Offener Brief an den Präsidenten des Statistischen Bundesamts Herrn Dr. Georg Thiel

Herrn
Dr. Georg Thiel
c/o Statistisches Bundesamt
Gustav-Stresemann-Ring 11
65189 Wiesbaden

Intransparenz und Desinformation
bei Bundesstatistik zum Prostituiertenschutzgesetz

Sehr geehrter Herr Dr. Thiel,

mit der Prostitutions-Statistikverordnung vom 13. Juni 2017 ist Ihre Behörde verpflichtet, jährlich eine Bundesstatistik mit Angaben zu Anmeldungen der Prostitutionstätigkeit als auch zu Erlaubnissen für Prostitutionsgewerbe zu erstellen und zu veröffentlichen.

Der Verein Doña Carmen e.V., der sich für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten einsetzt, steht dem Prostituiertenschutzgesetz ablehnend gegenüber. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist diesbezüglich eine Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland anhängig, die von uns mit initiiert wurde. In der Beratung betroffener Frauen sind wir ständig mit den desaströsen Folgen des Prostituiertenschutzgesetzes konfrontiert.

Vor diesem Hintergrund ist uns sehr daran gelegen, dass das Statistische Bundesamt dem gesetzlichen Auftrag sowie seinem selbst gesetzten Anspruch gerecht wird und eine „neutrale, objektive und fachlich unabhängige Statistik“ zu amtlich registrierter Prostitutionstätigkeit und konzessionierten Prostitutionsgewerben vorlegt, da diese Daten wichtige Indikatoren für die Frage der Akzeptanz bzw. Nichtakzeptanz des Prostituiertenschutzgesetzes sind.

Wir verweisen Sie auf die Erläuterung zu § 1 des Bundesstatistikgesetzes in der es heißt: „Die amtliche Statistik bietet durch den kontinuierlichen Nachweis der Fakten nicht nur quantifizierbare Aussagen, sondern sie eröffnet auch die Möglichkeit, Probleme überhaupt erst in ihren Größenordnungen zu erkennen.“

Dieser Anforderung werden Sie im Hinblick auf die Statistik zum Prostituiertenschutzgesetz bedauerlicherweise nicht gerecht.

Bis zum 28. Februar eines jedes Jahres sind die statistischen Landesämter verpflichtet, dem Statistischen Bundesamt die in der Prostitutions-Statistikverordnung definierten Daten zur Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes zukommen zu lassen. Die entsprechende Veröffentlichung für das Jahr 2017 erfolgte Anfang Juli 2018 auf der Website Ihrer Behörde.

Für das Jahr 2018 liegt jedoch selbst Anfang November 2019 noch keine entsprechende Statistik vor!

Vor dem Hintergrund einer polarisierten öffentlichen Debatte um das Prostituiertenschutzgesetz und den fatalen Auswirkungen des Gesetzes insbesondere für die betroffenen Sexarbeiterinnen ist das Unterlassen einer zeitnahen und möglichst aussagekräftigen Statistik zu den Folgen des Prostituiertenschutzgesetzes nicht nur misslich, sondern gänzlich inakzeptabel.

Während einschlägige Daten mehrerer Bundesländer zu Registrierungen und Konzessionierungen in den Jahren 2018 bis ins Jahr 2019 bereits via Medien in der Öffentlichkeit zirkulieren, lässt die offizielle Statistik des Wiesbadener Bundesamts für das Jahr 2018 noch immer auf sich warten.

Die Rede von „technischen Problemen“ erscheint dabei wenig glaubwürdig. Erklärte das Statistische Bundesamt die Lückenhaftigkeit der für 2017 veröffentlichten Daten nachvollziehbarerweise noch damit, dass die Verwaltung der einzelnen Bundesländer noch im Aufbau begriffen sei, so dürfte sich dieses Argument im Spätherbst des Jahres 2019 kaum noch anführen lassen.

Was also sind die Gründe, Herr Dr. Thiel, warum die Statistik zu den Auswirkungen des Prostituierten-schutzgesetzes von Ihrer Behörde nicht zeitnah veröffentlicht wird?

Unsere Kritik bezieht sich jedoch nicht allein auf die Tatsache, dass die Bundesstatistik für 2018 noch immer nicht veröffentlicht ist. Sie bezieht sich auch auf die fehlerhafte Statistik, die Ihre Behörde für das Jahr 2017 zu den Auswirkungen des Prostituiertenschutzgesetzes veröffentlicht hat.

Das Bundesamt bezifferte die „Anzahl der angemeldeten Prostituierten in Deutschland“ für das Jahr 2017 mit insgesamt 6.959 Personen. Tatsächlich aber haben sich offenbar wesentlich mehr Sexarbeiter/innen angemeldet.

So wurde in der Wiesbadener Statistik die Zahl der in NRW zum Stichtag 31.12.2017 angemeldeten Prostituierten mit 2.137 beziffert, was immerhin 30 % der für 2017 insgesamt gemeldeten Personen waren. Eine am 31.03.2018 abgeschlossene Datenerhebung in NRW hingegen ergab „rd. 3.900 Prostituierte“, die sich bis zum Stichtag 31.12.2017 angemeldet hatten, also nahezu doppelt so viel. Der Unterschied erklärt sich offenbar dadurch, dass die 3.900 Personen sich zwar bis Ende 2017 angemeldet hatten, aufgrund bürokratischer Verzögerungen aber erst in 2018 einen entsprechenden Hurenpass ausgehändigt bekamen. (vgl. Ministerin Schnarrenbach, Bericht vor dem Ausschuss für Gleichstellung und Frauen am 8. Nov. 2018, S. 18)

Selbst wenn man Ihrer Behörde zugutehalten muss, dass die Daten Ihrer Statistik den Vorgaben der Prostitutions-Statistikverordnung entsprechen, so ist doch die von Ihnen gewählte Überschrift „Anzahl der angemeldeten Prostituierten“ schlicht falsch, mindestens aber grob missverständlich. Richtig und korrekt wäre die Überschrift „Anzahl der mit einer Anmeldebeschei-nigung ausgestatteten Sexarbeiter/innen“. Es hätte Sie nichts gekostet, einen entsprechenden Hinweis aufzunehmen, zumal Ihnen die spezielle Datenlage in NRW seit Ende März 2018, also drei Monate vor Veröffentlichung der Daten der Bundesstatistik, bekannt gewesen sein dürfte.

Angesichts dessen bleibt darüber hinaus die Frage offen, ob auch die Angaben der zehn übrigen, 2017 berücksichtigten Bundesländer mit dieser Differenz behaftet sind.

Ein weiterer, schwerer inhaltlicher Fehler bei den Daten für 2017 liegt unseres Erachtens bei den Angaben zur „Anzahl der gültigen Erlaubnisse für ein Prostitutions-gewerbe in Deutschland“ vor.

Nach Angaben Ihrer Behörde betrug diese Zahl für das Jahr 2017 insgesamt 1.350. Davon entfielen allein 578 dieser vermeintlich „gültigen Erlaubnisse“ und somit nicht weniger als 43% auf das Bundesland Bayern.

Wie sich den Angaben der Bayerischen Landesregierung allerdings entnehmen lässt, handelt es hierbei gar nicht um gültige Erlaubnisse für ein Prostitutionsgewerbe, sondern lediglich um die Zahl der Anträge diesbezüglich, ohne dass damit über deren Genehmigung befunden wurde. (vgl. Drs. 18/3492 Bayern, 11.10.2019, S. 6)

Die Angaben des Statischen Bundesamtes spiegeln damit für 2017 eine um 75 % zu hoch ausgewiesene Zahl bewilligter Erlaubnisse von Prostitutionsstätten vor, als es tatsächlich der Fall gewesen ist. Denn ohne die bayerischen Zahlen wären es lediglich 772 gültige Erlaubnisse gewesen. Bei derartigen Größenordnungen handelt es sich um die unzulässige Vorspiegelung falscher Tatsachen, die ein umstrittenes Gesetz – in Abweichung von den tatsächlichen Verhältnissen – in einem vorteilhafteren Licht erscheinen lassen. Damit verletzt das Statistische Bundesamt den Anspruch einer neutralen Statistik.

Völlig ungeklärt ist dabei die Frage, ob das derart Fehlerhafte auch für die Angaben der übrigen sechs Bundesländer gilt. Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum das Statistische Bundesamt nur die Daten von sieben Bundesländern in die Statistik aufnimmt, wenn der Behörde für 2017 nach eigenen Angaben die Daten von 10 Bundesländern vorlagen.

Wir erwarten von Ihnen Herr Dr. Thiel, dass Sie den hier aufgeworfenen kritischen Fragen nachgehen und gemäß der „Richtlinie zum Umgang mit Veröffentlichungs-fehlern“ die genannten Fehler und Missstände berichtigen sowie die Öffentlichkeit zum frühestmöglichen Zeitpunkt darüber in Kenntnis setzen.

In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Juanita Henning

(Sprecherin Doña Carmen e.V.)