Für Öffnung der Bordelle,
gegen Kontaktdaten-Erhebung bei Sexarbeit!
Unter dem Motto „Grünes Licht fürs Rotlicht“ demonstrierten am Samstag, den 19.09.2020, auf dem Frankfurter Opernplatz rund 60 Frauen und Aktivisten/innen. Sie forderten ein Ende der seit sechs Monaten bestehenden Schließung der Bordelle und die Rückkehr zu akzeptablen Arbeits- und Gesundheitsstandards jenseits informeller Strukturen, in die viele Sexarbeiter/innen durch die unsägliche Schließungs-Politik des Bordell-Lockdowns abgedrängt würden.
Juanita Henning vom Verein Doña Carmen e.V., der die Frankfurter Protestaktion organisiert hat, geißelte den rechtspolitischen Flickenteppich der unterschiedlichen Regelungen zu Prostitution, der mittlerweile ganz Deutschland überziehe und jeglicher Beschreibung spotte. Sie forderte den sofortigen Fall des Bordell-Lockdowns in den letzten vier Bundesländern: neben Hessen sind das Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern. Es sei von mindestens sieben Gerichten inzwischen festgestellt, dass die Schließung von Prostitutions-Etablissements sowie das Verbot von Sexarbeit weder notwendig, noch verhältnismäßig noch geeignet seien, um Covid-19 einzudämmen. Leider habe sich das bis Hessen noch nicht herumgesprochen.
Valentina, in Deutschland lebende kolumbianische Aktivistin für die Rechte von Sexarbeiter/innen war wütend. Sie prangerte die unwürdigen Schikanen des Jobcenters an, die viele Frauen bei der Beantragung des angeblich „vereinfachten“ ALG-II-Bezugs erleben. Sie bezog sich dabei auf die Erfahrungen aus der Betreuung von mehr als einhundert Frauen, die sie bislang bei der Beantragung von Hartz IV unterstützt habe.
Natalia, in Frankfurt tätige Sexarbeiterin aus Rumänien forderte: „Lasst uns endlich arbeiten“. Sexarbeiterinnen seien nicht aus Rumänien nach Deutschland gekommen, um hier Hartz IV zu beziehen oder sich ins Abseits der Straßen- und Hotelprostitution drängen zu lassen. Der Zugang zur Gesundheitsversorgung habe sich unter diesen Bedingungen erheblich verschlechtert. Sie hoffe, dass ihr Redebeitrag auf der Demo dazu beitrage, die Schließung der Häuser wieder rückgängig zu machen.
Mit Nadine Maletzki aus Frankfurt und Annette aus dem Main-Kinzig-Kreis kamen zwei Betreiber/innen von Prostitutions-Etablissements zu Wort. Maletzki war sichtlich erbost darüber, dass die Argumente von Seiten der Bordellbetreiber/innen von der Politik regelmäßig überhört würden. Man sei bereit und in der Lage sämtliche Hygienestandarad umzusetzen. Zudem handelte es sich bei sexuellen Dienstleistungen im Bordell um eher kurzzeitige Begegnungen im überschaubaren Verhältnis von 1:1. Die Kunden würde im Bordell schließlich nicht ihre Hochzeitsnacht verbringen. Völlig in Rage brachte sie, das in Frankfurt allerorts feucht-fröhliche Zusammenkünfte ohne Wahrung jeglicher Corona- Eindämmungs-Regeln möglich seien, ein Bordellbesuch unter Einhaltung von Regeln aber nach wie vor verboten bleibe. Sie warf den Behörden das Messen mit zweierlei Maß vor.
Ähnlich sah es Annette, Betreiberin eines kleinen Bordells im osthessischen Main-Kinzig-Kreis. Jahrelang habe sie sich um die Einhaltung behördlicher Regeln gekümmert, angefangen vom „Düsseldorfer Verfahren“ der Steuereintreibung bei den Frauen über die Beachtung, dass Frauen nur nach einem Gesundheitscheck und mit Hurenpass bei ihr tätig sein dürfen bis hin zur Abweisung von Kunden aufgrund des Corona-Lockdowns. Das habe sie anfänglich noch eingesehen, mittlerweile aber fehle ihr dafür jedes Verständnis. Wer sich an die Regeln halte, sei letztlich mal wieder der Dumme, erklärte sie und forderte, die Bordell-Schließungen umgehend zurückzunehmen und das Prostitutionsgewerbe nicht mit einer unsinnigen Kontaktdaten-Erhebung im Bordell weiterhin unter Druck zu setzen.
Kritisch zur Kontaktdaten-Erhebung äußerte sich auch Roland Schäfer der für die Datenschützer Rhein-Main auf der Kundgebung sprach. Auf Kontaktdaten im Bordell könnten am Ende nicht nur die Gesundheitsämter, sondern im Zweifel auch Strafverfolgungsbehörden zurückgreifen. Die Sicherheit der dort erhobenen Daten zweifelte er an und verwies dabei auch auf das saarländische Verfassungsgericht, dass die Kontaktdatenerhebung in diesem Bundesland jüngst für verfassungswidrig erklärt hat.
Tobias Weißert vom Rhein-Main-Bündnis gegen Sozialabbau und Mitverfasser der vom Verein Klartext e.V. herausgegebenen Streitschrift „Lockdown nicht nochmal!““ (vgl. dvs-buch.de) kritisierte, wie die Eindämmung von Corona von der Politik allenthalben missbraucht wird, um in der Bevölkerung ein Klima der Angst zu schaffen, das durch den tatsächlichen Verlauf der Corona-Entwicklung bisher jedenfalls nicht gerechtfertigt sei. Vor allem sei Covid-19 nicht das „Killervirus“, als dass es von interessierter Seite dargestellt werde. Er hob hervor, dass sich die gegenwärtige Lockdown-Politik gegenüber Prostitution einfüge in eine Politik des Ausschlusses von frei gelebter Sexualität, durch die sich die bürgerliche Gesellschaft schon immer ausgezeichnet habe.
Madame Kali Dreadful, in NRW und Niedersachsen als Domina in der Sexarbeit tätig und Mitglied im BesD, solidarisierte sich mit den Zielen der Demo und griff die Verweigerungshaltung der Politik an, wenn es darum geht, mit Sexarbeiter/innen über ihre Forderungen ins Gespräch zu kommen. Schließlich sei man Experte in Sachen Hygiene. Auch sie forderte die Aufhebung sämtlicher bestehender Prostitutionsverbote.
Aus Stuttgart übermittelte der Betreiber John Heer den Kundgebungsteilnehmenden per Grußwort seine Solidarität wünschte der Frankfurter Protestaktion viel Erfolg. John Heer hatte im März dieses Jahres Aufsehen erregt, als er sich weigerte, seine Häuser für die vom Lockdown betroffenen rumänischen Frauen einfach zu schließen. Er ließ die nun auf der Straße sitzenden Frauen weiter in seinen Etablissements wohnen.
Mit Howard Chance ergriff ein Vertreter des Bündnisses „Zukunft Rotlicht“ das Wort. Er sprach der gegenwärtigen Lockdown-Politik gegenüber dem Prostitutionsgewerbe, aber auch der andauernden Nadelstichtaktik gegenüber einzelnen Rotlicht-Etablissements jede Sinnhaftigkeit und Glaubwürdigkeit ab. Der Bordell-Lockdown müsse jetzt auch in Hessen und den verbleibenden Bundesländern fallen.
Im Anschluss an die Kundgebung zog eine selbstbewusste und kämpferische Demonstration mit rund 50 Teilnehmenden und fetziger Musik durch die Frankfurter Innenstadt ins Bahnhofsviertel. Unter den Demonstranten war, was die Organisatoren sehr freute, auch ein Rolli-Fahrer. Die Passanten verfolgten den Protest mit Aufmerksamkeit und Neugier.
Auf der Abschlusskundgebung an der Ecke Taunusstraße / Elbestraße kündigte Nadine Maletzki die spontane Öffnung ihres Bordells an, an dessen Fassade ein Spruchband hing mit der Aufschrift „Öffnet die Bordelle! – Legal statt illegal. Wir können Hygiene“. Doña Carmen e.V. begrüßte diesen Akt des zivilen Ungehorsams.
Verlesen wurde zudem ein Grußwort des sozialpolitischen Sprechers der FDP im Hessischen Landtag, der sich mit den Zielen der Demonstration solidarisierte. Viele fragten sich: Gibt es überhaupt noch Liberale in der FDP? Ja, es gibt sie wohl noch. Zumindest einen: Er heißt Yanki Pürsün und hat als einziger hessischer Politiker den Mut bewiesen, sich mit der Forderung nach Öffnung der Bordelle zu solidarisieren. Chapeau, Herr Pürsün!
Den Abschluss der Frankfurt Protestaktion bildete ein Redebeitrag von Fraences, Sexarbeiterin und Doña-Carmen-Aktivistin. Mit scharfen Worten geißelte sie, dass Sexarbeiterinnen in der Öffentlichkeit als „besondere Infektionsgefahr“ hingestellt und mit dem Etikett „Superspreader“ versehen würden, ohne dass es dafür auch nur die geringste Spur eines nachprüfbaren Beweises gäbe – und obwohl Bordelle in der Schweiz, in den Niederlanden und auch in den meisten Bundesländern bereits seit Längerem wieder geöffnet seien. Was also spricht gegen eine umgehende Öffnung der Prostitutions-Etablissements auch in Hessen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und in Mecklenburg-Vorpommern?
PS. Nachfolgend der Wortlaut verschiedener Grußworte bzw. die Redebeiträge der aus gesundheitlichen Gründen leider verhinderten Redner/innen:
Grußwort Coco Sexarbeiterin Straßburg Frankreich
Grußwort des Abgeordneten Yanki Pürsün
Der Datenschutz und die Wiederöffnung der Bordelle
Hier: Links zur Berichterstattung über die Demo