Erfolg! – Verfassungsbeschwerde gegen Prostituiertenschutzgesetz in Karlsruhe eingereicht!

Am 21. Juni 2017 wurde in Karlsruhe nach einer Kundgebung von Sexarbeiter/innen vor dem Bundesverfassungsgericht die Verfassungsklage gegen das Prostituiertenschutzgesetz übergeben.

Auf einer zuvor von Doña Carmen in Karlsruhe einberufenen Pressekonferenz erläuterte der von mittlerweile 25 Beschwerdeführer/innen beauftragte Anwalt Meinhard Starostik die Kernpunkte der 62 Seiten umfassenden Verfassungsbeschwerde. Dabei kündigte er an, dass man vor den Europäischen Gerichtshof gehen werde, sollte die Klage in Karlsruhe keinen Erfolg haben.

Juanita Henning, Sprecherin von Doña Carmen e.V., betonte, dass es das erste Mal in der Geschichte Deutschlands sei, dass Sexarbeiter/innen in eigener Sache das oberste Gericht anrufen. Es handele sich dabei um einen Akt der Notwehr. Das Einreichen der Verfassungsbeschwerde sei ein wichtiger juristischer Schritt im Kampf gegen das Prostituiertenschutzgesetz. Der Kampf endet damit keineswegs.

Doña Carmen e.V. werde auch in Zukunft gemeinsam mit allen Betroffenen den praktischen und politischen Widerstand gegen dieses Schandgesetz der Bundesregierung unterstützen: „Wir werden nicht sehenden Auges hinnehmen, wie Sexarbeiter/innen einem System entwürdigender Kontrollen unterworfen, ihrer Grundrechte beraubt und mit rechtlicher Billigung in die Position einer vogelfreien gesellschaftlichen Randgruppe gedrängt werden“, so Henning.

Felicitas Schirow, Prostitutionsaktivistin, erklärte, dass das Prostituiertenschutzgesetz gegenüber dem Prostitutionsgesetz von 2002 ein absoluter Rückschritt sei. Während seinerzeit Sexarbeiter/innen selbstbewusst und stolz geworden seien, würde das neue Gesetz Betreiber/innen von Etablissements, die die bei ihnen tätigen Frauen überwachen müssten, in einen Gegensatz zu den Sexarbeiter/innen bringen. Zwangsouting und Hurenpass würden dazu führen, dass Sexarbeiter/innen dazu gezwungen würden, dem Gewerbe den Rücken zu kehren.

Der Bürgerrechtsaktivist Padeluun, Vorsitzender des Datenschutzvereins Digitalcourage e.V. und Jurymitglied der deutschen Big Brother Awards, bekundetet auf der Pressekonferenz seine Solidarität mit dem Kampf der Sexarbeiter/innen gegen das Prostituiertenschutzgesetz. Er kündigte an, dass man dazu aufrufen werde, dass sich Nicht-Sexarbeiter/innen massenhaft als Sexarbeiter/innen anmelden sollten, um die stigmatisierende Logik dieses Anmelderegimes zu unterlaufen.

Vor dem Bundesverfassungsgericht fand anschließend eine Kundgebung von Sexarbeiter/innen und ihren Unterstützern statt. Bevor die Verfassungsbeschwerde im Briefkasten des obersten deutschen Gerichts eingeworfen wurde, sprach Sexarbeiterin Fraences Funk zu den Versammelten und trug dort in Anwesenheit von Medienvertretern das „Karlsruher Statement – ‚Für die Rechte von Sexarbeiter/innen‘“ vor. Wir dokumentieren hier den Text ihrer Rede:

„Heute wenden sich – erstmals in der Geschichte dieses Landes – Sexarbeiter/innen an das Bundesverfassungsgericht. Seit rund fünf Jahren haben wir unsere Stimme erhoben gegen das sich seinerzeit abzeichnende, durch und durch repressive „Prostituiertenschutzgesetz“, das unter dem Vorwand des Schutzes unsere Grundrechte massiv verletzt.

Es stimmt: Wir haben das Gesetz bis heute nicht verhindern können. Aber eines haben wir erreicht: Jede/r in dieser Republik weiß, dass dieses Gesetz gegen den erklärten Willen der betroffenen Sexarbeiter-/innen verabschiedet wurde. Noch so viel Einflussnahme auf Menschen und Medien haben es nicht vermocht, diese große Kluft zwischen Euch und Uns unsichtbar zu machen. Und deshalb sagen wir: Ihr habt den Zenit Eurer Anmaßungen bereits überschritten. Das „Prostituiertenschutzgesetz“ wird scheitern. Und das Scheitern hat bereits begonnen.

● Denn dieses Gesetz steht für eine gesellschaftliche Ächtung aller im Prostitutionsgewerbe tätigen Menschen, die einer zivilisierten Gesellschaft unwürdig ist.

● Dieses Gesetz steht nicht nur für einen maßlosen Kontroll- und Überwachungswahn des Staates. Es räumt auch Bordellbetreiber/innen Kontrollrechte gegenüber Sexarbeiter/innen und damit eine Machtfülle ein, die sie nie zuvor besaßen und die sie nie verlangt haben.

● Dieses Gesetz unterwirft Sexarbeiter/innen dem Generalverdacht, sie seien allesamt unfähig, selbstbestimmt zu handeln. So wird unsere Würde mit Füßen getreten.

● Und schließlich: Ein Gesetz, dass das Grundrecht auf freie Berufswahl für Sexarbeiter/innen aushöhlt und missachtet, ist immer auch ein Angriff auf die sexuelle
Selbstbestimmung aller Frauen.

Dagegen erklären wir ein für alle Mal und unmissverständlich:

Wir sind nicht Eure Opfer! Und schon gar nicht lassen wir uns durch ein Gewirr von Verpflichtungen, Kontrollanlässen und allgegenwärtigen Sanktions-Androhungen erneut zu Täter/innen stempeln!

Es ist schon eine Ironie der Geschichte: Das „Prostituiertenschutzgesetz“ wurde just in dem Jahr verabschiedet, für das die Kriminalstatistik einen erneuten historischen Tiefstand der Kriminalitäts-Belastung im Prostitutionsgewerbe anzeigt.

● Niemals zuvor gab es so wenige mutmaßliche Opfer nach § 180a Strafgesetzbuch („Ausbeutung von Prostituierten“) wie im Jahre 2016!

● Niemals zuvor gab es so wenige Opfer der so genannten „Zuhälterei“ nach § 181a Strafgesetzbuch wie im Jahre 2016!

● Und die Zahl der mutmaßlichen Opfer des so genannten „Menschenhandels zum Zwecke sexueller Ausbeutung“ weist 2016 erstmals eine so niedrige Zahl auf, wie seit 25 Jahren nicht mehr!

All diese Tatsachen strafen das regierungsamtliche Gerede über die Notwendigkeit eines erweiterten engmaschigen Schutzes von Prostituierten Lügen. Eure „Schutz“-Lüge zerplatzt wie eine Seifenblase! Erneut bewahrheitet sich das alte Sprichwort: ‚Lügen haben kurze Beine‘.

Trotzdem setzt Ihr auf Repression und gilt ab 1. Juli 2017: Keine Pommesbude wird hierzulande so engmaschig kontrolliert und überwacht wie Prostitutions-Etablissements und die in diesem Gewerbe tätigen Sexarbeiter/innen!

Dazu möchten wir sagen: Wir werden dagegen halten! Niemals werden Sexarbeiter/innen ein Gesetz akzeptieren, dass sie zu Menschen zweiter Klasse degradiert und ihnen die Anerkennung und den Respekt verweigert, der ihnen wie allen anderen Bürger/innen dieses Landes zusteht.

Auch wir haben einen Traum: Dass sexuelle Dienstleistungen ohne Stigmatisierung, ohne rechtliche Diskriminierung und ohne gesellschaftliche Ächtung erfolgen können und – für den, der es möchte – so selbstverständlich werden wie der Kauf von Brötchen beim Bäcker um die Ecke. Auch wir Sexarbeiter/innen haben unveräußerliche und unteilbare Menschenrechte! Diese gilt es zu respektieren. Nicht in ferner Zukunft, sondern hier und heute. Deshalb fordern wir: Weg mit dem „Prostituiertenschutzgesetz“!“

Das ‚Karlsruher Statement‘ von Fraences wurde mit lautem Beifall quittiert. Das Einreichen der Verfassungsbeschwerde wurde anschließend von den Anwesenden bei einem gemeinsamen Umtrunk gefeiert. Eine Etappe der Auseinandersetzung wurde damit erfolgreich abgeschlossen. Allen Anwesenden war allerdings klar, dass der Kampf um eine Reglementierung des Prostitutionsgewerbes, die auf rechtlicher Geleichbehandlung mit anderen beruflichen Betätigungen und auf dem Respekt gegenüber Sexarbeiter/innen beruht, weiter gehen wird.
PS.
Bitte helfen Sie uns, die noch zu begleichenden Kosten der Kampagne für die Verfassungsbeschwerde gegen das Prostituiertenschutzgesetz zu begleichen. Danke!

Spendenkonto für Verfassungsbeschwerde
gegen das ‚Prostituiertenschutzgesetz‘:

Doña Carmen e.V.
IBAN DE44 5005 0201 1245 8863 61
BIC   HELADEF1822
Frankfurter Sparkasse