4. Frankfurter Prostitutionstage 2015: Einhellige Ablehnung des „Prostituiertenschutzgesetzes“

Vom 13. bis 15. November 2015 fanden zum vierten Mal die von Doña Carmen e.V. ausgerichteten ‚Frankfurter Prostitutionstage‘ statt. An der diesjährigen Tagung nahmen rund 40 Interessierte teil, viele von ihnen Sexarbeiter/innen. Trotz der gegenüber den Vorjahren geringeren Teilnehmerzahl erwies sich die dreitägige Tagung als Ort solidarischer und leidenschaftlicher Debatten rund um Fragen der aktuellen bundesdeutschen Prostitutionspolitik. Im Juli 2015 hatte das Bundesfamilienministerium den Entwurf für ein „Prostituiertenschutzgesetz“ vorgelegt. Der Gesetzentwurf war zentraler Gegenstand der Vorträge und Diskussionen der ‚Frankfurter Prostitutionstage‘. Die Ablehnung des Gesetzentwurfs war durchgängig und einhellig.

Moderiert wurden die Debatten von Erika Becker (Frankfurt) und Prof. Dr. Ellen Bareis (Universität Ludwigshafen).

1. Tag

Den Auftakt der Tagung machte Wildkatze, Sexarbeiterin aus Freiburg, die mit ihrem sehr anschaulich und lebendig vorgetragenen Beitrag Wie das ‚Prostituierten-schutzgesetz‘ meinen Alltag in der Sexarbeit verändert den Anwesenden plastisch vor Augen führte, welche Folgen das neue Prostitutionsgesetz mit seiner geplanten Anmeldepflicht ganz praktisch für sie und damit viele Sexarbeiter/innen haben wird. Diese Meldepflicht bedeutet, entweder auf Einnahmen zu verzichten oder aber sich in den Graubereich der Illegalität drängen zu lassen. Eine Wahl zwischen Cholera und Pest. Das Ausweichen auf die Arbeit in Terminwohnungen oder Sexarbeit in den eigenen vier Wänden erweisen sich als wenig überzeugende Strategien, wie Wildkatze an ihrem eigenen Beispiel demonstrierte. Dem geplanten Gesetz, das die Mobilität in der Sexarbeit massiv einschränkt, eine Unmenge bürokratischer Schikane nach sich zieht und Sexarbeiter/innen komplett entmündigt, müsse man mit gemeinsamer Gegenwehr begegnen. Nicht zuletzt deshalb, weil es geltendes Recht bricht und auf diskriminierender Ungleichbehandlung von Sexarbeiter/innen gegenüber anderen selbständigen Erwerbstätigkeiten beruhe.

Im Anschluss an Wildkatze befasste sich Juanita Rosina Henning, Sprecherin von Doña Carmen e.V., in ihrem Vortrag „Prostituiertenschutzgesetz“ – Gesetz zum Schutz vor Prostitution und Migration mit der mittlerweile von vielen Organisationen und Verbänden geäußerten Kritik am „Prostituiertenschutzgesetz“. Diese Kritik sei nicht gering zu schätzen. Immerhin werde das von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz mittlerweile allenthalben mit Kontrolle und Repression in Verbindung gebracht. Die Legende vom „Schutz der Prostituierten“ hingegen werde zu Recht angezweifelt. Allerdings sei diese Kritik vielfach verkürzt und unzureichend. Sie beschränkt sich nicht selten auf die Kritik der Anmeldepflicht und unterschlägt, dass die Folgen der geplanten Erlaubnispflicht für Sexarbeiter/innen weitaus tiefgreifender sind als die der staatlichen Meldepflicht. Juanita Henning vertrat die These, dass der Staat auf eine vorab erfolgende Anmeldung und Registrierung durchaus verzichten könne, da die Erfassung und Registrierung der Sexarbeiter/innen auch im Kontext der Erlaubnispflicht erfolge. Sie mache die „gläserne Prostituierte“ erst zur Wirklichkeit. Die in ihren Folgen unterschätzte Erlaubnispflicht bedeute zudem eine Existenzvernichtung für viele Sexarbeiter/innen und zwinge sie in eine gefährliche Isolation und Vereinzelung. Die Erlaubnispflicht, so Henning, sei in Gänze abzulehnen. Eine halbherzige Kritik nach dem Motto „Erlaubnispflicht ja, aber bitte nicht für kleine Wohnungsbordelle“. wie vielfach vertreten – spalte die Sexarbeiter/innen und schade dem Widerstand gegen die geplante repressive Prostitutions-Gesetzgebung.

Mit dem Beitrag von Ortwin Passon (Wissenschaftlich-humanitäres Komitee) zum Thema „Sexdienstleistende und der Freier als Feinde – Zwischen legaler Arbeit und Feindstrafrechts-Debatte in Deutschland“ erfolgte ein Blick von außen auf die aktuelle Prostitutions-Debatte. Passon verwies auf die Bedeutung der Debatten um das Feindstrafrecht, die der Rechtswissenschaftler Günther Jakobs in den 80er Jahren anstieß. Dabei werde das Strafrecht instrumentalisiert, um „Feinde“ der Gesellschaft auszudeuten und sie außerhalb des geltenden Rechts zu stellen. Die Vorverlagerung der Strafbarkeit, der Abbau prozessualer Garantien und der Übergang zu einer „Bekämpfungsgesetzgebung“ deuten auf Entwicklungen in diese Richtung. Der Radikalenerlass in den 70er Jahren sei ein Beispiel solcher Tendenzen. Passon mahnte an, mögliche Parallelen in der aktuellen Gesetzgebung zu Prostitution daraufhin zu überprüfen, ob derartige Tendenzen sichtbar werden. Zumal Sexualdelikte immer schon ein bevorzugtes Feld für Feindstrafrecht gewesen sei.

Im Anschluss daran berichtete Christine Nagl, Mitarbeiterin der Beratungsstelle PIA in Salzburg/Österreich von der demütigenden Praxis der obligatorischen wöchentlichen medizinischen Zwangsuntersuchungen, denen sich Sexarbeiter/innen in Österreich trotz Kritik von UNO und WHO unterziehen müssen.

Ihren Vortrag „Repression und Widerstand – Erfahrungen im Kampf für die Rechte von Sexarbeiter/innen“ hatte eine österreichische Filmemacherin im Vorfeld dankenswerterweise auf DVD aufgenommen, da Christine Nagl wegen einer Operation kurzfristig ins Krankenhaus musste und nicht persönlich an der Tagung teilnehmen konnte. Die filmische Präsenz konnte die eindrücklichen Darlegungen der Referentin jedoch keinesfalls schmälern. Detailliert berichtet Christine Nagl nicht nur von den Umständen der menschenverachtenden Praktiken gegenüber Sexarbeiter/innen, sondern auch von den Erfolgen des öffentlichen Widerstands dagegen: Der Staat wurde verklagt und muss den Sexarbeiter/innen die Kosten – 35 € pro wöchentlicher Zwangsuntersuchung – wieder zurückzahlen. Doch selbst dies erweist sich als niederträchtiges Trauerspiel: So überweisen österreichische Behörden Gelder nur an Frauen, die ein österreichisches Konto vorweisen können und die vormals entstandenen Kosten auf Grundlage der obligatorischen abgestempelten „Gesundheitsbücher“ belegen können. Vielfach aber sind gerade diese Gesundheitsbücher von der Behörde eingezogen worden, wenn sie voll waren. So wurden von rund 4 Mio. Euro, die den Sexarbeiter/innen zustehen, bislang erst 300.000 – 400.000 Euro ausgezahlt worden.

In der anschließenden Diskussion war Christine Nagl telefonisch zugeschaltet. Die Anwesenden stellten eine Vielzahl von Fragen, die  Nagl beantwortete. Das Thema aus Österreich zeigt, wohin es führen wird, wenn Sexarbeiter/innen sich hierzulande nicht gegen Repression und Entmündigung zur Wehr setzen. Christine Nagl hat angekündigt, über die Fortgang des Kampfes gegen Zwangsuntersuchungen und für finanzielle Entschädigungen auf den kommenden „Frankfurter Prostitutionstagen“ zu berichten.

2. Tag

Der Beitrag von Fraences, Sexarbeiterin aus Frankfurt, zum Thema „Medizinische Zwangsberatung – Schritte auf dem Weg zur Psychiatrisierung von Sexarbeit“ löste unter den Versammelten Nachdenklichkeit und Betroffenheit aus. Fraences befasste sich mit der vom Gesetzentwurf vorgesehenen Überprüfung der „Einsichtsfähigkeit“ von Sexarbeiter/innen, die sie eine „inquisitorische Ausforschung“ nannte. Diese Ausforschung würde nicht nur auf eine kleine Gruppe von Sexarbeiter/innen, sondern die große Masse der Sexarbeiter/innen betreffen. Schließlich gehe die Bundesregierung laut Gesetzentwurf davon aus, dass viele Prostituierte sich in einer psychischen Situation befänden, in der sie nicht mehr frei entscheiden könnten. Habe man bisher „äußere Umstände“ wie „Zuhälterei“ und „Menschenhandel“ ins Feld geführt, um Sexarbeiter/innen ein zwanghaftes Verhalten zu unterstellen, so greife man nun auch zu „inneren Gründen“, um Zwang im Zusammenhang mit Prostitution zu behaupten. Eine besondere Rolle spielen hierbei Prostitutionsgegner mit der Behauptung, sämtliche Prostituierte seine bereits seit ihrer Kindheit traumatisiert und müssten aufgrund „hirnorganischer Veränderungen“ möglichst in psychiatrischen Einrichtungen behandelt werden. So hätten die katholischen Prostitutionsgegner von SOLWODI bereits eine derartige Zusammenarbeit in die Wege geleitet.

In der nachfolgenden Diskussion wurde auf die Gefahr verwiesen, dass Sexarbeiter/innen immer mehr in den Zustand der Rechtlosigkeit gedrängt werden. So sei vorgesehen, dass Sexarbeiter/inne in die von der Regierung geplanten Zwangsberatungen keinen eigenen Beistand mitnehmen können. Auf Empörung stieß, dass gegen Prostitution eingestellte Psychotherapeuten eine ganze Berufsgruppe als psychisch krank diagnostiziere, was an Praktiken sozialer Ausschließung erinnere, wie sie von totalitären Gesellschaften praktiziert würden.

Im Anschluss an die Diskussion sprach Dr. Valentin Landmann, Rechtsanwalt und Buchautor aus Zürich / Schweiz darüber, „Wie das Thema ‚Organisierte Kriminalität‘ in der Auseinandersetzung um Prostitutionspolitik missbraucht wird“. Landmann vertrat die Ansicht, dass eine Politik der Kriminalisierung und des Verbots von Prostitution genau das produziere, was sie zu bekämpfen vorgebe: die Organisierte Kriminalität. Eine solche Politik führe zur Herausbildung von „Risikopreisen“ für sexuelle Dienstleistungen, die einen Wirtschaftszweig in besonderem Maße für kriminelle Bestrebungen interessant mache. Die Zeche würden am Schluss die Frauen in der Prostitution zahlen. Landmann plädierte entschieden dafür, mit Blick auf das Prostitutionsgewerbe die moralische Brille abzunehmen und die Dinge einer nüchternen ökonomischen Betrachtung zu unterziehen. Es sei ein offenes Geheimnis, so Landmann, dass die Unter- und Halbwelt nicht mehr und nicht weniger moralisch sei als die etablierte Gesellschaft. Was Kriminelle erfolgreich mache, seien keine anderen Kriterien, wie sie auch in den Führungsetagen der Wirtschaft geschätzt würden: Führungsqualität, Durchsetzungsvermögen, Fachkenntnisse etc. Anstatt Prostitution durch ständige Kriminalisierung mit „Risikopreisen“ zu versehen sei es an der Zeit, diesen Wirtschaftszweig endlich gleichberechtigt zu behandeln. Die Anerkennung des Berufs Prostitution sei eine Errungenschaft der liberalen Demokratie und müsse als solche verteidigt werden, so Victor Landmann.

In der Diskussion wurde u.a. hervorgehoben, dass nicht nur eine Verbotspolitk gegenüber Prostitution und eine offene Kriminalisierung dieses Berufs, sondern auch eine Politik der Erlaubnispflicht mit mehr als 30 Verpflichtungen für Betreiber/innen, zahlreichen Auflagen und Versagungsgründen sowie Möglichkeiten zur willkürlichen Einschränkung des laufenden Betriebs hinreichend Potenzial beinhalte für eine Illegalisierung von Prostitution mit den von Landmann skizzierten negativen Konsequenzen. Die geplante neue Prostitutionsgesetzgebung ziele zudem gar nicht auf die Bekämpfung der illegalen Prostitution, sondern auf die Bekämpfung der legalen Prostitution, was die Sache nicht besser mache.

Prof. Dr. Wolfgang Ayaß von der Universität Kassel referierte nach der Mittagspause zum Thema „‚Asoziale‘ und ‚Gemeinschaftsfremde‘ – Zum Umgang mit Prostitution im Nationalsozialismus“. Der spannende und faktenreiche Vortrag schlug einen Bogen vom Umgang mit Prostitution im deutschen Kaiserreich über die Weimarer Republik bis hin zu den barbarischen Praktiken des Nationalsozialismus. Prof. Ayaß wies eindringlich auf die Vorläufer der Prostitutions-Diskriminierung hin, die schließlich in vielfältigen Praktiken der Diskriminierung und Verfolgung von Prostituierten unter dem Hitler-Regime mündeten. Die gegen „Asoziale“ gerichtete Politik der Nazis betraf auch die Prostituierten. Diese Politik verschärfte sich noch einmal drastisch mit Kriegseintritt des 3. Reiches. Es war kein Zufall, dass der Erlass des Reichsinnenministers zur Registrierung von Prostituierten im Jahre 1939, dem Beginn des 2. Weltkriegs, in Kraft trat. Bis 1945, so Ayaß, seien bis zu 5.000 Frauen unter dem Vorwand, „asozial“ zu sein, in KZs, vorwiegend nach Ravensbrück, verschleppt worden. Bei der Mehrzahl von ihnen habe der Vorwurf „Prostitution“ gelautet. Prof. Ayas wies darauf hin, dass sich die drakonischen Verfolgungsmaßnahmen insbesondere auch gegen die Mobilität der Prostituierten richteten, was seinerzeit als „Herumtreiben“ bezeichnet wurde. Viele so genannte „Gelegenheitsprostituierte“ wurden Opfer der Nazi-Politik gegen Prostitution. Für diese Politik habe es bis zum heutigen Tag außer einigen Härtefallregelungen keine Wiedergutmachung gegeben.

Trotz der düsteren Periode der deutschen Politik gegenüber Prostitution sprach Ayas davon, dass man von einem langfristigen Trend der Entkriminalisierung von Prostitution in der deutschen Geschichte sprechen könne. Dieser Prozess sei allerdings von heftigen Schwankungen gekennzeichnet.

In der anschließenden Diskussion ging es auch um die Frage, ob man in der Kritik an der Politik der Bundesregierung auf die Politik der Registrierung durch die Nazis Bezug nehmen und darauf verweisen könne. Ayas vertrat die Meinung, dass man mit historischen Vergleichen grundsätzlich vorsichtig sein solle, zumal es sicherlich genügend Kritikpunkte gäbe, die man aus heutiger Sicht gegen die Registrierung von Sexarbeiter/innen vorbringen könne. Die „Nazi“-Keule zu schwingen, sei in der Regel weder hilfreich noch der Diskussion förderlich. Demgegenüber wurde betont, dass der Verweis auf das Faktum der Registrierung unter den Nazis noch lange keinen unzulässigen ahistorischen Vergleich beinhalte. Die Nazi-Keule werde eher von denjenigen geschwungen, die sich derlei Verweise und Erinnerungen verbieten

Prof. Wolfgang Ayas sieht in dem vorgelegten Gesetzentwurf und den darin enthaltenen Maßnahmen eher einen Rückfall in Zeiten des Kaiserreichs als in die Zeit des Nationalsozialismus.

Im Anschluss an Vortrag und Diskussion mit Prof. Ayas fand unter der Fragestellung „Rechte für Sexarbeiter/innen, Anerkennung der Sexarbeit – eine Utopie?“ eine Podiumsdiskussion unter starker Einbeziehung des Publikums statt. Die Podium-Inputs kamen von Melanie (Sexarbeiterin, NRW / voice4sexworker), von Felicitas Schirow (Betreiberin Cafe Psst, Berlin) und von Juanita Henning (Doña Carmen e.V., Frankfurt).

Die Podiumsbeiträge von Melanie und Felicitas spiegelten die nun seit Jahren anhaltende staatliche Ignoranz gegenüber den Belangen von Sexarbeiter/innen. Die Politik habe zwar hingehört, was Sexarbeiter/innen fordern, sich aber schließlich doch gegen sie gewandt. Gesetze seien nicht alles, so Melanie, es fehle vor allem an gesellschaftlicher Toleranz, Erkennbar daran, dass man nach wie vor wegen seines Berufes diskriminiert werde.
Man habe jetzt drei Jahre Aktivismus hinter sich und sei mit Ignoranz und einer herablassenden, abfälligen Haltung führender Politiker, allen voran Ministerin Schwesig, konfrontiert. Felicitas Schirow bestätigte die Beratungsresistenz der Politiker, denen sie vorwarf, ein Gesetz zu kippen, ohne ihm jemals eine reelle Chance gegeben zu haben. Seit einigen Jahren brächten die Medien ständig nur Negatives über Prostitution. So heize man eine Stimmung der Diskriminierung an. Notwendig sei in erster Linie eine Entstigmatisierung von Prostitution, möglicherweise als Teil eines Gesetzes gegen Diskriminierung. Juanita Henning brachte die gegenwärtige, wenig ermutigende Lage damit in Zusammenhang, dass es im Unterschied zur Hurenbewegung der 70er und 80er Jahre gegenwärtig keine emanzipatorische Frauenbewegung gäbe, als deren Teil sich die jetzige Bewegung für die Rechte von Sexarbeiter/innen verstehen könne. Gleichwohl sei nicht mit einem Verbot der Prostitution in Deutschland zu rechnen. Es gäbe eine Vielzahl gesellschaftlicher Gründe, die den von Prof Ayas hervorgehobenen Trend einer zunehmenden, wenngleich nicht gradlinigen Entwicklung hin zu einer Entkriminalisierung von Prostitution stützen würde.

Die lebhafte Diskussion thematisierte auch die Tatsache, dass die Betroffenen – Sexarbeiter/innen wie Betreiber/innen – über die vorliegenden Regierungspläne gar nicht informiert seien. Aufklärungsarbeit sei ungemein mühsam, zumal immer noch die Grundhaltung vorherrsche, es werde schon nicht so schlimm werden. Auch die Rolle der Fachberatungsstellen wurde sehr kritisch gesehen. Die Aktion der Sexarbeiter/innen vergangenes Jahr gegen Ministerin Schwesig habe verdeutlicht, dass den Fachberatungsstellen im Zweifel die eigene finanzielle Ausstattung wichtiger sei als die Rechte derjenigen, die sie beraten.

Ob man angesichts der geplanten Gesetzesverschärfung zu einem Boykott der geplanten Maßnahmen aufrufen solle und ob dies Aussicht auf Erfolg habe – dazu gingen die Meinungen auseinander. Nichtsdestotrotz habe man eigentlich keine Alternative und müsse radikaler werden. So könne man sich bei Treffen in dreimonatlichem Abstand möglicherweise auf kleine, lokale Aktionen verständigen, die man gemeinsam koordinieren und durchführen könne. Wichtig sei weiterhin, dass die Menschen hierzulande mitbekämen, was auf die Sexarbeiter/innen zukomme.

Mit dieser sehr lebhaft und engagiert geführten Diskussion endete der zweite Tag der „Frankfurter Prostitutionstage“.

3. Tag

Mit einem Vortrag zu „Gesundheitsschutz und neue deutsche Prostitutions-gesetzgebung – Das Ende der Freiwilligkeit?“ begann der dritte und letzte Tag der diesjährigen „Frankfurter Prostitutionstage“. Referent Dr. Matthias Stiehler vom Gesundheitsamt Dresden kam von der parallel stattfindenden Fachtagung der Deutschen Gesellschaft für sexuelle Gesundheit (DSTIG) aus Köln. Er berichtete von der breiten Ablehnung, die der Referentenentwurf der Bundesregierung von Organisationen im Bereich der Gesundheitsfürsorge erfahre.

Darüber hinaus erläuterte er, was die neue Prostitutionsgesetzgebung, sollte sie Realität werden, für die konkrete Arbeit einer medizinischen Beratungsstelle wie in Dresden bedeute. Abgesehen davon, dass die neuen Regelungen „praxisfern und obrigkeitsstaatlich“ seien, stünden sie im Widerspruch zu § 19 Infektionsschutzgesetz, der die Gesundheitsämter zu einer freiwilligen Beratung verpflichte. Eine Beratung unter Zwang hingegen hätte erhebliche Konsequenzen und würde das bestehende Vertrauensverhältnis zu den Klienten massiv gefährden. Das geplante Gesetz sei ein Rückfall in Zeiten polizeilicher Kontrolle und Überwachung und befördere vor allem eines: eine besondere Gefährdungslage für die Betroffenen

Der abschließende Beitrag von Rechtsanwalt Meinhard Starostik, Richter am Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, zum Thema „Registrierung, Hurenpass und Datenschutz – Möglichkeiten rechtlicher Gegenwehr“ hob die Stimmung der Tagungs-Teilnehmenden um Einiges. Starositik bezeichnete den von der Regierung vorgelegten Gesetzentwurf als „rechtspolitisch unterirdisch“. Man könne keineswegs auf die Vernunft des Gesetzgebers setzen. Dieser sei vielmehr zum Äußersten entschlossen und würde seine Rechtsmacht rücksichtslos ausnutzen. Die Tatsache, dass 50 % der von der Regierung beschlossenen Sicherheitsgesetze schließlich vom Verfassungsgereicht wieder abgelehnt würden, verdeutliche das. RA Starostik erläuterte die rechtlichen Möglichkeiten der Gegenwehr vor dem Verwaltungsgericht bzw. vor dem Bundesverfassungsgericht. Er verwies auf die inhaltlichen Punkte, an denen eine Klage ansetzen könne: Angreifbar sei der vorgelegte Gesetzentwurf vor allem in Hinblick auf seinen Umgang mit dem sexuellen Selbstbestimmung sowie mit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 GG). RA Starostik gab sich diesbezüglich optimistisch und verwies darauf, dass auch die Rechtsprechung in Punkto ‚Homosexualität‘ seinerzeit in sein glattes Gegenteil umgeschlagen sei: Was in den Siebziger Jahren noch als ‚Verbrechen‘ galt, wird heute als ‚Freiheitsrecht‘ eingestuft. Auch der Umgang mit Art 12 (Berufsfreiheit) sei verfassungsrechtlich bedenklich, was Starostik mit Verweis auf die Überprüfung der Einsichtsfähigkeit verdeutlichte. Das Prostitutionsgesetz habe mit der Anerkennung von Prostitution als Beruf bereits die Tür geöffnet. Nun gelte es, rechtspolitisch und politisch den Mut aufzubringen, einen schritt weiterzugehen und den rechtlichen Umgang mit Prostitution diesem Sachverhalt anzupassen.

Verfassungsrechtlich nicht haltbar sei auch die vielfache Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes, der in unverhältnismäßiger Willkür – etwa bei den geplanten „Anordnungsbefugnissen“ gegenüber Sexarbeiter/innen zum Ausdruck käme. Nicht zuletzt die europarechtliche Dimension des geplanten Gesetzes müsse Gegenstand einer verfassungsrechtlichen Überprüfung sein.

Keinen Zweifel ließ Starostik daran, dass man einen langen Atem brauche, wenn es darum gehe, ein solches Gesetz zu Fall zu bringen und andere rechtliche Maßstäbe an dessen Stelle zu setzen. Im Zusammenhang des Kampfes gegen die Vorratsdatenspeicherung habe man 7 Jahre gebraucht. Das politische Einwirken, so Starostik, sei daher allemal wichtiger, das gerichtliche Vorgehen hingegen stets schwierig und langwierig.

Fazit

Die Diskussionen auf den 4. Frankfurter Prostitutionstagen waren durch einen Widerspruch gekennzeichnet: Auf der einen Seite ein historischer und rechtspolitischer Optimismus, der sich auf eine zunehmende Entkriminalisierung und Verrechtlichung von Prostitution in den vergangenen Jahrzehnten bezieht. Auf der anderen Seite zermürbende alltägliche Erfahrungen mit Desinformation, Diskriminierung und mühseligem Widerstand gegen ein völlig aus der Zeit gefallenes Gesetz der Bundesregierung.

Der Spagat zwischen diesen Positionen wird die Bewegung für die Rechte von Sexarbeiter/innen vermutlich noch längere Zeit begleiten.

Die „Frankfurter Prostitutionstage“ wurden von den Teilnehmenden nichtsdestotrotz erneut als Forum einer solidarischen Auseinandersetzung um Fragen des Kampfes für die Rechte von Sexarbeiter/innen wahrgenommen und geschätzt. Auch das gesellige Beisammensein kam nicht zu kurz. Die eigentlichen gesellschaftlichen Herausforderungen aber stehen erst noch bevor.

Rede-Henning-zu-Menschenhandel

Rede-FRAENCES-4.-Prostitutionstage

Rede-WILDKATZE-4.-Prostitutionstage