3. Frankfurter Prostitutionstage 7. – 9. Nov. 2014

– Eine Zusammenfassung –

Vom 7. bis 9. November 2014 fanden in Frankfurt/Main zum dritten Mal die von Doña Carmen e.V. ausgerichteten ‚Prostitutionstage‘ statt. Als offenes Forum zur Unterstützung der Rechte von Sexarbeiter/innen in der Prostitution bieten die Frankfurter Prostitutionstage eine Plattform für kontroverse, aber solidarische Auseinandersetzungen ohne Ausgrenzung.

Die aktuelle politische Situation war dieses Jahr bestimmt durch die im August 2014 bekannt gewordenen „Eckpunkte“ eines von der Regierung geplanten „Prostituiertenschutzgesetzes“ – eine beschönigende Bezeichnung für die geplante repressive Neuausrichtung bundesdeutscher Prostitutionspolitik. Die Stichworte lauten: Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten, Meldepflicht für Sexarbeiter/innen, jederzeitige, bundesweite anlasslose und verdachtsunabhängige Kontrollen, Einstieg in die Kriminalisierung von Prostitutionskunden, Eindämmung der Prostitutionsmigration durch Verschärfung der Menschenhandels-Politik etc.

Rund 70 Teilnehmende versammelten sich dieses Jahr in Frankfurt, um sich auszutauschen über Einschätzungen zur gegenwärtigen Entwicklung, aber auch um Möglichkeiten von Gegenmaßnahmen auszuloten. Der ein Tag zuvor ausgerufene bundesweite Bahnstreik verhinderte so manche Anreise. Gleichwohl solidarisierten sich die Teilnehmenden mit den Forderungen der streikenden Bahnmitarbeiter.

Moderiert wurden die Debatten wie in den vergangenen Jahren von Prof. Dr. Ellen Bareis (Ludwigshafen), von Jenny Künkel (Universität Frankfurt) und Klaus Walter (Frankfurt).

1. Tag

Den Auftakt der Tagung bildete das Grußwort der Bundespressesprecherin der Piratenpartei, Anita Möllering. Sie sprach anstelle des  Sexualwissenschaftlers Prof. Volkmar Sigusch, dem die Versammlung Genesungswünsche übermittelte.

Anita Möllering (Die Piraten/Berlin) sprach mit Blick auf die geplante Reform der Prostitutionsgesetzgebung von massiven Eingriffen in die Grundrechte der betroffenen Menschen. Diese Politik sei rückwärtsgewandt und einer Demokratie unwürdig. Sexarbeit sei ein normaler Beruf und Sexarbeiter/innen hätten einen legitimen Anspruch auf Grundrechte. Der Hinweis auf Zwangsprostitution sei mitnichten ein Argument für die Meldepflicht von Sexarbeiter/innen. Im Gegenteil. Datenschutzrechtliche Bedenken seien heute schon durch die Praxis in Baden-Württemberg und Bayern mehr als gerechtfertigt. Möllering sprach sich für eine „emanzipatorische Prostitutionspolitik“ aus, die dem Recht auf Berufsfreiheit und dem informationellen Selbstbestimmungsrecht von Sexarbeiter/innen Rechnung trage. Konkret gelte es, die Lobbyarbeit für Prostitution zu stärken. Die Piratenpartei habe das Thema seit der letzten Bundestagswahl aufgegriffen. Es bedarf jedoch auch weiterhin einer innerparteilichen Bewusstseinsbildung. Denn generell bestehe viel Unwissen über Sexarbeit, was Menschen anfällig mache für Vorurteile.

Fraences (Sexarbeiterin / Frankfurt/Main) stellte in dem Mittelpunkt ihres Vortrags die Frage, was die Kernpunkte der repressiven Wende in der Prostitutionspolitik für die einzelnen Sexarbeiter/innen konkret bedeuten. Wichtig sei es, die regierungsamtliche Rede von „Schutz“ und „Selbstbestimmung“ der Prostituierten öffentlich als Desinformation darzustellen. Dass man es nötig habe, die Öffentlichkeit mit der Legende vom „Schutz der Prostituierten“ zu täuschen, sei eine Schwachstelle der Regierung, die man entlarven müsse. Auf einen Deal „Schutz statt Rechte“ sollten sich Sexarbeiter/innen nicht einlassen, forderte Fraences. Denn der gemeinsame Nenner der geplanten Maßnahmen sei Repression und Entrechtung. Beides sei allerdings kein Selbstzweck. Strategisches Ziel der Bundesregierung sei vielmehr die Eindämmung von Prostitution. Es handele sich bei der geplanten Reform um ein großangelegtes Programm zur Arbeitsplatzvernichtung in der Sexarbeit durch eine staatlich verordnete künstliche Verknappung von Angebot und Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen. Am Beispiel der Stadt Karlsruhe erläuterte Fraences, dass die geplanten Maßnahmen der Bundesregierung – sollten sie Wirklichkeit werden – auf eine Halbierung des jetzigen Umfangs des Prostitutionsgewerbes hinauslaufen würden. Fraences forderte dazu auf, sich zusammenzuschließen, Bündnispartner für die Anliegen der Sexarbeiter/innen zu gewinnen und bei der Frage der Zwangsregistrierung den Hebel anzusetzen: „Was wir brauchen, ist der Mut zu kämpfen!“

Melanie (Sexarbeiterin / Begründerin von voice4sexworkers / NRW) setzte sich in ihrem Vortrag zum Thema „Warum ‚normalen‘ Bürgern die Anti-Prostitutions-Kampagnen nicht egal sein sollten“ mit den Horrorgeschichten über Zwangsprostitution im Rahmen der amerikanischen „White Slavery“-Politik auseinander. Ziel dieser Politik sei stets gewesen, die Professionalisierung von Prostitution zu hintertreiben und die Befugnisse der Polizei auszuweiten. Zur „White Slavery“-Politik in den USA gehörte es, Zehntausende ausländischer Frauen aus den USA auszuweisen bzw. sie einer Zwangssterilisation zu unterwerfen. Aus der für die Politik des „White Slavery“ zuständigen Behörde sei später das amerikanische FBI entstanden.
Hier und heute heißt der einschlägige Begriff inzwischen „Menschenhandel“. Die Rede von 27 Millionen Menschen, die heute in Leibeigenschaft leben würden, viele davon angeblich in „sexueller Ausbeutung“, bezeichnete Melanie als „Gehirnwäsche“. Urheber dieser Zahl sei ein einziger Mann, nämlich Kevin Bales. Melissa G. Grant zeige demgegenüber in ihrem jüngst ins Deutsche übersetzten Buch „Hure spielen“, dass es der gegenwärtigen Prostitutionspolitik um eine Ausweitung der Verdachtskultur, um den Zugang der Polizei zu Privatwohnungen, um mehr Videoüberwachung und schließlich um den „gläsernen Bürger“ gehe. Diese Politik ziele auf die Beeinflussung von Sexualität und freie Partnerwahl nicht nur bei Sexarbeiter/innen. So dürften es – Melanie zufolge – vor allem alleinerziehende Frauen ohne Norm konformes Verhalten zukünftig immer schwerer haben, eine Wohnung zu finden.

Pieke Biermann (Hurenaktivistin & Publizistin / Berlin) gab mit ihrem 1980 erstmals veröffentlichten und inzwischen neu aufgelegten Buch „Wir sind Frauen wie andere auch“ den damaligen Anliegen der Sexarbeiter/innen Name und Gesicht. Auch in den 80er Jahren, so Pieke Biermann, kämpften Huren für bessere Gesetze. Aber auch dafür, dass Huren überhaupt als „gesellschaftsfähig“ gelten. Die damalige Erfahrung war, dass die meisten Menschen weitaus toleranter und liberaler waren als die in den Medien veröffentlichte Meinung. Gleichwohl habe es über ein Jahrzehnt andauernder mühseliger Kleinarbeit bedurft, um überhaupt ein Netzwerk von Sexarbeiter/innen und Menschen aus dem Bereich der Justiz, des Gesundheitswesens und der Kultur zusammenzubringen.

Wer an die Öffentlichkeit gehe, müsse allerdings gewappnet sein gegenüber Feindseligkeit und Frauenhass, wie Pieke Biermann an Beispielen verdeutlichte. Der Fall Edathy und die aktuelle Politik gegen Huren zeigen, dass es um eine „Beschlagnahme von Sexualitäten“ ginge. Huren müssten demgegenüber „politische Perspektiven“ aufzeigen. Dabei sei das Kernproblem bei Prostitution die Frage des Geldes. Frauen sollten an kein eigenes Geld kommen – das sei die eigentliche Botschaft der Anti-Huren-Kampagnen. Dass man für seine Arbeit Geld nehme, hätten Sexarbeiter/innen mit jeder ALDI-Verkäuferin gemeinsam. Weder in dem einen, noch in dem anderen Job sei man mit seiner Arbeit „identisch“. Geld aber bedeute Macht, und das wolle man Frauen streitig machen. Heute wie damals brauche man vor allem Verbündete. Gerade in Zeiten des Rollback, so Pieke Biermann, müsse man Verbündete gewinnen, die ähnlich stigmatisiert würden wie die Huren.

2. Tag

Anstelle der leider verhinderten Referentin Prof. Dr. Katja Sabisch (Bochum) sprach Rechtsanwalt Dr. Philipp Thiée (Frankfurt) zum Thema „Prostitution und ‚Organisierte Kriminalität‘ – Mythos oder Realität“.

Philipp Thiée stellte in seinem Vortrag heraus, dass die Vorstellung von „Organisierter Kriminalität“ im Rotlicht durch die Überschneidung mit Rockervereinen und durch besondere „kulturelle Codes“ zwar einerseits reale Bezüge habe, gleichzeitig aber stets eine Ideologie und ein Mythos sei, der langfristige Eigeninteressen der Polizei zum Ausdruck bringe. So werde eine „gigantische Bedrohung“ an die Wand gemalt, obwohl es in allen Gesellschaften stets nur einen gleichermaßen geringen Prozentsatz derartiger Kriminalität gäbe und immer gegeben habe. Wo eine höhere Kontrolldichte sei – wie eben im Prostitutionsgewerbe -, da schaue man stärker hin und da wird eben auch mehr gefunden. Mit Schlagworten von „Strukturen“ oder „grenzüberschreitender Kriminalität“ würde das Prostitutionsgewerbe vom Bürgertum skandalisiert, wohlwissend dass „Organisierte Kriminalität“ bestenfalls ein Randthema sei. Zudem gebe es heute kaum noch irgendeine Handlung, die nicht als „organisiert“ zu bezeichnen sei. Und viele Aktivitäten von Menschen seien heute ohnehin grenzüberschreitend. Politiker, so Philipp Thiée, neigen dazu, sich dem „CNN-Effekt“ zu unterwerfen: Man wolle wiedergewählt werden und politisiere den Bereich der Kriminalität. Strafgesetze im Allgemeinen und Sondergesetze bezüglich Prostitution im Besonderen seien allerdings immer „billige Gesetze“, die letztlich nichts kosten würden. Sie seien eine „billige Reaktion“, die lediglich spektakulär daher käme.

Im Anschluss sprach Dr. Susanne Dodillet (Universität Göteborg, Schweden) über die Politik des „Schwedischen Modells“ und stellte heraus, dass das Sexkaufverbot von 1999 nicht isoliert betrachtet werden dürfe. Es sei vielmehr Teil einer umfassenden, aus mindestens sechs Gesetzen bestehenden Prostitutionspolitik. Anhand der Geschichte der schwedischen Prostitutionspolitik zeigte Dodillet auf, dass nicht nur der Freier kriminalisiert, sondern dass Prostitution vor dem Hintergrund konservativer Argumentationen gegen außerehelichen Sex in Schweden als „sozial destruktives Verhalten“ eingestuft werde. Nach schwedischem Selbstverständnis gilt diese Politik allerdings nicht als konservativ, sondern als progressiv, als Ausdruck von „Gleichstellung“. Dies bedeutet aber auch, dass es zwischen Arm und Reich keinen „gleichberechtigten Sex“ geben könne.

Die schwedische Politik des Sexkaufverbots verdeutliche, dass konservative Argumente heute in eine sozialistische Prostitutionsgegnerschaft eingeflossen seien. Das Sexkaufverbot solle den Prostituierten in Schweden den Alltag so schwer wie möglich machen, sodass sie aus ihrem Beruf aussteigen. Die offizielle Evaluation des Sexkaufverbots, so Dodillet, habe die beabsichtigten Effekte nicht nachweisen können. Der Rückgang bei Prostitution sei in den einzelnen Städten eher auf unterschiedliche Ausmaße von Polizei-Aktivitäten, nicht aber auf das Gesetz zum Sexkaufverbot zurückzuführen. Auch eine abschreckende Wirkung gegenüber Freiern habe nicht überzeugend dargelegt werden können. Für den behaupteten Rückgang bei „Menschenhandel“ schließlich fehlen sämtliche Vergleichszahlen für die Zeit vor dem Sexkaufverbot. Anhand der Behinderung ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeit bis hin zur Forderung nach einer Aberkennung ihres Doktortitels verdeutlichte Dodillet, dass die schwedische Prostitutionspolitik problematische Auswirkungen auch über den Kreis der unmittelbar Betroffenen hinaus hat.

Juanita Henning (Doña Carmen e.V. / Frankfurt) bezeichnete das geplante „Prostituiertenschutzgesetz“ als „klassischen Fall von Etikettenschwindel“. Wegen der damit geplanten existenzvernichtenden Eindämmung von Prostitution und der weiteren Entrechtung von Sexarbeiter/innen habe man es hier mit einer staatlich zu verantwortenden Gewalt gegen Frauen zu tun, gegen die man vorgehen müsse. Dabei komme der Kritik am Konstrukt „Menschenhandel“, mit dem die repressive Politik gegen Sexarbeiter/innen allenthalben gerechtfertigt werde, die entscheidende Bedeutung zu. „Menschenhandel“ sei eine „windige rechtliche Konstruktion“ und ein „Kampfbegriff gegen Prostitution“. Anhand der inflationären Ausweitung des Konzepts „Menschenhandel“ zeigte Henning, dass dieses Konzept sich aktuell in einer strukturellen Krise befinde, die man gegen dieses Konzept selbst wenden müsse. Offenkundig werde diese Krise auch an ständigen „Nachweisproblemen“ in Bezug auf Opfer von Menschenhandel.

Da der Straftatbestand „Menschenhandel“ nach Eingeständnis führender Strafrechtler kaum trennscharf abzugrenzen sei von anderen Straftatbeständen und zu Willkür-Urteilen führe, sei ein eigenständiger Straftatbestand weder gerechtfertigt noch realitätstauglich. Vor dem Hintergrund, dass „Menschenhandel“ vor allem der Kriminalisierung eigenverantwortlich getroffener Entscheidungen zur Migration diene, gäbe es keinen vernünftigen Grund, sich weiterhin dieser untergehenden Ideologie zu unterwerfen. Erst die vollständige Trennung von der „Menschenhandels“-Ideologie ermögliche das Entstehen einer Sexarbeiter/innen-Bewegung, die diesen Namen auch verdiene.

Im Unterschied dazu wollte Johannes Mahn (Colectivo Hetaira – Colectivo en defensa de los derechos de las trabajadoras del sexo, Madrid/Spanien) den „Menschenhandel“ nicht negieren, stellte aber fest, dass mit völlig manipulierten und aus der Luft gegriffenen Zahlen als Totschlag-Argument gegen Prostitution operiert werde. Insbesondere gelte es, den zentralen Begriff der „sexuellen Ausbeutung“ zu knacken. Johannes Mahn berichtete aufschlussreich über die von vielen Medien verbreiteten Hetzkampagnen gegen Prostitution in Spanien. So würden gegen Prostitutionskunden gerichtete Plakate verbreitet mit Texten wie: „Ich habe Sex mit Frauen, auch wenn sie keinen wollen.“

Generell sei Prostitution in Spanien „alegal“, also weder verboten noch erlaubt. Doch einzelne Kommunen bedienen sich lokaler „Gemeindeverordnungen für das bürgerliche Zusammenleben“ in der Absicht, im öffentlichen Raum sämtliche sexuellen Dienstleistungen gegen Bezahlung zu verbieten. Die erste dieser Gemeindeverordnungen gab es 2005 in Barcelona, andere Städte folgten. Madrid plane darüber hinaus eine Kundenbestrafung. Wichtig für Hetaira sei es, dass Hurenstigma zu bekämpfen und ein Position „pro Rechte“ einzunehmen. Dies schließe ein, Fälle von Ausbeutung nicht im Strafrecht, sondern im Arbeitsrecht zu regeln.

Dr. Helga Amesberger (Institut für Konfliktforschung, Wien) vertrat in ihrem Vortrag „Prostitutionspolitiken in Europa – Wandel im internationalen Vergleich“ die These, dass Prostitutionspolitiken in der Regel keinerlei Effekte auf den Umfang der Märkte (Anzahl von Sexarbeiter/innen und Prostitutionsstätten) hätten, sondern lediglich Effekte auf die Arbeitsbedingungen. Diese aber seien vorwiegend negativ. Es komme vor allem zu einer Verlagerung vom legalen zum illegalen Sektor, verbunden mit einer zunehmenden Verletzbarkeit der Betroffenen. Helga Amesberger bezog sich dabei auf Schweden, Wien und die Niederlande, erwähnte aber auch Erfahrungen aus Neuseeland. Sie vertrat diese These, wenngleich sie einräumte, dass es keine verlässlichen Zahlen dazu gäbe, und wenn es Zahlen gäbe, dann nur, um mit ihnen Politik zu machen.

Einer Meldepflicht von Sexarbeiter/innen steht Amesberger vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Österreich kritisch gegenüber. Die Meldepflicht für Sexarbeiter/innen werde unter dem Vorwand des Schutzes eingeführt, diene aber lediglich dazu, einen Erstkontakt zwischen Sexarbeiter/innen und Polizei zu ermöglichen. Sie diene der Kontrolle dieser Berufsgruppe, von der Amesberger sagt, dass es keine Berufsgruppe gäbe, bei der die Betroffenen in vergleichbarer Weise in solch hohem Maße von der Regelung der sie betreffenden Angelegenheiten ausgeschlossen würden. Die Gefahr einer „Überregulierung“ sei nicht von der Hand zu weisen.

3. Tag

Percy McLean (ehem. Verwaltungsrichter / Berlin) vergegenwärtigte in seinem Vortrag zum Thema „Das deutsche Prostitutionsgesetz – ein Auslaufmodell?“ wesentliche Aspekte des (noch) geltenden rot-grünen Prostitutionsgesetzes von 2002. Es habe mit einer Zeit gebrochen, in der Prostitution noch mit dem „Berufsverbrechertum“ rechtlich auf eine Stufe gestellt wurde. Das Gesetz sei sicherlich keine perfekte Lösung, aber zumindest ein „Einstieg“ in die Legalisierung gewesen. Großes Lob zollte Percy McLean dem von Doña Carmen vorgelegten Gesetzentwurf, den er als eine „Weiterentwicklung“ des rot-grünen Prostitutionsgesetzes bezeichnete und als „Alternative“ zu den „schrägen Projekten“ der jetzigen Bundesregierung einstufte.

McLean verwies darauf, dass es gelte, die Verlogenheit des „Bund-Länder-Ausschusses Gewerberecht“ zu überwinden und selbständige Prostitution endlich als freien Beruf anzuerkennen. Auch im Bauplanungsrecht sei die Rechtsprechung in Bezug auf Prostitution immer noch unklar. Als „ganz schlimm“ bezeichnete McLean die Beibehaltung der Sperrgebiete: „Wozu diese Illegalisierung der Berufsausübung von Prostituierten?“, fragte er.

Gegen die geplante Meldepflicht für Prostituierte müsse man massiv vorgehen. Sie sei ein Relikt aus der Nazi-Zeit und ein totaler Rückschritt in den Überwachungsstaat. Auch die von der Bundesregierung geplante Freierbestrafung sei „indiskutabel“. Es sei erschreckend, wie in Schweden die Öffentlichkeit mit gefälschten Statistiken über angebliche Erfolge der Freierbestrafung getäuscht werde. Prostitution müsse wie jede andere Tätigkeit ab 18 Jahren ausgeübt werden dürfen. Es sei absurd, so McLean, dass man mit 18 Jahren als Soldat andere Menschen totschießen, aber erst mit 21 der Prostitution nachgehen dürfe.

Gleichwohl sei Prostitution für ihn kein Beruf wie jeder andere, sondern eine risikobehaftete Tätigkeit. Eine gewisse Fürsorge sei erforderlich, aber sie dürfe nicht in Bevormundung umschlagen. Mit Blick auf den Straftatbestand Menschenhandel forderte Percy McLean eine „Rechtstatsachenforschung“. Eine Prostitutionspolitik müsse tatsachenbasiert sein. Lügen und Vorurteile dürften niemals die Grundlage für Gesetzesänderungen sein.
Auf Percy McLean folgte Viktor Schoeggl (Bordellbetreiber, Wien), der zusammen mit seiner Frau die Auswirkungen des Wiener Prostitutionsgesetzes für Prostitutionsstätten-Inhaber aufzeigte. Nachdem das von seiner Frau geführte Tantra-Massagestudio von der „Gruppe Menschenhandel“ der Wiener Polizei geschlossen wurde, bemühte Schoeggl sich um die Genehmigung für eine Wieder-Eröffnung. Die Polizei klärte ihn auf, dass für solche Einrichtungen nunmehr die „Prostitutions-Stelle“ zuständig sei – auch wenn es sich nicht um Prostitution im eigentlichen Sinne handele. Dort begann nun der „Leidensweg“, den Viktor Schoeggl detailliert nachzeichnete. Die Umsetzung des Wiener Prostitutionsgesetzes liege zwar in den Händen der Polizei, bei der ein einziger Mann für die Bewilligung zuständig sei. Aber mit ins Spiel kommen die Baubehörde und ein „Ziviltechniker“, der bis ins Detail jede Kleinigkeit vermisst und Vorgaben macht, die im Zuge von mehreren Begehungen überprüft werden. Von der Belüftung über Gasheizung und Schallschutzmaßnahmen bis hin zur Badewanne – es gibt nichts, was nicht bis ins Detail vorab geregelt ist. Den Höhepunkt der Regelungswut bildete die Auseinandersetzung um einen Ventilator im dreibügeligen Fenster, der bei einer anfänglichen Begehung vorgeschrieben, bei einer späteren Begehung hingegen als „irrtümliche Bewilligung“ beanstandet wurde. Als die Innenräume nahezu eingerichtet waren, fand nun der für Außenfassaden zuständige Herr Hofrat Langer, vormals Mitglied einer Spezialeinheit zur Verbrechensbekämpfung bei Terrorismus, ein reichhaltiges Betätigungsfeld.

„Wien ist anders“ lautet die Eigenwerbung der österreichischen Hauptstadt. Mit schwarzem Humor schilderte Viktor Schoeggl, was unter diesem Slogan zu verstehen ist: geradezu kafkaesken Verhältnisse hinsichtlich der Bewilligung von Prostitutionsstätten im Wien des 21. Jahrhunderts. Es handele sich um Behördenwillkür per Gesetz. Das Wiener Prostitutionsgesetz bezeichnete er als ein „Prostitutionsverhinderungsgesetz“.

Nach diesem ernüchternden Blick auf die Praxis der „Erlaubnispflicht von Prostitutionsstätten“, die in Deutschland erst noch bevorzustehen scheint, lieferten die Inputs einer abschließenden Podiumsrunde einen Kontrast zur vorangegangenen Darstellung.

Jenny Künkel, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Goethe-Universität Frankfurt, Cornelia Schneider, Sexarbeiterin und in Straßburg Mitglied der französischen Sexarbeitergewerkschaft STRASS (Syndicat du Travail Sexuel), Dr. Helga Amesberger vom Institut für Konfliktforschung in Wien sowie Gerhard Walentowitz von Doña Carmen e.V., Frankfurt, gaben den Teilnehmenden aus unterschiedlicher Perspektive Anregungen zum Kampf um die Rechte von Sexarbeiter/innen mit auf den Weg. Wie bei allen anderen Beiträgen war auch hier die Diskussion bis zum Ende lebhaft.

Auf Initiative von Juanita Henning und Fraences verabschiedeten die Versammelten zum Abschluss eine „4-Punkte-Erklärung“ in der Absicht, im Juni 2015 an einem zentralen Ort in Deutschland eine möglichst große, bundesweite Protest-Kundgebung gegen die geplante repressive Prostitutionsgesetzgebung zu organisieren. Ob das gelingen wird, wird die Zukunft zeigen. Aber einen Versuch ist es allemal wert.

Diese Erklärung hat folgenden Wortlaut:

„Die Versammelten erklären

1. Die im Rahmen der bevorstehenden Reform der Prostitutionsgesetzgebung geplante Einführung einer Meldepflicht für Sexarbeiter/innen ist ein massiver, durch nichts gerechtfertigter Eingriff in die grundgesetzlich geschützten Rechte dieser Berufsgruppe. Diese Maßnahme steht für eine insgesamt repressive Ausrichtung der Prostitutionspolitik, die wir entschieden ablehnen. Sie richtet sich nicht nur gegen die unmittelbar betroffenen Frauen, sondern im Endeffekt gegen einen freien und selbstbestimmten Umgang mit Sexualität aller Menschen in unserer Gesellschaft.

2. Um auf die Gefahren dieser Entwicklung hinzuweisen und eine repressive Ausrichtung zukünftiger Prostitutionsgesetzgebung zu verhindern, sprechen sich die hier Versammelten dafür aus, im Juni 2015 an einem zentralen Ort in Deutschland eine große bundesweite Protest-Kundgebung zu organisieren. Zu diesem Zweck streben wir ein breites überparteiliches gesellschaftliches Bündnis an, das die geplante Protestaktion der Sexarbeiter/innen und ihrer Organisationen politisch, organisatorisch und finanziell unterstützt.

3. Der geplante Protest der Sexarbeiter/innen und ihrer Verbündeten steht unter der zentralen Losung „Keine Registrierung von Sexarbeiter/innen!“ und spricht sich aus für eine Regulierung von Prostitution, die auf jede Form der Ausgrenzung, Stigmatisierung und Entrechtung von Sexarbeiter/innen verzichtet.

4. Die Versammelten der 3. Frankfurter Prostitutionstage beauftragen Doña Carmen e.V., zeitnah ein Organisationskomitee aller in Frage kommenden, auch internationalen Unterstützer für die geplante Manifestation im Juni 2015 einzuberufen und über den Fortgang der Aktivitäten zu informieren.“
Vor dem Hintergrund dieser Erklärung wird Doña Carmen e.V. seine bisherigen Bemühungen um die Verhinderung einer repressiven Neu-Ausrichtung der bundesdeutschen Prostitutionspolitik, insbesondere den Widerstand gegen die geplante Zwangsregistrierung von Sexarbeiter/innen, fortsetzen.

Die 3. Frankfurter Prostitutionstage wurden von den Beteiligten – trotz unterschiedlicher Sichtweisen im Detail – als Bereicherung und Unterstützung im notwendigen Kampf um Rechte von Sexarbeiter/innen erlebt. Ein abschließender Umtrunk in den Räumlichkeiten von Doña Carmen e.V. rundete die Tagung ab.