes Vorgehen vorliegt. Vieles spricht also dafür, dass sich das Frankfurter Finanzamt hinsichtlich des Umgangs mit der Frage der Gemeinnützigkeit politisch hat instrumentalisieren lassen. Aber zu welchem Zweck?

Motive hinter der Politik der Aberkennung von Gemeinnützigkeit

Die erneute Anerkennung der Gemeinnützigkeit von Doña Carmen e.V. oder der zwischenzeitliche rechtliche Erfolg von ATTAC vor dem Hessischen Finanzgericht im November 2016 sind keinesfalls Anlass für Entwarnung oder Gründe, die Hände in den Schoß zu legen.

Die Fragen, was das eigentliche Anliegen der Finanzbehörden ist, was sie antreibt und worauf ihr Handeln zielt, haben sich schon deshalb nicht erübrigt, weil das ausstehende Revisionsverfahren gegen ATTAC vor dem Münchner Bundesfinanzhof eine über den Einzelfall hinausgehende, zukunftsweisende Bedeutung für gemeinnützige Organisationen auch im Bereich der Sexarbeit haben dürfte.

Es lohnt daher, sich anhand der Einspruchsentscheidung des Frankfurter Finanzamts vom 24.08.2017 (https://www.donacarmen.de/wp-content/uploads/01-Finanzamt-24.08.2017-1.pdf) gegenüber Doña Carmen e.V. genauer mit den Absichten und Zielen der hier verfolgten Politik zu befassen. Da nicht jeder einzelne Punkt, der seine Relevanz aus dem spezifischen Kontext der Tätigkeit von Doña Carmen bezieht, von allgemeiner Bedeutung ist, scheint es sinnvoll, die hier gleichwohl deutlich werdenden Grundlinien des Agierens der Finanzbehörde unter die Lupe zu nehmen.

Fünf Angriffe – eine Absicht

In der rechtlichen Auseinandersetzung um die Gemeinnützigkeit von Doña Carmen lassen sich fünf zentrale Punkte im Vorgehen der Finanzbehörde ausmachen, die über den Einzelfall hinaus im Hinblick auf die von der Finanzbehörde verfolgten Absichten und Ziele im Umgang mit gemeinnützigen Organisationen von Bedeutung sind:

Punkt 1
Dem in der Satzung von Doña Carmen benannten Engagement gegen „Diskriminierung von Prostituierten“ und für eine „Anerkennung von Prostitution als Beruf“ wird – im Unterschied zu den vorangegangenen 17 Jahren – abgesprochen, einem gemeinnützigen Zweck zu entsprechen.

„Die in § 2 genannten Zwecke „Förderung des Wohls insbesondere ausländischer Frauen,   die der Prostitution nachgehen“, „Beratung und Unterstützung“, „Aufklärung der Öffentlichkeit über die Lebensbedingungen“ sowie „Unterstützung von Aktivitäten, die sich gegen die Diskriminierung von Prostituierten wenden“ sind nicht im Katalog des § 52 Abs. 2 AO enthalten und können auch nicht im Wege der Auslegung einem der dort genannten Zwecke  zugeordnet werden.“ (Einspruchsentscheidung des FA gegen Doña Carmen, S. 9)

„Durch den Einsatz für Prostituierte und die Anerkennung der Prostitution als Beruf sowie der  in diesem Zusammenhang vorgenommenen Stellungnahmen, Forderungen, Vorträge und  Diskussionen werden nicht die steuerbegünstigten Zwecke „Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege“ und „Förderung der Volks- und Berufsbildung“ verfolgt.“ (Einspruchsentscheidung des FA gegen Doña Carmen, S. 13)

Behauptet wurde, dass das Eintreten gegen Diskriminierung von Prostituierten zwar in der Satzung von Doña Carmen stünde, sich aber keinem steuerbegünstigten gemeinnützigen Zweck gemäß Abgabenordnung zuzuordnen lasse. Und da das Engagement gegen Diskriminierung von Prostituierten die „Anerkennung von Prostitution als Beruf“ beinhalte, behauptete man konsequenterweise, dass auch Handlungen zur Erreichung dieses Ziels nicht länger als gemeinnützig gelten könnten.

Dagegen vertrat Doña Carmen die Auffassung, dass der Kampf gegen Diskriminierung dem umfassenden Begriff der Gesundheit nach WHO (vollständige Gesundheit schließt seelische Gesundheit ein, die nur möglich ist ohne ständige Diskriminierung) entspräche und damit dem gemeinnützigen Zweck der Förderung des öffentlichen Gesundheits-wesens zuzuordnen sei. Die Kehrtwende in der Aberkennung der Gemeinnützigkeit leugne allgemein anerkannte fachwissenschaftliche Debatten und Ergebnisse.

Folge der Rechtsaufassung des Frankfurter Finanzamts wäre, dass die große Mehrzahl der Fachberatungsstellen für Sexarbeiter/innen wie etwa Hydra/Berlin oder Kassandra/Nürnberg ihre Gemeinnützigkeit verlieren müsste, was der Aufkündigung eines seit Jahrzehnten geltenden gesellschaftlichen Konsenses bedeuten würde.

Punkt 2
Eine Durchführung von Beratung und Betreuung widerspricht der Gemeinnützigkeit.

 „Durch die Unterstützung der hochschwangeren Roma-Frauen in 2012, die Begleitung der Prostituierten bei Behördengängen sowie durch Einzelberatungen von Prostituierten werden  ebenfalls nicht die satzungsmäßigen steuerbegünstigten Zwecke verfolgt.“   (Einspruchsentscheidung des FA gegen Doña Carmen, S. 11)

Einzelfallberatung verstoße gegen das Gebot des Nutzens für die Allgemeinheit, die die Voraussetzung für eine Anerkennung der Gemeinnützigkeit sei. Einzelfallberatung sei nur zulässig, sofern in der Vereinssatzung die „Förderung des Wohlfahrtswesens“ oder die Förderung „mildtätiger Zwecke“ als Vereinsziele eingetragen sind. Das sei bei Doña Carmen nicht der Fall, somit bestehe ein Verstoß gegen die Satzung von Doña Carmen als auch gegen die Gemeinnützigkeit.

Dagegen vertrat Doña Carmen die Auffassung, dass in der Vereinssatzung ausdrücklich benannt ist, dass der Verein eine Beratungsstelle unterhalte. Das galt 17 Jahre lang als gemeinnützig. Im Übrigen berate auch pro familia, obwohl in deren Satzung auf keine „mildtätigen Zwecke“ verwiesen werde. Die Folge wäre, dass – ginge es nach dem neuen Verständnis des Frankfurter Finanzamtes – Organisationen wie ‚pro familia‘ bundesweit die Gemeinnützigkeit entzogen werden müsse.

Punkt 3
Politische Bildung als integraler Bestandteil des gemeinnützigen Zwecks „Förderung der Volks- und Berufsbildung“ wird willkürlich eingeschränkt.

„Diese Fachtagung beschäftigte sich mit Fragen rund um die aktuelle Prostitutionspolitik in Deutschland und daher hauptsächlich damit, wie das Recht auf ungehinderte Berufsausübung von Frauen und Männern in der Prostitution gestärkt werden kann. Auch hier werden keine Kenntnisse vermittelt, die zur Allgemein- und Berufsbildung im gemeinnützigkeitsrechtlichen Sinne gehören. Es ist insgesamt nicht erkennbar, welcher Bildungszweck mit den Tätigkeiten verbunden ist; Lernerfolge sind hierbei nicht beabsichtigt. Vielmehr werden Einzelinteressen einer bestimmten Berufsgruppe gefördert und in gewisser Weise auch Lobbyarbeit für diese Berufsgruppe betrieben, was der gemeinnützigkeitsrechtlichen Anerkennung der Bildungsarbeit entgegensteht…“ (Einspruchsentscheidung des FA gegen Doña Carmen, S. 12)

Nahezu allen Tätigkeiten von Doña Carmen wurde unterstellt, dass sie keine als „gemeinnützig anzuerkennende Bildungsmaßnahmen“ seien, gar „keine Lernerfolge beabsichtigen“ und bestenfalls der „Verbreitung einer bestimmten Lebensanschauung“ bzw. der „rechtspolitischen Vorstellungen“ von Doña Carmen dienten, was somit nicht als gemeinnützig angesehen werden könne. Da sich die durchgeführten Bildungsmaßnahmen lediglich an den Interessen einer bestimmten Berufsgruppe orientiert hätten, ermangele ihnen das Kriterium der Allgemeinheit, was notwendiges Element der Gemeinnützigkeit sei. Festgemacht wird die Kritik an den „Themen“, die behandelt wurden, bzw. daran, welche Aspekte bei den behandelten Themen im „Vordergrund“ standen bzw. welche nicht.

Zu den Themen, bei denen lediglich Kenntnisse vermittelt wurden, die weder der Allgemeinheit dienen, noch der Berufs- und Fortbildung, sondern lediglich der „Verbreitung der rechtspolitischen Vorstellungen“ von Doña Carmen dienten, zählte die Finanzbehörde: das „Düsseldorfer Verfahren“, die Polizeirazzien im Prostitutionsgewerbe, die Konzessionierung von Bordellbetrieben, die Registrierung von Sexarbeiter/innen, die Anerkennung von Prostitution als Beruf, die Kondompflicht bei Prostitution etc.

Dagegen vertrat Doña Carmen die Auffassung, dass nicht eine Behörde darüber befinden könne, welche Themen eine Beratungsstelle für wichtig zu erachten habe. Es könne nicht um das „Ob“, sondern im Zweifel nur um die „Art und Weise“ der Behandlung von Themen gehen. Sie müssten wissenschaftlich fundiert, empirisch untermauert, sachlich und immer auch kontrovers diskutiert werden, nicht aber einseitig als bloße Meinung vermittelt werden. Genau das habe Doña Carmen auf Fachtagungen, bundesweiten Treffen, Initiativkreisen und in seinen Publikationen stets gemacht.

Punkt 4
Festlegung gemeinnütziger Organisationen auf eine kritiklose Akzeptanz in Bezug auf das Handeln von Regierung und staatlichen Behörden.

„Diese nicht steuerbegünstigten Aktivitäten sind auch nicht von untergeordneter Bedeutung…….  Der Ef (gemeint ist Doña Carmen e.V.) wendete sich nicht nur vehement  gegen eine Konzessionierung von Prostitutionsstätten oder eine gewerberechtliche  Registrierung, er bekämpfte auch die behördlichen Regelungen zur Besteuerung von Prosituierten im sog. „Düsseldorfer Verfahren“, indem er sich an den Hessischen Landtag wandte und er forderte den Abbau der Besteuerungsautomaten am Bonner Straßenstrich“ (Einspruchsentscheidung des FA gegen Doña Carmen, S. 13)

 „Auch der langjährige Einsatz des Ef (gemeint ist Doña Carmen e.V.) gegen gesetzliche Reglementierungen der Prostitution, insbesondere gegen die Einführung einer Kondompflicht, ist nicht geeignet, die öffentliche Gesundheitspflege zu fördern.“ (Einspruchsentscheidung des FA gegen Doña Carmen, S. 10)

 „Der seit dem Jahr 2000 geführte Razzienspiegel und die regelmäßigen Proteste gegen Razzien durch die Polizei in den Streitjahren lassen nicht erkennen, dass der Ef (gemeint ist  Doña Carmen e.V.) ein Verständnis für die Aufgaben der Sicherheitsbehörden hat, die aus  generalpräventiven Gründen und zur Verfolgung spezieller Ziele der Kriminalitätsbekämpfung auf Razzien in einem strukturell mit der Begehung von Straftaten und der Anwesenheit von Straftätern verbundenen Bereich angewiesen ist.“  (Einspruchsentscheidung des FA gegen Doña Carmen, S. 14)

Die Ablehnung des Düsseldorfer Verfahrens der Pauschalbesteuerung von Prostituierten, die Kritik an Polizeirazzien sowie eine Statistik derselben in Form eines „Razzien-Spiegels“ galten der Finanzbehörde als Indiz dafür, dass Doña Carmen „gesetzliche Regelungen verhindern oder verändern“ wolle, kein Verständnis für das Vorgehen von Sicherheitsbehörden zeige und sich durch eine „generelle Ablehnung notwendiger staatlicher Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung“ auszeichne. Mit derartiger Fundamentalkritik stelle Doña Carmen sich außerhalb des Bereichs der Gemeinnützigkeit.

Dagegen vertrat Doña Carmen die Auffassung, dass es sich hierbei um eine den Tatsachen widersprechende Unterstellung handelt, wenn man dem Verein verwerfe, er würde sich generell gesetzlichen oder behördlichen Regelungen verschließen, da er sich nur so die Verwirklichung einer ungehinderten Berufsausübung von Sexarbeiter/innen vorstellen könne. So habe der Verein beispielsweise einen Gesetzentwurf vorgelegt und darin explizit dargelegt, wie man sich die Regulierung des Prostitutionsgewerbes vorstelle.

Das Finanzamt verstehe unter „Gemeinnützigkeit“ fälschlich die blinde Akzeptanz sämtlicher staatlicher Maßnahmen und schließe damit aus, dass gemeinnützige Organisationen wie Doña Carmen behördliches Handeln kritisch begleiten dürften.

Punkt 5
Keine Veröffentlichung von politischen Erklärungen in Form von Anzeigen in Tageszeitungen.

„Inhalt der Anzeige war die Print-Ausgabe der Frankfurter Erklärung „Rechte und Respekt für Sexarbeiter/innen“… In der Anzeige forderte der Ef (gemeint ist   Doña Carmen e.V.) alle  politischen Verantwortlichen auf, sich gemeinsam mit dem Verein für die tatsächliche und rechtliche Gelichstellung von Prostitution mit anderen Berufen, für den Erhalt der Vielfalt sexueller Dienstleistungen sowie die gesellschaftliche Wertschätzung einzusetzen. Die Anzeige diente nicht den vom Verein angestrebten steuerbegünstigten Zwecken „Förderung der Gesundheitspflege“ und „Förderung der Volks- und Berufsbildung“.“  (Einspruchsentscheidung des FA gegen Doña Carmen, S. 14)

Die Finanzbehörde wertete die Veröffentlichung von Appellen an politisch Verantwortliche in Form von Anzeigen in Zeitungen als politisches Agieren jenseits der Gemeinnützigkeit mit entsprechender Fehlverwendung der Vereinsfinanzen.

Dagegen vertrat Doña Carmen die Auffassung, dass es sich stets um politische Äußerungen handelte, die einen direkten Bezug zu den vom Verein vertretenen gemeinnützigen Zwecken hätten und daher nicht moniert werden könnten.

Was bezwecken eigentlich die Angriffe der Frankfurter Finanzbehörde?

Die hier dokumentierten Kritikpunkte der Frankfurter Finanzbehörde gegenüber Doña Carmen zielen auf eine grundsätzliche Einengung des Begriffs der Gemeinnützigkeit als entscheidender Hebel, um als gemeinnützig anerkannten zivilgesellschaftlichen Organisationen das Recht der Einwirkung auf die politische Willensbildung zu verwehren.

Zivilgesellschaftliche Organisationen laufen Gefahr, ihre Anerkennung als „gemeinnützig“ zu verlieren, sobald sie Appelle an politisch Verantwortliche in Zeitungen veröffentlichen, sobald sie sich anmaßen, alternative politische Vorstellungen (z. B. zur Konzessionierung von Prostitutionsstätten) zu entwickeln, oder wenn sie es gar wagen sollten, Gesetze zu kritisieren und das Handeln staatlicher Behörden kritisch zu begleiten.

Sollte eine gemeinnützige Organisation sich herausnehmen, sich im Rahmen der als gemeinnützig anerkannten „Volks- und Berufsbildung“ zum Kritiker repressiv wirkender Gesetze und damit zum Fürsprecher der Einhaltung der Grundrechte davon betroffener Personen zu machen, kann ihr mit dem wohlfeilen Vorwurf, sie würde nur Einzelinteressen einer bestimmten (Berufs-)Gruppe verfolgen, die Gemeinnützigkeit aberkannt werden.

Folge davon ist, dass eine rechtliche Ungleichbehandlung oder eine repressive Behandlung bestimmter Gruppen der Bevölkerung (wie beispielsweise Sexarbeiter/innen) zumindest von gemeinnützig anerkannten Organisationen nicht mehr angeprangert werden dürfen. Eine weitere Folge ist, dass Betroffene ohne solche Fürsprache einer möglichen Einschränkung ihrer Grundrechten oder der Duldung einer sie sozial benachteiligenden Politik länger als nötig ausgesetzt sind.

Die Einschränkung der Gemeinnützigkeit zielt auf die Institutionalisierung einer Maulkorb-Politik, die gemeinnützige Organisationen an die Kandare nimmt und sie einem anachronistischen obrigkeitsstaatlichen Regime unterwirft. Der Rollback in vordemokratische Zustände erfolgt unter dem Vorwand einer Gemeinnützigkeitsprüfung, die in Wirklichkeit instrumentalisiert wird, um willkürlich und schikanös Einfluss zu nehmen auf die tatsächliche Geschäftsführung zivilgesellschaftlicher Organisationen im Sinne ihrer vollständigen Entpolitisierung.

Katze aus dem Sack

Die Einengung des Gemeinwohl-Begriffs auf eine unpolitische, kritiklose Akzeptanz von Regierungs- und Behördenhandeln stützt sich auf die Konstruktion eines künstlichen Widerspruchs zwischen gemeinnützigem Handeln und einer Einflussnahme auf politische Willensbildung: „Politische Zwecke zählen grundsätzlich nicht zu den gemeinnützigen Zwecken“, behauptet das Finanzamt Frankfurt fern jeglicher Realität in der Begründung der Klage gegen die Nichtzulassung einer Revision im Rechtsstreit mit ATTAC (6. Juli 2017)
(vgl. http://www.attac.de/fileadmin/user_upload/Kampagnen/Gemeinnutz/downloads/2017_07_06_Finanzamt_Begruendung-Nichtzulassungsbeschwerde_web.pdf)

In der – wie ATTAC vermutet vom Bundesfinanzministerium verfassten – Klagebegründung lässt das Frankfurter Finanzamt die Katze aus dem Sack. Denn es solle vor dem Bundesfinanzgericht „geklärt werden, ob sich eine gemeinnützige Körperschaft in Verfolgung dieser gemeinnützigen Zwecke an einem gesellschaftspolitischen Diskurs beteiligen darf (!) und welchen gesetzlichen Beschränkungen eine solche Tätigkeit ggf. unterliegt.“ (Klagebegründung, S. 2).

Was dem Finanzamt Frankfurt und dem Bundesfinanzministerium als Kläger gegen ATTAC ausdrücklich missfällt, ist die Position des Hessischen Finanzgerichts:

„Nach Auffassung des HFG erlaube der gemeinnützige Zweck der Volksbildung in Form der politischen Bildung nicht nur die Darstellung des status quo, sondern es sei vielmehr geboten, gesellschaftspolitische Themen aufzugreifen und auch Alternativen darzustellen. (S. 3)

Gemeinnützige Organisationen sollen sich also zukünftig politisch affirmativ und angepasst auf die „Darstellung des status quo“ beschränken und es gefälligst unterlassen, sich öffentlich für politische Alternativen einzusetzen. Zwecks Schaffung einer Kultur politischer Alternativlosigkeit, solle die Darstellung alternativer politischer Lösungen nach Auffassung des Finanzamts Frankfurt / des Bundesfinanzministeriums das Monopol der Parteien bleiben.

„Die Darstellung von alternativen Lösungsansätzen für gesellschaftspolitische Themen ist klassische Aufgabe der politischen Parteien.“ (S. 8)

Sollten gemeinnützige Organisationen jedoch weiterhin „alternative Lösungsansätze für gesellschaftspolitische Themen“ aufzeigen, wäre dies ein Beleg dafür, dass sie sich unzulässigerweise „politisch betätigen“ (S. 9), was man in der Zukunft durch Entzug der Gemeinnützigkeit offenbar grundsätzlich unterbinden möchte.

Denn für die Frankfurter Finanzbehörde und das Bundesfinanzministerium steht völlig in Frage,

„ob die Beteiligung an einem gesellschaftspolitischen Diskurs überhaupt eine Bildungsmaßnahme darstellen kann (!), insbesondere, wenn in mehrjährigen Kampagnen konsequent politische Forderungen erhoben werden und versucht wird, durch Werbung in der Öffentlichkeit und durch Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger Rechtsveränderungen im Sinne der allgemeinpolitischen Vorstellungen der gemeinnützigen Körperschaft zu erreichen. Der demokratische Diskussionsprozess ist ein gesellschaftlicher Vorgang, der im Gegensatz zu einer Bildungsmaßnahme nicht im Verantwortungsbereich der gemeinnützigen Körperschaft stattfindet.“ (S. 11)

 

Folgen für den Kampf gegen die rechtliche Diskriminierung von Prostituierten und für die vollständige Anerkennung von Prostitution als Beruf

Offensichtlich plant man, in dem oben dargestellten Sinne eine Grundsatzentscheidung vor dem Bundesfinanzgericht zu erreichen, bevor man sich an einzelnen Organisationen wie Doña Carmen u.a. vergreift und vor Landesfinanzgerichten – wie im Falle ATTAC –Schiffbruch erleidet.

Sollte es vor dem Bundesfinanzgericht eine rechtliche Entscheidung im Sinne des Frankfurter Finanzamts bzw. des Bundesfinanzministeriums geben, würde dies zur Folge haben, dass der Mehrheit der Fachberatungsstellen für Sexarbeiter/innen die Aberkennung der Gemeinnützigkeit ins Haus stünde, es sei denn, sie verzichteten auf einen konsequenten, in der politischen Öffentlichkeit mit politischen Argumenten ausgetragenen Einsatz für die Rechte von Sexarbeiter/innen.

Eine derart massive Einschränkung rechtlicher Möglichkeiten gemeinnütziger Vereine hätte unmittelbare Konsequenzen für die Klientel dieser Organisationen. Zu glauben, dass dann politische Parteien in die Bresche springen, wäre geradezu absurd.

Doch nicht nur Beratungsstellen für Sexarbeiter/innen, auch Organisationen wie beispielsweise die Deutsche Aids-Hilfe e.V. oder ‚pro familia‘, in deren Satzung es heißt: „pro familia verfolgt seine Ziele ferner durch Einflussnahme auf Gesetzgebung und Verwaltung“, wären einem Verdrängungsprozess aus dem öffentlichen Raum ausgesetzt, der erhebliche und nicht hinnehmbare negative Folgen für die von diesen Organisationen beratenen und betreuten Menschen hätte.

Es ist daher dringend erforderlich, dass Angriffen auf die Gemeinnützigkeit wie im Falle von Doña Carmen e.V. und anderen zukünftig mehr Aufmerksamkeit gegeben und mehr politischer Widerstand entgegengesetzt wird.