Pressemitteilung

Wortbruch und Heuchelei:
Hessische Landesregierung schickt Bordelle erneut in den Lockdown

Mithilfe der in § 27 Hessische Corona-Schutzverordnung festgeschriebenen so genannten „Hotspot-Regeln“ hat es die Hessische Landesregierung fertig gebracht, erneut große Teile des Prostitutionsgewerbes in den Lockdown zu zwingen und Sexarbeiter*innen damit – außer auf Straßen und in Stundenhotels – sämtlicher Verdienstmöglichkeiten zu berauben.

Laut § 27 der hessischen Corona-Verordnung sind Stadt- und Landkreise bei Überschreiten der Sieben-Tage-Inzidenz von 350 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern verpflichtet, Prostitutionsstätten zu schließen. Aktuell betrifft dies neben dem Landkreis Fulda vor allem die gesamte Rhein-Main-Region (die Städte Frankfurt, Wiesbaden, Darmstadt, Offenbach, sowie die Landkreise Hochtaunuskreis und Offenbach-Land).

Damit sind 2,1 Mio. Menschen, mithin ein Drittel der 6,2 Millionen Hessen, von sexuellen Dienstleistungen weitgehend ausgeschlossen. Knapp die Hälfte der hessischen Bevölkerung wäre betroffen, wenn die nächsten Anwärter für die Schließung von Prostitutionsstätten, die Landkreise Darmstadt-Dieburg, der Landkreis Groß-Gerau sowie die Stadt Kassel, in allernächster Zeit dazukämen.

Die Schließung von Prostitutionsstätten – von der 2-Sexarbeiter*innen-Wohnung bis hin zum Großbordell – ist ein mutwilliger Akt der Willkür: Mit einem Schutz vor Corona oder mit einer angeblich bevorstehenden Überlastung des Gesundheitssystems hat all dies nicht das Geringste zu tun.

Denn der moderate Anstieg der Corona-Neu-Infektionen (am 7.12.2021 lag die 7-Tage-Inzidenz bei 284,1, am 7. Jan. 2022 lag sie gerade mal bei 300,2) geht mit einer sinkenden Hospitalisierungsrate und mit einem sinkenden Anteil der Covid-19-Belegungen von Intensivbetten in Hessen einher. Die Hospitalisierungsrate, die in Hessen am 10. Dez. 2021 mit 8,96 pro 100.000 Einwohnern ihren Höhepunkt erreichte, liegt gegenwärtig bei 3,08 – wie im ganzen Bundesgebiet auch in Hessen mit rückläufiger Tendenz.

Die Schließung von Bordellen ist daher weder erforderlich noch verhältnismäßig.

Hessen liegt mit seiner Hospitalisierungsrate von 3,08 im Vergleich zu anderen Bundesländern im unteren Bereich. Neun Bundesländer haben eine höhere Hospitalisierungsrate als Hessen, aber nur eines dieser Länder (Sachsen) verbietet Prostitution. Elf Bundesländer weisen einen höheren Anteil von Covid-19-Belegungen an Intensivbetten auf als Hessen. Zehn dieser Bundesländer verzichten gleichwohl auf Prostitutionsverbote.

Von allen 16 deutschen Bundesländern haben 10 Bundesländer keine „Hotspot-„ oder „Warnstufen“-Regelungen. Von den 6 Bundesländern, die eine solche Regelung haben, knüpfen vier Bundesländer (Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen und Niedersachsen) diese Regelungen sinnvollerweise an Hospitalisierungs-Indikatoren. Einzig Bayern und Hessen verzichten darauf und knüpfen Hotspot-Regelungen völlig sinnentleert ausschließlich an die 7-Tage-Corona-Inzidenz.

Damit machen sie den Weg frei für Repression und Schikane.

Doch während die Schließung von Prostitutionsstätten in Bayern erst ab einer 7-Tages-Inzidenz von 1.000 vorgesehen ist, greift sie in Hessen bereits bei dem niedrigen Schwellenwert von 350.

Jedem Viertklässler dürfte auffallen, dass dies mit einer überzeugenden und intelligenten Strategie gegen Corona nichts zu tun hat.

Die Logik dahinter ist vielmehr reflexhaft eingeschliffene Prostitutionsgegnerschaft. Alles andere ist Heuchelei. Die hessischen Hotspot-Regelungen gehen mit Einschränkungen wie Alkoholverboten, Maskenpflichten und „2G“- bzw. „2G+“-Regelungen einher. Einzig und allein für das Prostitutionsgewerbe sind Schließungen vorgesehen!

Das ist eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber anderen körpernahen Dienstleistungen, die vor keinem objektiv urteilenden Verwaltungsgericht Bestand hätte.

Am 14. September 2021 gab Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier noch öffentlich bekannt, dass man sich von der 7-Tage-Inzidenz als wichtigstem Indikator zur Beurteilung des Corona-Infektionsgeschehens verabschiede und der Fokus stattdessen auf der Auslastung der hessischen Krankenhäuser liegen solle. Von einer „neuen Strategie“ war seinerzeit die Rede. Die Hospitalisierungsrate und die Auslastung der Intensivbetten sollten zukünftig der Maßstab für Einschränkungen sein.

Heute, keine vier Monate später, sind die Hotspot-Regelungen des § 27 Corona-Verordnung, die ausschließlich an die 7-Tages-Inzidenz von 350 anknüpfen, der schlagende Beweis für den Wortbruch der schwarzgrünen Landesregierung. Damit verfehlt man zwar die spezifische Dynamik der Omikron-Variante. Aber was soll’s: So hat man immerhin den Grundstein gelegt für die Existenzvernichtung tausender Sexarbeiter*innen in Hessen.

Doña Carmen e.V. verurteilt die erneute Lockdown-Politik gegenüber dem hessischen Prostitutionsgewerbe. Sie ist zur Bekämpfung von Corona weder erforderlich, noch geeignet noch verhältnismäßig. Der ausschließliche Bezug der Hotspot-Regelungen in § 27 Corona-Verordnung auf die 7-Tage-Corona-Inzidenz ist sachlich verfehlt und anachronistisch. Die daraus sich ableitende Schließungspolitik gegenüber dem Prostitutionsgewerbe ist unverantwortlich und drängt Sexarbeiter*innen erneut ins Abseits informeller Strukturen, in denen sinnvolle hygienische Vorgaben nicht einzuhalten sind.

Doña Carmen e.V. fordert daher:
● Weg mit dem § 27 der Hessischen Corona-Verordnung!

● Schluss mit Wortbruch und Heuchelei der Landesregierung!
● Statt Lockdown: Öffnet die Bordelle!