Prostituiertenschutzgesetz und Rassismus:

„Die Amtssprache ist Deutsch!“

Kürzlich wandte sich eine Spanisch sprechende Sexarbeiterin aus Baden-Württemberg telefonisch an Doña Carmen. Sie sei soeben von der Mitarbeiterin eines mit der Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes beauftragten Kreisgesundheitsamtes abgewiesen worden mit der Begründung, sie könne sich nicht ausreichend auf Englisch verständlich machen.

Die Sexarbeiterin hatte zuvor über die Betreiberin eines Etablissements mit dem örtlich zuständigen Gesundheitsamt für Freitagvormittag, halb 10 Uhr, einen Beratungstermin ausgemacht. Als sie dort pünktlich erschien, war die Mitarbeiterin allerdings noch damit beschäftigt, einen Kaffee und ein Stückchen Kuchen zu sich zu nehmen. Ohne die Sexarbeiterin namentlich zu grüßen, ging es dann aber gleich zur Sache mit medizinisch so bedeutsamen Fragen wie der, ob sie verheiratet sei, wie oft sie schon in Deutschland gewesen sei etc. Man sprach, wie vorher vereinbart, auf Englisch bis zu dem Augenblick, als die Gesundheitsamt-Mitarbeiterin das Gespräch abbrach, weil ihr die Englisch-Sprachkenntnisse der Sexarbeiterin mit spanischer Muttersprache als zu gering erschienen, um das Gespräch weiter fortzuführen.

Mit dem Hinweis, sie könne ihr wegen mangelnder Englisch-Kenntnisse keine Bescheinigung über die Teilnahme an einer gesundheitlichen Beratung ausstellen, forderte die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes die Sexarbeiterin auf, ein rund 50 km entferntes Gesundheitsamt aufzusuchen, da das dortige Amt über entsprechende Dolmetscher verfügen würde. Dieses Gesundheitsamt war allerdings erst am Dienstag der darauffolgenden Woche für die Vereinbarung von Beratungsterminen wieder geöffnet. Ein neuer Termin für die gesundheitliche Beratung läge also weitaus später.

Darüber informierte die Sexarbeiterin Doña-Carmen. Eine Mitarbeiterin von Doña Carmen griff daraufhin umgehend zum Telefonhörer und setzte sich ihrerseits mit der Mitarbeiterin des Kreisgesundheitsamtes in Verbindung. Doña Carmen klärte die Mitarbeiterin dieses Amtes auf, dass es nach § 3 Abs. 1 PostSchG ihre Pflicht sei, die Sexarbeiterin gesundheitlich zu beraten und dass sie die Frau nicht einfach in ein 50 km entferntes Gesundheitsamt schicken könne. Schließlich seien Sexarbeiterinnen per Gesetz gehalten, sich dort anzumelden, wo ihr Tätigkeitsschwerpunkt sei.

Das sah die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes anders und klärte im Gegenzug die Doña-Carmen-Mitarbeiterin darüber auf, dass die Amtssprache in ihrer Behörde Deutsch sei. Daher sei die Sexarbeiterin verpflichtet, selbst einen vereidigten Dolmetscher mitzubringen. Auf die Frage, wer das bezahlen solle, sah die Mitarbeiterin das Gesundheitsamt jedenfalls nicht in der Pflicht.

Wenn man zu einer gesundheitlichen Beratung, zu der man gesetzlich verpflichtet ist, nicht in der Lage sei, so müsse die Behörde eben auf die Dienste eines Videodolmetschers zurückgreifen, entgegnete Doña Carmen. Doch auch dieser Hinweis fruchtete nichts, weil die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes sich auf den Standpunkt stellte, sie habe das Recht, Sexarbeiterinnen ohne ausreichende Deutsch- oder Englischkenntnisse an ein anderes Gesundheitsamt zu verweisen. Schließlich sei es die Schuld der Sexarbeiterin, dass sie nicht ausreichend Englisch spreche. Dass die gesundheitliche Beratung laut Gesetzesbegründung in einer Sprache zu erfolgen habe, „die die beratene Person versteht“, leuchtete der Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes partout nicht ein.

Als auch der Hinweis, dass es um eine „gesundheitliche Beratung“, nicht aber um einen Sprachtest gehe, nichts fruchtete, forderte Doña Carmen von der Mitarbeiterin des Gesundheitsamts eine schriftliche Bescheinigung darüber, warum die Sexarbeiterin keine Bescheinigung über die Teilnahme an der gesundheitlichen Beratung von ihr bekomme. Schließlich handele es sich um einen Verwaltungsakt, für den man im Falle einer Ablehnung das Recht auf eine schriftliche Begründung habe, um dagegen Widerspruch einlegen zu können. Soviel zum Thema Rechtsstaat.

Eine schriftliche Bescheinigung aber verweigerte die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes. Doña Carmen könne ja stattdessen eine Dienstaufsichtsbeschwerde einreichen, riet die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes.

Das können man auch ganz anders regeln, entgegnete daraufhin Doña Carmen. Wenn es die Gesundheitsamts-Mitarbeiterin darauf anlege, am nächsten Tag ihren Namen in der Zeitung zu lesen, könne man das so handhaben. Das wiederum fand die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes gar nicht lustig und erklärte ungehalten, aber bestimmt, das Gespräch sei nunmehr beendet.

Als die Doña-Carmen-Mitarbeiterin daraufhin den zuständigen Leiter des Gesundheitsamtes anrief, war dieser nicht erreichbar. Ein wiederholter Anruf seitens Doña Carmens verbunden mit dem Angebot, man könne unbürokratisch selbst per Telefon spanisch übersetzen, um die Kuh vom Eis zu bekommen, gefiel der Mitarbeiterin am Gesundheitsamt-Telefon nicht. Man möchte doch entsprechende Anfragen an die Amtsleitung bitte schriftlich einreichen, lautete die Auskunft.

So weit, so schlecht. Es verging eine Stunde, da klingelte bei Doña Carmen e.V. das Telefon. Am Apparat war der – inzwischen bestens informierte – Leiter des Gesundheitsamtes. Er gab an, Doña Carmen zu kennen, zeigte sich über das Angebot der Spanisch-Übersetzung erfreut und bot einen neuen Termin direkt in drei Tagen an, um die Angelegenheit pragmatisch zu regeln. Doña Carmen stimmte dem zu. Die darüber informierte Sexarbeiterin war überglücklich.

Drei Tage später fand der zweite Anlauf zu einer „gesundheitlichen Beratung“ statt. Allerdings übernahm der Amtsleiter höchstpersönlich das erneut auf Englisch geführte Gespräch. Eine Spanisch-Übersetzung seitens Doña Carmen war nun doch nicht erforderlich. Ergebnis: Die Sexarbeiterin hielt daraufhin die Bescheinigung über die Teilnahme an einer gesundheitlichen Beratung. Offenbar hatten sich ihre Englisch-Sprachkenntnisse über das Wochenende schlagartig verbessert. Wenige Tage darauf nahm sie ihren Hurenpass in Empfang.

Was ist daraus zu lernen?

Im Zuge der Debatten um den rechtsextrem motivierten Anschlag in Hanau stellte sich zum wiederholten Male die Frage, woher eigentlich der Rassismus aus der Mitte der Gesellschaft kommt, der sich in solch fürchterlichen Taten wie der Ermordung von zehn Menschen mit „Migrationshintergrund“ in einer Sisha-Bar und einem Kiosk entlud. Schnell war man wieder dabei, schärfere Gesetze zu fordern, um dem grassierenden Rassismus dadurch Einhalt zu gebieten.

Die oben geschilderte Episode zeigt freilich, dass scharfe Gesetze wie zum Beispiel das Prostituiertenschutzgesetz dem Alltagsrassismus gar nicht begegnen, sondern ihn geradezu hervorrufen und provozieren.

Da stülpt man Gesetze mit unzähligen, reichlich absurden Regelungen den Betroffenen über. Kleinere Gesundheitsämter und deren Mitarbeiter/innen sehen sich vielfach überfordert und außerstande, solchen gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen. Der auf sie ausgeübte Druck wird nach unten weitergegeben und – in diesem Fall – eben auf die betroffenen Migrantinnen abgewälzt.

Den Wortlaut des Gesetzes kannten vermutlich weder die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes, noch die migrantische Sexarbeiterin. Und dann wird mit Sprüchen wie „Die Amtssprache ist Deutsch“ an der rechtlichen und gesellschaftlichen Realität vorbei agiert. Auf Kosten der Migrantin. Dass diese durch Behördenhandeln in ihren minimalen Rechten noch einmal schikanös eingeschränkt wird, dürfte zum Alltagsgeschäft deutscher Behörden gehören. Dass die Sexarbeiterin darüber hinaus noch einmal mindestens eine Woche Verdienstausfall gehabt hätte – was kümmert es die deutsche Gesundheitsamts-Mitarbeiterin?

Mit Migrantinnen kann man es ja machen, die haben ohnehin keine Lobby, wird man sich gedacht haben. Wir wissen nicht, was die Mitarbeiterin des Gesundheitsamtes abends nach Dienstschluss im Kreise ihrer Bekannten erzählt haben mag. Sicherlich nichts Schlechtes über sich selbst. Aber wir wissen: Durch Gesetze wie das Prostituiertenschutzgesetz befördert man Rassismus und macht ihn salonfähig.

Es ist dieses erbärmliche Zusammenspiel von institutionellem Rassismus und gedankenloser Alltagsdiskriminierung, das das gesellschaftliche Klima in diesem Land vergiftet. Über 90 % der Sexarbeiter/innen hierzulande sind Migranten/innen. Das durch und durch repressive Prostituiertenschutzgesetz wendet sich also vor allem gegen Migranten. Es ist Ausdruck von Rassismus und befördert Rassismus stets aufs Neue. Daher muss das Prostituiertenschutzgesetz weg!

Es gibt viele Gründe, die gegen das Prostituiertenschutzgesetz sprechen. Der diesem Gesetz eingeschriebene Rassismus ist nur ein Grund, gegen dieses Gesetz zu sein. Und es ist sicher nicht der schlechteste.