Prostitution ist ein Menschenrecht

Nicht der Tausch „Sex gegen Geld“ kennzeichnet professionelle Prostitution, sondern die Gewährung sexueller Befriedigung auf Basis einer wechselseitig vereinbarten Trennung von Sexualität und Liebe. Mit der Trennung von Sexualität und Liebe steht Prostitutionstätigkeit quer zum tradierten, vorherrschenden und von christlichen Fundamentalisten als exklusiv propagierten Konzept der „Einheit von Sexualität und Liebe“. Dies ist der tiefere Grund für die anhaltende Diskriminierung von Prostitution.

Das in bürgerlichen Gesellschaften favorisierte Konzept der Einheit von Sexualität und Liebe unterliegt schon lange einem Erosionsprozess, wie er sich etwa im Übergang von lebenslanger Monogamie zu serieller Monogamie dokumentiert. Mehr Spielräume für sexuelle Freizügigkeit: Ein Teil der Gesellschaft reagiert darauf verunsichert mit Repression, ein anderer Teil sah darin vorschnell eine „sexuelle Revolution“. Beide Sichtweisen sind unangemessen. Fakt ist: Gerade in modernen Gesellschaften, die auf ökonomisch erzwungener sozialer und geografischer Mobilität sowie beruflicher Flexibilität beruhen, erweist sich das in der Prostitution praktizierte Modell der Trennung von Sexualität und Liebe als funktionales, entwicklungsfähiges und akzeptables Konzept sexueller Selbstbestimmung. Nicht Prostitutionstätigkeit an sich, sondern ihre ständige rechtliche Diskriminierung steht im Widerspruch zu sexueller Selbstbestimmung.

Auf der politischen Agenda der Bewegung für eine freie, kluge und selbstbewusste Gesellschaft steht daher die rechtliche Anerkennung von Prostitution, das Recht auf arbeitsvertragliche Regelung von Beschäftigungsverhältnissen in der Prostitution sowie die Gewährung von Arbeitnehmerschutz und Sozialversicherungsschutz. Prostituierte brauchen Rechte – nicht für den Ausstieg aus der Prostitution, sondern zu ihrer Ausübung unter menschenwürdigen Umständen. Prostitution ist ein Menschenrecht.

Um dieses soziale Anliegen zu konterkarieren, wird öffentlich und in den Medien oft die Ansicht vertreten, Prostitution sei untrennbar verbunden mit Gewalt, Zwang, Ausbeutung und Menschenhandel. Diese Lebenslüge der bürgerlichen Gesellschaft beruht auf unzulässiger Verallgemeinerung und Dramatisierung von Einzelfällen. Man unterschlägt, dass Gewalt gerade aus der gesellschaftlichen Marginalisierung von Prostitution, nicht aus der Prostitutionstätigkeit als solcher resultiert.

Eine Kriminalisierung von Prostitutionskunden schützt Prostituierte nicht vor Gewalt, sondern ist eine primitive Strategie der Diskriminierung von Prostitution. Niemand käme auf die absurde Idee, Taxifahrer, Kioskbesitzer oder Tankstellenpächter durch Kriminalisierung ihrer Kundschaft zu schützen.

Die Strategie der Kriminalisierung von Prostitutionskunden beruft sich auf das große Missverständnis von Feministinnen, Prostitution sei patriachalisch und frauenfeindlich. Das ist ein Irrtum. Nicht Prostitution ist patriachalisch, sondern das exklusive Recht der Männer auf Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen im Rahmen von Prostitution. Emanzipation würde bedeuten, dass beide Geschlechter ein solches Recht in Anspruch nehmen könnten. Die gegenwärtige Allianz von konservativen Feministinnen und Staatsmacht hat keine zukunftsweisende historische Perspektive. Denn sie erfolgt nicht nur auf Kosten der Prostituierten und ihrer Kunden, sondern zielt auf die gesellschaftliche Kontrolle der Sexualität der Frau und ihrer Reproduktionsfähigkeit unter anderem zwecks Steigerung der Geburtenrate.

PS.: Dieser Text von Doña Carmen e.V. wurde am 13. Februar 2006 in der Stockholmer Tageszeitung ‚Aftonbladet’ veröffentlicht.