Aussetzen statt umsetzen!

Chaos-Tage bei der Umsetzung des ‚Prostituiertenschutzgesetzes‘:
Schwesig-Ministerium treibt Sexarbeiter/innen mit unausgegorenen Rechtsverordnungen in Illegalität

Die am 31. März 2017 vom Bundesfamilienministerium veröffentlichten Entwürfe einer „Prostitutions-Anmeldeverordnung“ (ProstAV) und einer „Prostitutions-Statistikverordnung“ (ProstStatV) zeigen: Das Umsetzungs-Chaos beim ‚Prostituiertenschutzgesetz‘ geht munter weiter.

§ 36 Prostituiertenschutzgesetz ermächtigt das Bundesfamilienministerium zum Erlass dreier Rechtsverordnungen:

  • eine Rechtsverordnung zur näheren Bestimmung der Mindestanforderungen an Prostitutionsstätten sowie der Anforderungen zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit von Prostituierten;
  • eine Rechtsverordnung zur näheren Bestimmung des Anmeldeverfahrens von Sexarbeiter/innen;
  • sowie eine Rechtsverordnung hinsichtlich näherer Vorschriften zur Führung der Bundesstatistik.

Erst drei Monate vor Inkrafttreten des Gesetzes sieht sich das Schwesig-Ministerium imstande, dazu Vorlagen zu liefern. Das Ergebnis ist Murks.

1.
Hinsichtlich der ersten Rechtsverordnung hat das Ministerium unmittelbar vor Inkrafttreten des Gesetzes gleich die Segel gestrichen: „Eine Rechtsverordnung nach § 36 Absatz 1 ProstSchG zur näheren Bestimmung von Mindestanforderungen an Prostitutionsstätten etc. ist in dieser Legislaturperiode nicht geplant“, heißt es lapidar im jüngsten Schreiben des Ministeriums vom 31.03.2017.

Im Klartext: Es wird nun der Willkür örtlicher Behörden anheimgestellt sein, die in vielen Formulierungen ausgesprochen vagen und damit interpretationsfähigen Passagen der § 18 („Mindestanforderungen an zum Prostitutionsgewerbe genutzte Anlagen“), § 19 („Mindestanforderungen an Prostitutionsfahrzeuge“) und § 24 ProstSchG („Sicherheit und Gesundheitsschutz“) in eigenem Ermessen zu deuten. Mit anderen Worten: Was in Frankfurt erlaubt ist, muss in Offenbach noch lange nicht gelten.

Rechtssicherheit für Betreiber/innen von Prostitutionsstätten ist das nicht.

Ausgerechnet bei jenen Punkten, bei denen die Bundesregierung bemüht war, sich als Sachwalter der Anliegen von Prostituierten in Szene zu setzen, kneift das Ministerium nun:
Heiße Luft statt klarer, bestimmter Vorgaben!

2.
Dafür präsentiert das Ministerium nun aber den – in der Bundesregierung noch nicht einmal ressortübergreifend abgestimmten – Referentenentwurf einer „Verordnung über das Verfahren zur Anmeldung einer Tätigkeit als Prostituierte oder Prostituierter“ (ProstAV).

Der Entwurf dieser Verordnung verdeutlicht vor allem eines: Das ‚Prostituiertenschutzgesetz‘ wird an den Widersprüchen seines eigenen, maßlosen Kontrollwahns scheitern.

Per Gesetz werden Sexarbeiter/innen genötigt, bei der Anmeldung vorab alle Tätigkeitsorte zu nennen, in denen sie planen, zukünftig der Prostitution nachzugehen. Es wird ihnen untersagt, an einem Ort in einem Prostitutions-Etablissement tätig zu werden, wenn der Ort nicht vorab in ihrem Hurenpass eingetragen ist. Was als veritables Mittel der Schikane und als gezielte Behinderung der Berufsausübung konzipiert ist, beißt sich freilich mit dem ebenfalls verfolgten Staatsziel einer Stigmatisierung von Sexarbeiter/innen in Form der Mitführpflicht eines Hurenpasses („Anmeldebescheinigung“).

Letzterer hat allerdings laut Verordnungs-Entwurf in 16 Zeilen nur 480 Zeichen Platz für alle geplanten Tätigkeitsorte. Die Folge ist ein unauflösbarer Widerspruch, den der Verordnungs-Entwurf wie folgt formuliert: „Die Prostituierten können beliebig viele Länder und Kommunen als geplante Tätigkeitsorte benennen. Die Bescheinigung kann nicht so gestaltet werden, dass alle Länder und alle Kommunen in die Bescheinigung aufgenommen werden können. Der in dem Vordruck für diesen Zweck vorgesehene Platz wird jedoch für die praktischen Anforderungen als ausreichend angenommen.“ (ProstAV, S. 9)

Diese ministerielle „Annahme“ könnte sich schnell als Irrtum erweisen.

Dadurch, dass Sexarbeiter/innen einerseits unter Androhung von Sanktionen abverlangt wird, alle zukünftig geplanten Tätigkeitsorte zu benennen und in ihren Hurenpass eintragen zu lassen, ihnen andererseits diese Möglichkeit aber durch einen dem Umfang nach begrenzten Hurenpass vorenthalten wird, ist eine schleichende Illegalisierung und Kriminalisierung von Sexarbeiter/innen vorprogrammiert.

Die Verfasser/innen des Verordnungs-Entwurf spüren natürlich diesen Widerspruch und versuchen ihn durch abenteuerliche Konstruktionen zu entschärfen: „Einmalige oder gelegentliche Tätigkeiten an nicht angemeldeten Tätigkeitsorten“ oder eine „aus besonderem Anlass ausgeübte Tätigkeit an einem nicht angezeigten Ort“ sollen nunmehr – im Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes – erlaubt sein und bedürften angeblich keiner (nachträglichen) Anzeigepflicht (S. 9).

Eine über den Wortlaut des Gesetzes hinausgehende Auslegung seitens eines Ministeriums oder einer Behörde ist jedoch unzulässig. Hiermit werden Sexarbeiter/innen gezielt in eine Falle gelockt: Das angegebene Verfahren widerspricht offenkundig den Bestimmungen von § 2 Abs. 2 ProstSchG, wonach auch „gelegentliche Prostitution“ unter das Gesetz und dessen Vorgaben fällt (Begründung ProstSchG, S. 60). Ohne einen entsprechenden Eintrag im Hurenpass dürfen zudem Betreiber/innen eines Prostitutionsgewerbes Sexarbeiter/innen gemäß § 27 Abs. 2 (vgl. S. 92 Begründung ProstSchG) nicht bei sich arbeiten lassen, wenn der entsprechende Ort im Hurenpass fehlt – einmalige und gelegentliche Tätigkeit hin, besonderer Anlass her.

Sollten diese Verordnungen Rechtskraft erlangen, wären die Sexarbeiter/innen erneut die Gefoppten. Jeder örtliche Revierpolizist, der sich an den Wortlaut des Gesetzes hält, könnte Sexarbeiter/innen völlig zu Recht mit Platzverweis und Sanktionen belegen. Auch Betreiber/innen von Prostitutions-Etablissements riskieren heftigen Ärger bis hin zum Verlust ihrer Konzession, würden sie Sexarbeiter/innen „aus besonderem Anlass“, „einmalig“ oder „gelegentlich“ – ohne entsprechende Eintragung im Hurenpass – bei sich tätig werden lassen.

Die billigend in Kauf genommene Begrenzung für Eintragungen zukünftiger Tätigkeitsorte von Sexarbeiter/innen im Hurenpass zeigen vor allem eins: den ungebrochenen Willen der politischen Klasse zur Einschränkung des Grundrechts auf freie Berufsausübung im Falle von Sexarbeit. Das wird sicherlich das Bundesverfassungsgericht interessieren.

Der Entwurf einer Anmelde-Verordnung ist – wie sich zeigt – der vergebliche Versuch, die inneren Widersprüchen des Gesetzes auszutarieren und die Betroffenen mit windigen Konstruktionen in die Sanktionierungs-Falle zu locken.

Ein weiterer Widerspruch kennzeichnet die Datenübermittlung von der Anmeldebehörde an die zuständigen Überwachungsbehörden der geplanten Tätigkeitsorte.

Einerseits seien auf diesen Datentransfer „die Maßstäbe für die Verarbeitung besonderer (sensibler) personenbezogener Daten anzuwenden“ und der Datenaustausch mittels standardisierter elektronischer Datenaustauschverfahren (sprich: Email) „einem Austausch in Papierform vorzuziehen“. Auf der anderen Seite wird den Behörden in der Übergangszeit bis zum 30.06.2018 die Möglichkeit eingeräumt, dass „Daten in Papierform ausgetauscht werden können.“

Datenschutzrechtliche Vorgaben werden hier nach Maßgabe der nicht vorhandenen technischen Möglichkeiten von Behörden locker zur Disposition gestellt. Man stelle sich nur mal bildlich vor, wie die Briefe mit hoch sensiblen persönlichen Daten von Mitarbeiter/innen der Poststelle der jeweiligen Behörde „verarbeitet“ werden.

3.
Ein weiteres bezeichnendes Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit findet sich in dem vom Schwesig-Ministerium vorgelegten Entwurf einer „Verordnung über die Führung einer Bundesstatistik nach dem Prostituiertenschutzgesetz (Prostitutions-Statistikverordnung – ProstStatV)“.

Bei der Berechnung des Zeit- und Kostenaufwandes der Prostitutions-Statistik wird offenkundig, dass das Familienministerium drei Monate vor Inkrafttreten des Gesetzes noch immer keinen blauen Dunst von der tatsächlichen Anzahl der „zuständigen Behörden“ hat, bei denen Prostituierte ihre Tätigkeit anmelden und die dann Daten an die Statistischen Landesämter liefern sollen: „Die Landesregierungen können auf Grundlage von Artikel 297 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch für das ganze Gebiet oder Teile einer Gemeinde mit einer Einwohnerzahl bis zu 50 000 ein Verbot der Prostitution erlassen (Sperrbezirk). Es kann daher nicht angenommen werden, dass jeder Kreis eine Stelle zur Anmeldung der Prostituierten einrichtet. Mangels vorliegender Erkenntnisse über die Anzahl an Sperrgebieten in Deutschland muss eine Schätzung vorgenommen werden. Es wird daher angenommen, dass in etwa 10 Prozent der angenommenen Fallzahl ein Sperrgebiet vorliegt.“ (ProstStatV, S. 10)

Bei „insgesamt rund 400 Kreisen und kreisfreien Städten“ würde es mithin nach dieser Schätzung rund 360 für die Anmeldung von Sexarbeiter/innen „zuständige Behörden“ geben.
Hierbei wird es sicherlich noch manche Überraschung geben.

Die nun vom Bundesfamilienministerium in die Lande verschickten Verordnungs-Entwürfe dokumentieren vor allem eins: den von keiner Rücksichtnahme auf die Grundrechte der Betroffenen getrübten, fahrlässig-laxen Umgang mit den Arbeits- und Lebensumständen von Sexarbeiter/innen. Da es sich hier in der überwiegenden Zahl um Migrantinnen handelt, haben wir es mit einem Fall von institutionellem Rassismus zu tun.

Angesichts dessen verbietet sich ein „Weiter so“ bei der Umsetzung dieses Schandgesetzes.
Statt einer Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes fordert Doña Carmen e.V.:

► Sofortige Aussetzung der Umsetzung!
► Sofortiges Moratorium des „Prostituiertenschutzgesetzes“!

 

Anhängend die Rechtsverordnungs-Entwürfe

170328_BMFSFJ_RefE_ ProstStatV

170329_BMFSFJ_RefE_ ProstAV_mit Anlage