Covid-19, Prostitution und Repression
Die von Doña Carmen e.V. vorgelegte „Skala der Covid-19-Repression bei sexuellen Dienstleistungen und Prostitutionsgewerbe“ (Stand 3.12.2021) verdeutlicht, dass im Zusammenhang mit Corona in den Bundesländern erneut in völlig unterschiedlicher Weise gegenüber dem Prostitutionsgewerbe vorgegangen wird. Allerdings stehen die dort jeweils verhängten Maßnahmen und Vorgaben in keinem erkennbaren Verhältnis zur offiziell ausgewiesenen Krankheitsbelastung durch Corona.
Das wirft die Frage auf: Was ist eigentlich handlungsleitend, wenn es im Zusammenhang mit Covid-19 um Maßnahmen im Bereich Prostitution geht?
Die Maßnahmen in den einzelnen Bundesländern lassen sich – gestaffelt nach der Härte der jeweiligen Maßnahmen – wie folgt beschreiben:
Stufe I: Lockdown für Prostitutionsgewerbe
Sachsen verbietet erstmalig wieder sämtliche Prostitutionsgewerbe, darüber hinaus auch noch sämtliche sexuelle Dienstleistungen außerhalb von Einrichtungen des Prostitutionsgewerbes. Bayern verbietet Bordelle, lässt aber Einrichtungen mit 1:1-Kontakten („Prostitutionsstätten“) geöffnet. Bei Sexarbeiter*innen gilt hier der Lockdown für Ungeimpfte.
Stufe II: Lockdown für ungeimpfte Prostitutionskunden mit „2 G + Test“
Fünf Bundesländer (NRW, Hessen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und das Saarland) erlauben formell das Betreiben von Prostitutionsgewerben, setzen aber bei Prostitutionskunden auf „2 G+ Test“.
Stufe III: Lockdown für ungeimpfte Prostitutionskunden mit 2 G
Sieben Bundesländer (Berlin, Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen, Brandenburg und Thüringen) praktizieren den Lockdown für Ungeimpfte mittels 2 G.
Stufe IV: Zugang auch für Ungeimpfte
Lediglich zwei Bundesländer begnügen sich im Zweifel mit negativen Tests bei Prostitutionskunden bzw. Sexarbeiter*innen.
Wie die Analysen und Auswertungen von Doña Carmen e.V. ergeben, haben die Bundesländer ab der 47. Kalenderwoche (22. – 28.11.2021) den rechtlichen Umgang mit Prostitution drastisch verschärft. Dies geschieht auf zweierlei Art und Weise:
- Forcierter Übergang zu 2-G-Sexdienstleistungen
Zum einen durch den Übergang von der bisher geltenden 3-G-Vorgabe auf die nunmehr geltende 2-G-Vorgabe nicht nur bezüglich der Kunden, sondern auch bezüglich der dienstleistenden Sexarbeiter*innen.
Aktuell ist damit die von der neuen Ampel-Koalition ausgerufene bundesweite Pflicht-Vorgabe „3 G am Arbeitsplatz“ – was das Prostitutionsgewerbe betrifft – in mittlerweile sieben Bundesländern de facto unterlaufen (Bayern, NRW, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Berlin Saarland, Schleswig-Holstein).
Damit wird die auf Ausgrenzung setzende Maximal-Linie „Lockdown für Ungeimpfte“ Schritt für Schritt in die Tat umgesetzt. Von den rund 74 Mio. Menschen, die in Deutschland geimpft werden können, waren Anfang November rund 56 Mio. Menschen einmal bzw. vollständig geimpft. Ungeimpft sind also rund 18 Mio. Menschen. Das sind immerhin rund 25 % aller potenziell zu impfenden Personen.
Die 3-G-Vorgabe, mehr noch aber die 2-G-Vorgabe richtet sich somit gegen ein Viertel der (impffähigen) Bevölkerung hierzulande. Auf sie wird auf diese Weise der Druck, sich impfen zu lassen, massiv verstärkt.
In 13 Bundesländern ist 2 G (nachweislich geimpft oder genesen) mittlerweile die Voraussetzung dafür, um überhaupt sexuelle Dienstleistungen in Anspruch nehmen zu können. Wenn man bedenkt, dass in Sachsen der Kauf und Verkauf sexueller Dienstleistungen gänzlich verboten ist und in NRW und Rheinland-Pfalz zusätzlich zum 2-G-Nachweis noch ein Test Zutrittsvoraussetzung zu Einrichtungen des Prostitutionsgewerbes erforderlich ist, so verbleiben aktuell ganze zwei Bundesländer, nämlich Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, die sich an eine 3-G-Vorgabe halten und damit zumindest auch negativ Getesteten den Zutritt zu Prostitutionsgewerben erlauben.
Nach den Angaben des Statistischen Bundesamts sind dies in Mecklenburg-Vorpommern 89 und in Sachsen-Anhalt 27 Prostitutionsgewerbe. Mithin gilt für 95 % aller 2.285 konzessionierten Prostitutionsgewerbe gegenwärtig die 2-G-Zutritts-Regel.
Tyrannei der Ausgrenzung
Das ist aus Sicht von Doña Carmen e.V. ein wenig überzeugender gesundheitspolitischer Harakiri-Kurs. Wer glaubt, Corona in den Griff zu bekommen, indem man massiven Druck und Zwang auf 20 % der Bevölkerung bzw. gegenüber einem Viertel aller potenziell zu impfenden Menschen hierzulande ausübt, der hat diesen Kampf im Grunde schon aufgegeben bzw. verloren.
Die volksverhetzende, schäbige Rede von einer „Tyrannei der Ungeimpften“ erweist sich bei Licht betrachtet sehr schnell als eine Tyrannei der Ausgrenzung, deren Verfechter*innen sich nicht zu schade sind, durchaus gesunde bzw. genesene Ungeimpfte wie Aussätzige zu behandeln.
Ähnlich wie seinerzeit im Falle der grassierenden Arbeitslosigkeit, als man mittels Hartz IV anstatt der Arbeitslosigkeit die Arbeitslosen bekämpfte, werden auch gegenwärtig anstatt der Krankheit die (keineswegs automatisch kranken) Ungeimpften bekämpft – unter dem Beifall mancher Geimpfter.
Die für sexuelle Dienstleistungen innerhalb wie außerhalb der Bordelle nunmehr weitgehend geltende 2-G-Vorgabe wirkt sich als effektive Schranke für den Kauf und Verkauf sexueller Dienstleistungen und damit als absolutes Hindernis der freien Berufsausübung im Prostitutionsgewerbe aus. Es ist absehbar, dass die Beibehaltung dieser Vorgaben die Attraktivität einer Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen in erlaubnispflichtigen Prostitutionsgewerben (d. h. in Etablissements ab 2 Frauen) auf Dauer grundsätzlich reduzieren und zu einer weiteren Verlagerung von Prostitution in informelle Bereiche sowie in die Isolation der Ein-Frau-Sexarbeit beitragen wird.
Wenn die unter massiv existenziellem Druck stehenden Prostitutionsstätten weiter in den ökonomischen Ruin und damit in die Knie gezwungen werden, wird die für ein legales Prostitutionsgewerbe unabdingbare Infrastruktur Schritt für Schritt zur Disposition gestellt. Die Politik braucht also kein Sexkaufverbot. Das Prostitutionsgewerbe lässt sich auch unter anhaltender Beibehaltung der gegenwärtigen Corona-Vorgaben an die Wand fahren.
Dabei ist keineswegs ausgemacht, ob – wie behauptet – mit 3- oder 2-G-Vorgaben dem Gesundheitsschutz tatsächlich gedient ist. Denn mittlerweile gibt es seit Februar 2021 mindestens 215.000 Impfdurchbrüche, also erneut positiv auf Corona getestete Geimpfte. Diese Zahl markiert lediglich die absolute Untergrenze, da das RKI nur symptomatische Verläufe als „Impfdurchbruch“ zählt, die nicht symptomatischen Fälle jedoch unter den Tisch fallen lässt.
- Erneut Lockdown-Politik gegenüber Einrichtungen des Prostitutionsgewerbes
In Sachsen ist seit dem 22. Nov. 2021 die Erbringung und Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen in- und außerhalb von Einrichtungen des Prostitutionsgewerbes unter Androhung von Strafen untersagt.
Damit ist auf 5 % der Fläche und für 5 % der Bevölkerung das Sexkaufverbot bereits flächendeckend Realität, ohne dass Organisationen wie der so genannte „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ (BesD), die sonst immer gerne gegen das „Nordische Modell“ polemisieren, dagegen protestieren. Statt den Mund aufzumachen, kuscht man.
Eigentlich sollte nach den Versprechungen der Ampel-Koalition die Lockdown-Politik ein Ende haben. Doch nun gibt es in der von ihnen auf den Weg gebrachten Reform des Infektionsschutzgesetzes eine „Länderöffnungsklausel“. Das heißt: „Wenn bis zum Auslaufen der epidemischen Lage am 25. November ein regionaler Lockdown verhängt wird, darf er bis maximal 15. Dezember andauern.“ (vgl. https://www.tagesspiegel.de/politik/mit-den-stimmen-der-ampel-parteien-bundestag-beschliesst-neues-infektionsschutzgesetz/27811230.html)
Davon haben Sachsen und Bayern im Hinblick auf Prostitution umgehend Gebrauch gemacht. Es sollte dabei auch nicht vergessen werden, dass in Berlin, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern Prostitutionsfahrzeuge nach wie vor untersagt und in Hamburg wie Mecklenburg-Vorpommern zudem Prostitutionsveranstaltungen verboten sind.
Hospitalisierungsrate rückläufig
Dass die bundesweite Covid-19-Hospitalisierungsrate bereits seit dem 20. Nov. 2021, also inzwischen seit 10 Tagen in Folge im Fallen begriffen ist (von 10,28 am 20.11. auf mittlerweile 5,47 am 02.12.2021), wird dabei jedoch ausgeblendet.
(vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Situationsberichte/COVID-19-Trends/COVID-19-Trends.html?__blob=publicationFile#/home)
Dieses Ausblenden erfolgt, obwohl der Bundesrat am 10. Sept. 2021 beschlossen hat, dass die 7-Tages-Hospitalisierungsrate fortan der entscheidende Maßstab für Corona-Schutzmaßnahmen sein soll und das Infektionsschutzgesetz entsprechend geändert wurde:
„Die Hospitalisierungsrate gilt künftig als neuer, wesentlicher Maßstab für etwaige Corona- Schutzvorkehrungen. So hat es der Bundesrat am 10.09.2021 beschlossen, das bundesweite Infektionsschutzgesetz wurde dahingehend geändert. Statt den bisher bekannten Inzidenz-Grenzwerten sollen künftig vor allem die regional noch zu beschließende Grenzwerte im Bezug auf Krankenhauseinweisungen von Coronapatientinnen und -patienten maßgeblich sein. Nicht mehr so relevant für künftige Schutz- und Eindämmungsmaßnahmen ist damit die Zahl der Neuinfektionen, bekannt als die 7-Tage-Inzidenz.“
(vgl. https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/corona-hospitalisierung-rate-rki-vorteile-nachteile-100.html 16.09.21)
Schauen wir, wie es aktuell (Stand: 28.11.2021) um die Hospitalisierungsrate und den Umgang mit sexuellen Dienstleistungen in den einzelnen Bundesländern bestellt ist.
„Hospitalisierungsrate“ und Maßnahmen gegen Prostitution
Die „Hospitalisierungsrate“ benennt „die Anzahl der an das RKI übermittelten hospitalisierten COVID-19-Fälle pro 100.000 Einwohner innerhalb eines 7-Tage-Zeitraums“. (vgl.: https://www.corona-in-zahlen.de/hospitalisierung/) Eine „Hospitalisierungsrate“ von 3,5 für das Land Berlin bedeutet somit bei 3,7 Mio. Einwohnern, dass binnen der letzten 7 Tage rund 130 Menschen mit Corona-Symptomen ins Krankenhaus eingeliefert wurden. Ein Teil von ihnen mit schweren Verläufen muss intensivmedizinisch behandelt und ein Teil von ihnen wiederum intensivmedizinisch beatmet werden.
Die Hospitalisierungsrate ist aber ganz offensichtlich nicht der Maßstab für Corona-Schutzmaßnahmen, wenn es um Prostitution geht.
So hat Sachsen ein Totalverbot der Prostitution bei einer Hospitalisierungsrate von aktuell 6,8. Dieser Wert wird von fünf Bundesländern überschritten, ohne dass diese jedoch ein Verbot der Prostitution erlassen hätten.
Umgekehrt hat Sachsen-Anhalt, das eine 3-G-Regel praktiziert, eine Hospitalisierungsrate
von 11,7. Diese wiederum wird von 14 Bundesländern unterschritten, die jedoch allesamt schärfere Corona-Maßnahmen bis hin zur Schließung von Prostitutionsstätten beschlossen haben.
Berlin, das Saarland und Schleswig-Holstein haben durchgängig die 2-G-Vorgabe, also den Total-Lockdown für Ungeimpfte, obwohl 6 Bundesländer mit höheren Hospitalisierungsraten weitaus weniger scharfe Zutrittsregelungen für Prostitution praktizieren.
Es passt daher ins Bild, dass neuerdings wieder Kritik an der Hospitalisierungsrate als maßgeblichen Indikator für „Corona-Schutzmaßnahmen“ aufflammt:
„Corona-Maßnahmen wie die 2G-Regel oder Kontaktbeschränkungen orientieren sich künftig nur noch an der Hospitalisierungsrate. Doch der Indikator als alleinige Kennzahl steht in der Kritik, weil er das Infektionsgeschehen eher unterschätzt.“
(vgl.: https://www.deutschlandfunk.de/hospitalisierung-intensivstation-inzidenz-welche-parameter-100.html, 22.11.2021)
Es scheint, dass mittlerweile offenbar andere Kriterien maßgeblich sind – zumindest wenn es um Prostitution geht. So könnte man etwa annehmen, die 7-Tage-Corona-Inzidenz sei wieder Richtschnur für die Maßnahmen im Bereich Prostitution. Doch Bundesländer mit höheren Corona-Inzidenzen wie Brandenburg, Thüringen oder Sachsen-Anhalt praktizieren nichtsdestotrotz „liberalere“ Corona-Maßnahmen im Prostitutionsbereich als Bundesländer mit niedrigeren Corona-Inzidenzen.
Ausschlaggebend zumindest für die Neuauflage der Lockdown-Politik gegenüber dem Prostitutionsgewerbe in Sachsen und Bayern scheint eher die Zahl der Covid-Intensiv-Fälle in diesen Bundesländern. Doch ein Nachweis, dass schwerwiegende Verlaufsfälle von Corona ihren Ursprung ausgerechnet in der Erbringung bzw. Inanspruchnahme von sexuellen Dienstleistungen haben, liegt nicht vor. Auch stehen „Corona-Schutzmaßnahmen“ gegenüber dem Prostitutionsgewerbe in anderen Bundesländern in keiner erkennbaren Korrelation zur Zahl der dort vorliegenden Covid-Intensiv-Fälle.
Vorläufiges Fazit
All diese Hinweise verdeutlichen, dass im Falle der „Corona-Schutzmaßnahmen“ bezüglich Prostitution keineswegs nachvollziehbar rational gehandelt wird, sondern offenbar Interessen zum Zuge kommen, die mit der tatsächlichen Entwicklung der vom RKI ausgewiesenen Corona- Indikatoren nur begrenzt zu tun haben. Es ist also erhöhte Wachsamkeit geboten, wenn es im Kontext von Corona um den rechtlichen Umgang mit Prostitution geht.
repressions-skala prostitution – dezember 2021