Pressemitteilung – Bundesrat berät „Prostituiertenschutzgesetz“:

Reaktionäre Kompromisse auf Kosten von Sexarbeiter/innen

Am morgigen 13. Mai 2016 berät der Bundesrat über „Empfehlungen“ zu dem von der Bundesregierung vorgelegten Entwurf eines „Prostituiertenschutzgesetzes“.

Die 21 Empfehlungen, die zur Abstimmung stehen, stammen von sechs Ausschüssen des Bundesrats: vom Ausschuss für Frauen und Jugend, vom Finanzausschuss, vom Gesundheitsausschuss, vom Ausschuss für Innere Angelegenheiten, vom Rechtsausschuss und vom Wirtschaftsausschuss. Diese Empfehlungen wurden am 2. Mai 2016 veröffentlicht und haben Hoffnungen geweckt, die Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland kämen im Zuge der Gesetzesberatung zur Besinnung und würden das von der Großen Koalition geplante repressive Anti-Prostitutions-Gesetz auf dem letzten Meter doch noch zu Fall bringen.

Allerdings: Die Hoffnung dürfte trügen. Diese Einschätzung ist blauäugig.

Das belegt ein Blick auf die von den Bundesrats-Ausschüssen vorgelegten Empfehlungen. Zwei dieser Empfehlungen zielen auf eine Verschärfung des vorliegenden Gesetzentwurfs (10 / 21), zwei weitere(1 / 9) beinhalten lediglich formelle Ergänzungen.

Interessant ist demgegenüber eine Reihe von Empfehlungen, die auf den ersten Blick darauf hinauszulaufen scheinen, Kernbereiche des vorliegenden Gesetzentwurfs grundsätzlich in Frage zu stellen: Die weitestgehende Empfehlung 4 fordert eine Streichung der §§ 3 – 11 des ProstSchG. Sie bedeutet nichts Geringeres als die Streichung sämtlicher Paragrafen zur Anmeldepflicht, die Streichung der Pflicht zur Teilnahme an einer Gesundheitsberatung sowie die Streichung der Möglichkeit von Anordnungen gegenüber Sexarbeiter/innen

Bemerkenswert sind auch die Empfehlung 16 (Streichung der beabsichtigten Trennung von Arbeits- und Schlafräumen), die Empfehlung 17 (Überprüfung der behördlichen Kontrollrechte im Hinblick auf die Betretung von Wohnungen, in denen der Prostitution nachgegangen wird) und Empfehlung 18 (Streichung der Kondompflicht).

Die Empfehlung 3 beinhaltet einen Prüfauftrag hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Erlaubnispflicht in Anwendung auf Kleinstbetriebe (ab 2 Sexarbeiter/innen).

Die Begründung dieser Empfehlungen ist aufschlussreich: Sie verdeutlichen, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf die Grundrechte für Sexarbeiter/innen systematisch untergraben werden. Die vorgetragenen Begründungen bestätigen die Kritik von Sexarbeiter/innen, dass dieses Gesetz alle möglichen Ziele verfolgt, nur nicht die des „Schutzes“ der Betroffenen.

Die genannten „Empfehlungen“ sind somit ein beschämendes Eingeständnis, dass die Kritik von Sexarbeiter-Seite am vorliegenden Gesetzentwurf völlig zu Recht besteht und es sich dabei um eine einzige Mogelpackung handelt, deren eigentlicher Kern repressiv ist und die Grenze zur Verfassungswidrigkeit überschreitet.

Besteht somit begründete Hoffnung darauf, dass die genannten Empfehlungen eine radikale Kehrtwende in der Debatte um das „Prostituiertenschutzgesetz“ einleiten könnten?

Davon ist nicht auszugehen.

Zum einen handelt es sich lediglich um Empfehlungen, denen der Bundesrat in seinen Beratungen am 13. Mai keineswegs folgen muss. Zum anderen kommen die gesetzeskritischen Empfehlungen ausschließlich vom Ausschuss für Frauen und Jugend sowie vom Gesundheitsausschuss, während die übrigen, durchaus schwergewichtigen Ausschüsse sich bezeichnenderweise bedeckt halten und sich die kritischen Empfehlungen ausdrücklich nicht zu eigen machen.

Hinzu kommt: Die Ausschüsse Frauen/Jugend und Gesundheit formulieren eine Vielzahl von „Hilfsempfehlungen“, die lediglich Teilaspekte ihrer weitgehenderen Empfehlung 4 beinhalten. Sie bringen damit zum Ausdruck, dass sie selbst nur von einer bestenfalls bruchstückhaften Akzeptanz ihrer Grundposition ausgehen und bereit sind, Kompromisse zu schließen – Kompromisse auf Kosten der Sexarbeiter/innen.

Den wohl größten Kompromiss aber haben die Vertreter dieser beiden Ausschüsse in ihren Empfehlungen selbst bereits festgeschrieben: Selbstverständlich akzeptieren sie das reaktionäre „Kernelement“ des vorliegenden Gesetzentwurfs, die „Erlaubnispflicht für Prostitutionsgewerbe“! Es verdeutlicht die durch und durch verlogene Scheinliberalität dieser Bundesratsausschüsse, dass sie mit der Erlaubnispflicht einhergehende patriarchalen Kontrolle und Überwachung von Sexarbeiter/innen durch Betreiber, die damit verbundene Weitergabepflicht von persönlichen Daten der Sexarbeiter/innen an Polizei und Behörden sowie die damit gegebene Möglichkeit der Erstellung umfassender Bewegungsprofile von Sexarbeiter/innen ausdrücklich keiner Überprüfung der Verhältnismäßigkeit, der Geeignetheit, der Normenklarheit oder der Verfassungsmäßigkeit unterwerfen.

Die „Erlaubnispflicht“ ist im Hinblick auf das Prostitutionsgewerbe weder notwendig noch angemessen. In ihrer konkreten Ausgestaltung beinhaltet sie zudem hinsichtlich einer Vielzahl von Aspekten eine diskriminierende Abweichung von gängigen gewerberechtlichen Ausprägungen der Erlaubnispflicht. Die Folge: Damit wird eine abolitionistisch motivierte Politik der Schließung von Prostitutionsetablissements, eine Politik der massiven Vernichtung von Arbeitsplätzen in der Prostitution eingeleitet – mit Billigung sämtlicher Ausschüsse des Bundesrats.

In diesem Punkt sind sich alle einig, bevor eine inhaltliche Debatte im Bundesrat überhaupt begonnen hat. Deswegen gibt es auch zu den polizeistaatlichen Elementen des so genannten „Prostituiertenschutzgesetzes“ (Betretungsrechte in Wohnungen) bzw. zu einer möglichen „Kleingewerberegelung“ (Verzicht auf Erlaubnispflicht für kleine Bordelle) lediglich hasenfüßige „Prüfaufträge“.

Die beiden Bundestagsausschüsse, die nur scheinbar am reaktionären Grundkonsens der herrschenden Parteien rütteln, betreiben nichts weiter als Gesichtswahrung. So wird man später einmal sagen können: „Wir haben doch die Argumente der Sexarbeiter/innen aufgegriffen! Aber leider sind wir damit nicht durchgekommen….“

Man wird solchen scheinliberalen Mitgliedern des Bundesrats allerdings entgegenhalten müssen, dass sie die Kritik von Sexarbeiter-Seite nicht mal im Ansatz begriffen haben. Denn penetrant verbleiben sie in der fürsorglichen Logik des Schutzes, die Sexarbeiter/innen entmündigt. Man wendet erneut die Phrase des Schutzes gegen den repressiven Kern des geplanten Gesetzes. Doch das ist ein müßiges, überflüssiges Geschäft. Denn die Schutz-Ideologie weicht notwendigerweise vom repressiven Kern des Gesetzes ab. Nur so erlangt es die nötige gesellschaftliche Akzeptanz.

Eine konsequente und durchdachte Kritik am so genannten „Prostituiertenschutzgesetz“ wäre der Verweis auf die durchgängig bestehende rechtliche Ungleichbehandlung des Prostitutionsgewerbes.

Allein das „Prostituiertenschutzgesetz“ enthält nachweislich mehr als 50 rechtliche Ungleichbehandlungen gegenüber anderen Gewerben. Die Existenz diskriminierender strafrechtlicher Sonderbestimmungen zu Prostitution im Strafrecht neben der jetzt geplanten (Karikatur einer) gewerberechtlichen Reglementierung ist eine hervorstechende und durch nichts zu rechtfertigende Ungleichbehandlung, gegen die der Bundesrat offenbar nichts einzuwenden hat. Von anderen Gesetzesmaterien wie dem Aufenthaltsgesetz, dem Ordnungswidrigkeitengesetz, der Strafprozessordnung, den Polizeigesetzen etc. ganz zu schweigen.

Eine halbwegs konsequente Kritik an der rechtlichen Ungleichbehandlung von Prostitution sucht man bei den Ausschüssen des Bundesrats vergebens. Auch bei ihnen besteht ein reaktionäres Einverständnis mit den repressiven Grundintentionen herrschender Prostitutionspolitik. Deswegen ist ihre in den Empfehlungen zur Schau gestellte Kritik nichts weiter als Blendwerk und eine hohle Geste, für die man sich nichts kaufen kann.

Und nur zur Erinnerung: Bereits im Beschluss des Bundesrats vom 11.04.2014 (Drucksache 71/14) hat sich dieses Gremium ausdrücklich für eine „Erlaubnispflicht“ für Prostitutionsstätten und für eine (gewerberechtliche) Anzeigepflicht von Sexarbeiter/innen ausgesprochen.

Die jetzigen Empfehlungen des Bundesrats in ihrer Gesamtheit betrachtet laufen darauf hinaus, den von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf verfassungsrechtlich unangreifbar, praktikabel und die Repression von Sexarbeit für die Länder möglichst kostengünstig zu machen.

Es besteht also keine Veranlassung ein solches Vorgehen zu beklatschen.

Heißt das nun, dass der Gesetzentwurf der Bundesregierung den Bundesrat ungeschoren passieren wird?

Nicht unbedingt. Denkbar wären durchaus einige Korrekturen, damit das Gesetz in der Praxis möglichst wirksam und geräuschlos zum Einsatz kommt. Dazu könnten zählen:

(1) Änderungen an der Ausgestaltung der Anmeldepflicht in folgendem Sinne: (a) die Möglichkeit der örtlichen Anmeldung wird vereinheitlicht, kein Sonderrecht der Bundesländer; (b) auf die Erfassung der „gelegentlichen Prostitution“ wird verzichtet; (c) Abspecken des Informations- und Beratungsgesprächs, stattdessen Einbeziehung linientreuer Fachberatungsstellen.

(2) Die Gesundheitsberatung könnte als Pflicht abgeschafft und als „Anreiz“ eingebaut werden: Wer sich (freiwillig!!) gesundheitlich beraten lässt, bekommt einen größeren Gültigkeitszeitraum hinsichtlich der Anmeldebescheinigung (Hurenpass).

(3) Die Kondompflicht kommt raus aus dem Gesetz, das können die Bundesländer per Verordnung machen.

(4) Die beabsichtigte Trennung von Arbeitsplatz / Schlafplatz kommt weg, weil es eine zu offensichtliche Schikane darstellt.

Eine Bewegung der Sexarbeiter/innen, die sich mit solch billigen Retuschen abspeisen ließe, würde auch in Zukunft politisch nicht ernst genommen werden. Denn eine derartige Kosmetik bedeutet einzig und allein, dass das Kernelement der Repression, die Erlaubnispflicht für Prostitutionsgewerbe, durchgewinkt würde.

Doña Carmen e.V. fordert eine konsequente rechtliche Gleichbehandlung von Prostitution mit anderen Gewerben. Diskriminierendes Sonderrecht gegenüber Prostitution muss endlich abgeschafft werden.