Hessische Landesregierung:
arrogant, herablassend, beratungsresistent
und lernunfähig
Am 7. April 2021 wandte sich Doña Carmen e.V. an den Petitionsausschuss des Hessischen Landtags mit dem Vorschlag, im Rahmen eines wissenschaftlich begleiteten Modellprojekts die Bordelle im Frankfurter Bahnhofsviertel unter praktikablen Hygienebedingungen und unter Verzicht auf die Umsetzung der Sperrgebietsverordnung im Bahnhofsviertel zu öffnen.
Zu diesem Zeitpunkt waren Bordelle in Hessen wegen Corona bereits 389 Tage am Stück geschlossen, was seinerzeit einen bundesweit einmaligen Lockdown-Rekord darstellte. (vgl. https://www.donacarmen.de/wp-content/uploads/Online-Petition_Dona_Carmen_e.V.pdf)
Man glaubt es kaum: Dieser traurige Rekord wurde nun im Nachklapp von der Hessischen Landesregierung noch einmal überboten. Am 8. Juli 2022 erhielt Doña Carmen e.V. endlich eine Antwort auf die am 7. April 2021 eingereichte Petition. Man hat sich sage und schreibe 456 Tage (!) Zeit gelassen mit der Beantwortung. Und diese ist im Nachhinein selbstredend ablehnend.
Anstatt es bei einer bloßen Ablehnung zu belassen, hat die Landesregierung Wert darauf gelegt, Doña Carmen e.V. „über die Sach- und Rechtslage“ mit Bezug auf Corona und Prostitution nachträglich noch einmal zu belehren.
Erledigung durch Liegenlassen
Das unerwartete Ergebnis: Durch Zuwarten der Landesregierung, d. h. gezielte Untätigkeit hinsichtlich einer Befassung mit der vorliegenden Petition, sei mittlerweile dem „Grundanliegen“ von Doña Carmen e.V., nämlich der Öffnung der Bordelle in Frankfurt, „bereits Rechnung getragen worden“. Denn spätestens seit dem 7. 2. 2022 seien diese in Hessen ja wieder geöffnet.
Was wohl als Besänftigung gedacht sein soll, ist nichts anderes als blanker Zynismus. Denn man rechtfertigt die damaligen Lockdown-Entscheidungen der Landesregierung mit Feststellungen wie: „eine Aufhebung des Schließungsgebotes in Hessen (sei) aus infektio!logischen Gründen lange Zeit nicht möglich“ gewesen. „Das Infektionsrisiko bei sexuellen Dienstleistungen ist hoch“, heißt es weiter. Wie hoch? Höher als bei anderen körpernahmen Dienstleistungen? Gibt es empirische Belege, Verweise auf wissenschaftliche Erkenntnisse? Fehlanzeige. Weiter heißt es, offensichtlich als „Begründung“ des damaligen Handelns gedacht: „Denn die Nutzung von Prostitutionsstätten und insbesondere der Geschlechtsverkehr ist in der Regel mit dem erhöhten Ausstoß von Tröpfchen und Aerosolen verbunden und damit durch kaum kontrollierbare dynamische Prozesse geprägt.“
Und wie ist es mit Geschlechtsverkehr generell oder mit Pay-Sex in Privatwohnungen und Stundenhotels, wo Prostitution ausweislich der hessischen Verordnungen weiterhin erlaubt war?
Genau auf diesen Kernpunkt, die Abwägung der Gesundheitsrisiken in unterschiedlichen Bereichen, in denen Sexarbeit stattfindet, hat die Hessische Landesregierung schlicht keine Antwort parat. Man schaltet einfach auf Durchzug.
Dass es im jüngst veröffentlichten Sachverständigengutachten der Bundesregierung zu den Corona-Maßnahmen heißt: „Wenn erst wenige Menschen infiziert sind, wirken Lockdown-Maßnahmen deutlich stärker.“ Je länger ein Lockdown andauere und je weniger Menschen bereit seien, die Maßnahme mitzutragen, desto geringer sei der Effekt – so tangieren solche Erkenntnisse die selbstgefällige Hessische Landesregierung natürlich nicht im Geringsten.
„Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“
Bei Prostitution sind offenbar die bekannten drei Affen („nichts sehen, nichts hören, nichts sagen“) die maßgebliche Richtschnur für hessisches Regierungshandeln. Wer anderweitige Ideen und Vorschläge unterbreitet, die aus dem Schema fallen, wird durch gezieltes Unterlassen von Handeln ausgebremst und obendrein noch bezichtigt, wenig Konkretes orgebracht zu haben.
Auf den Vorschlag von Doña Carmen, man möge doch, um der Verlagerung von Prostitution in einen informellen Sektor Einhalt zu gebieten, Bordelle im Frankfurter Bahnhofsviertel unter Einhaltung praktikabler Hygienebedingungen und wissenschaftlich begleitet im begrenzten Bereich des Frankfurter Bahnhofsviertels versuchsweise wieder öffnen, entgegnete die Landesregierung jetzt:
„Weder war klar, was unter ‚praktikablen Hygienebedingungen‘ zu verstehen ist, noch wurde ein entsprechendes Hygiene- und Lockerungskonzept vorgelegt.“
Über „praktikable Hygienebedingungen“ wurde seinerzeit bundesweit bereits über ein Jahr lang ausgiebig diskutiert. Nichts, außer dem ausgeprägten Willen zur Untätigkeit, hätte die hessische Landesregierung daran gehindert, sich selbst über solche Hygienebedingungen Gedanken zu machen. Schließlich ist man die Regierung. Aber es ist natürlich immer einfacher, einen Bordell-Lockdown anzuordnen. Da kommt man gar nicht erst in die Versuchung, nachdenken zu müssen.
Doch die ganze nachträgliche Legitimation des grün geführten Sozialministeriums ist ohnehin nur hohles Geschwätz. Denn im April 2021, als Doña Carmen e.V. die Petition einreichte, hätte das vorgeschlagene Modellprojekt gar nicht zum Zuge kommen können, stellt die Landesregierung rückblickend mit großer Genugtuung und als Krönung der eigenen Argumentation fest. Denn die 7-Tage-Inzidenz habe in Frankfurt seinerzeit mit 196,2 über dem einschlägigen Wert der verbindlichen Bundesnotbremse gelegen!
Nur zur Vergegenwärtigung: Hessen hat momentan einen 7-Tages-Inzidenz von 1.018 und alle Bordelle sind geöffnet… Das zeigt die ganze Hysterie, unter der man sich seinerzeit für Bordell-Lockdowns entschieden hatte.
Grün geführtes Sozialministerium für Schutz des „öffentlichen Anstands“
Was die Hessische Landesregierung aber im Besonderen wurmte, war der Vorschlag von Doña Carmen e.V., zeitgleich zur Durchführung des Modellprojekts die Umsetzung der Sperrgebietsverordnung im Frankfurter Bahnhofsviertel auszusetzen. Dieser Forderung, so das hessische Sozialministerium „konnte nicht zugestimmt werden“. Denn:
„Gemäß Artikel 287 Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch kann die Prostitution zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes durch eine Rechtsverordnung für bestimmte Zeiten und/oder Gebiete verboten werden“, wird Doña Carmen belehrt. „Der Minderjährigenschutz ist auch während der Dauer der Coronavirus-Pandemie zwingend zu beachten, sodass in den festgelegten Bereichen weiterhin keine Prostitution zulässig ist und Verstöße mit Bußgeld bewährt sind.“
Nun regelt der zitierte Artikel 287 EG StGB so wichtige Dinge wie das Außerkrafttreten des Gesetzes zum Schutze des Wappens der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 27. März 1935 u. ä., nicht aber die Ausübung der Prostitution. Selbst zum korrekten Verweis auf den eigentlich maßgeblichen Paragrafen, den man im Auge hat, ist man im Hessischen Sozialministerium außerstande. Das will schon einiges heißen.
Bekanntlich hat die Frankfurter Ordnungsbehörde unter dem Vorzeichen von Corona von der Möglichkeit einer Instrumentalisierung der Sperrgebietsverordnung gegen Prostitution reichlich Gebrauch gemacht, wie den öffentlichen Einlassungen des hiesigen Polizeipräsidenten unlängst zu entnehmen war.
Damit wird der völlig aus der Zeit gefallene und insofern gänzlich absurde „Schutz der Jugend“ und der „Schutz des öffentlichen Anstands“ vor dem Anblick bekleideter Frauen, die über die Straße schlendern und einem mittlerweile rechtlich anerkannten Beruf nachgehen, geltend gemacht. Mehr noch: Dieser moralisch motivierte „Schutz“ wird noch über den angeblich so bedeutsamen Gesundheitsschutz von Sexarbeiter*innen und ihren Kunden gestellt. Das ist die Quintessenz der Antwort der Hessischen Landesregierung an Doña Carmen e.V.
Natürlich können Landesregierungen ihre eigenen Rechtsverordnungen ändern. Aber dazu ist Schwarz/Grün nicht willens. Lieber begibt man sich argumentativ auf ein beschämend niedriges politisches Niveau und setzt darauf, dass nach 456 Tagen kein Hahn mehr danach kräht, was man zu sagen hat.
Diese Rechnung muss nicht immer aufgehen.
Antwort der Hessischen Landesregierung:
PetitionHessischerLandtag