Wie Frankfurter Behörden eine Sexarbeiterin und ihr Baby am langen Arm verhungern lassen…

Anlässlich des Internationalen Tags gegen Gewalt an Frauen werden zivilgesellschaftliche Einrichtungen, aber auch staatliche Stellen nicht müde darauf hinzuweisen, dass Frauen physischer, psychischer und sexueller etc. Gewalt ausgesetzt sind.

In der Tat: Jedes Jahr fallen rund 17 % aller in der ‚Polizeilichen Kriminalstatistik‘ dokumen-tierten Opfer von Strafrechtsdelikten unter die Kategorie ‚Partnerschaftsgewalt‘. Zu 80 % handelt es sich dabei um Frauen. Allein die Größenordnungen verdeutlichen, dass es sich beim Thema „Gewalt gegen Frauen“ keineswegs um bedauerliche Einzelfälle, sondern um eine Form struktureller Gewalt handelt, der man mit Beratungsangeboten und Hilfe-Telefonen allein nicht beikommen kann.

…insbesondere aber auch institutionelle Gewalt seitens staatlicher Behörden!

Wenn von Gewalt gegen Frauen die Rede ist, werden die Schweinwerfer gerne auf den privaten Bereich gerichtet. Der öffentliche Raum und das Handeln staatlicher Akteure und Behörden hingegen werden dabei gerne ausgeblendet und nicht zur Sprache gebracht. Das aber ist immer dann scheinheilige Heuchelei, wenn städtische Einrichtungen in Frankfurt zwar Gewalt gegen Frauen in der ganzen Welt beklagen, aber nicht vor der eigenen Haustüre kehren. Zumindest was Sexarbeiter*innen betrifft, darf festgestellt werden: Eine Lobby bei städtischen Einrichtungen wie dem Frauenreferat haben sie nicht. Schon gar nicht, wenn sie von institutioneller Gewalt betroffen sind.

Unterlassene Hilfeleistung durch Frankfurter Jobcenter: Der Fall von Frau Y. – Alltägliche institutionelle Gewalt gegen Frauen!

Frau Y. ist Sexarbeiterin aus Bulgarien. Sie lebt nachweislich seit 5 Jahren in Frankfurt und ging hier der Sexarbeit nach. In der Corona-Zeit stellte sie mit Unterstützung von Doña Carmen e.V. einen ALG-II-Antrag, der bewilligt wurde. Nicht so im Falle des anschließenden Weiterbewilligungsantrags. Dessen Bewilligung verweigerte das Jobcenter mit der Begründung, Frau Y. sei lediglich „zum Zwecke der Arbeitssuche“ (nicht also um wirklich zu arbeiten) nach Deutschland gekommen. Diese Mutmaßung zielt auf den Vorwurf des Sozialtourismus, was schon deshalb hanebüchen ist, weil Frau Y. nachweislich in der Sexarbeit tätig war.

Jobcenter – Sozialrathaus – Jobcenter – Ausländerbehörde – Sozialgericht

Im Februar teilte Frau Y. dem Jobcenter mit, dass sie schwanger sei und bat um eine Überprüfung der ablehnenden Haltung des Jobcenters in Bezug auf ALG II. Doch das Jobcenter ging auf Tauchstation. Frau Y. wandte sich daraufhin an das Sozialrathaus Gallus, das sich jedoch mangels eines aktuellen Ablehnungsbescheids des Jobcenters für nicht zuständig erklärte.

Aus dem Mutterpass von Frau Y. ging seinerzeit hervor, dass ihr voraussichtlicher Entbindungstermin der 11. Juli 2022 sei, was bedeutete, dass sie als „werdende Mutter“ gemäß § 5 Abs. 2 Satz 3 Prostituiertenschutzgesetz ab Juni 2022 nicht mehr in der Prostitution arbeiten durfte. Anfang Juli 2022 bewillige das Jobcenter der mittlerweile hochschwangeren Frau gleichsam in letzter Minute ALG II: Regelsatz, Mehrbedarf für werdende Mütter, Grundmiete und Nebenkosten. Allerdings nur bis Ende Juli 2022!

Das Jobcenter begann nun aber Zweifel an der bisherigen Aufenthaltsdauer von Frau Y. in Deutschland zu äußern und forderte im Rahmen der Mitwirkung die Vorlage weiterer Unterlagen. Dem kam die junge Mutter mit Unterstützung von Doña Carmen e.V. nach.

Über einen am 5. Juli 2022 gestellten ALG-II-Weiterbewilligungsantrag jedoch hat das Jobcenter bis heute nicht entschieden, obwohl es dessen Pflicht gewesen wäre. Nachfragen von Doña Carmen bei der vom Jobcenter inzwischen eingeschalteten Ausländerbehörde führten zu keiner Beschleunigung des Anliegens von Frau Y. Auf die Frage, ob der Brief eines mittlerweile eingeschalteten Anwalts die Ausländerbehörde erreicht habe, erklärte die zuständige Sachbearbeiterin, dass dieser aufgrund aktuell sehr langer Bearbeitungszeiten wohl noch nicht in die E-Akte eingepflegt worden sei…(vgl. dazu: 15.000 Anfragen und keine Antworten – Die Ausländerbehörde versinkt in unbearbeiteten Anfragen, FAZ, 24.11.2022)

Anfang November wandte sich Frau Y. daraufhin mittels Eilantrag an das Sozialgericht Frankfurt. Diesem erklärte das Jobcenter, dass bei ihm kein ALG-II-Weiterbewilligungsantrag eingegangen sei, man wolle aber den dem Sozialgericht vorliegenden Weiterbewilligungs-Antrag vom 5.7.2022 jetzt gerne einer Überprüfung unterziehen….

Mit gezinkten Karten: Auf Zeit spielen und am langen Arm verhungern lassen…

Frau Y. ist Bulgarin und somit EU-Bürgerin. Sie lebt seit Jahren in Frankfurt, wo sie in der Sexarbeit gearbeitet hat. Sie ist nun Mutter eines 4 Monate alten Babys. Ihr stehen u.a. aufgrund des Urteils des Bundessozialgerichts vom 30. Januar 2013 (Az. B 4 AS 54/12R ) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II zu. Die Leitlinie dieses Urteils lautete: „Schwangere EU-Ausländerinnen dürfen nicht generell und dauerhaft von Hartz-IV-Leistungen ausgeschlossen werden.“

Frankfurter Jobcenter sind gemäß § 44 b SGB II städtische Behörden und befugt, Verwaltungsakte als auch Widerspruchbescheide zu erlassen. Doch diese Behörde spielt ein übles Spiel mit Frau Y.: Ganz offenbar will man Zeit schinden und Frau Y. aus dem Bezug von ALG II ausschließen. Zu diesem Zwecke zieht man eine ohnehin schon überforderte Ausländerbehörde mit hinein und instrumentalisiert sie für das Hinauszögern einer längst überfälligen Entscheidung. Mittlerweile hat Frau Y. erhebliche Mietrückstände, Strom und warmes Wasser sind bei ihr bereits abgestellt. Ihr droht Obdachlosigkeit.

Wenn das keine Gewalt gegen Frauen ist – was bitte schön ist das dann??

Doña Carmen e.V. hat diesen Fall der Öffentlichkeit bekannt gemacht und damit Frau Y. finanzielle Unterstützung zukommen lassen können. Mit Unterstützung von Doña Carmen hat Frau Y. mittlerweile einen Frankfurt-Pass beantragt. Andere Sexarbeiter*innen haben kostenlos Babykleidung zur Verfügung gestellt. Aber das kann es doch nicht sein!

► Frau Y. braucht keine Almosen, sie braucht ihr Recht!
► Sie braucht die ihr rechtlich zustehende staatliche Unterstützung – und zwar sofort!

Unterstützen Sie Doña Carmen e.V. mit Ihrer Spende! (Steuerlich absetzbar.) Frankfurter Volksbank –
IBAN: DE68 5005 0201 0000 4661 66 –
BIC: HELADEF 1822