In der FAZ vom 15. August 2011 erschien unter der Überschrift „‚Schlampen‘ tragen keine Schuld“ ein Bericht über den am 13.08. stattgefundenen Slutwalk (Schlampenmarsch) in Frankfurt/Main. In dem Bericht wird fälschlicherweise behauptet, Dona Carmen vertrete die Auffassung, die Schlampenmärsche „trügen selbst zur Stigmatisierung der Opfer bei“. Das ist nicht die Auffassung von Dona Carmen. Wir bedauern es, dass die Positionen von Dona Carmen derart verzerrt wiedergegeben wurde. Richtig ist, dass wir einige Aspekete der Slutwalk-Bewegung recht kritisch bewerten. Falsch ist, dass wir gegenüber den Organisatorinnen oder Beteiligten dieser Aktion irgendeine Schuldzuweisung der genannten Art vorgenommen hätten. Das steht uns gar nicht zu. Für Interessierte nachfolgend die uns von der Journalistin der FAZ im Vorfeld gestellten Fragen sowie unsere Antworten darauf.
Fragen und Antworten
Email von FAZ an Dona Carmen e.V.
Betreff: FAZ Slutwolk – Arikel
Von: „hospirmz <hpr@faz.de>
Datum: Thu, 11 Aug 2011 15:00:11 +0200
An: <DonaCarmen@t-online.de>
Sehr geehrte Damen und Herren,
anbei schicke ich Ihnen die Fragen für einen Artikel über den Slutwalk am Samstag, 13. August 2011, in Frankfurt/Main. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir diese bis morgen, Freitag, den 12. August, beantworten könnten. Herzlichen Dank!
Mit freundlichen Grüßen,
Sarah Buch
1.) Warum nehmen Sie am Slutwalk nicht teil?
2.) Wie seht ihr den Slutwalk? Vertritt diese Bewegung die Interessen von Prostrituierten?
3.) Was wäre aus Ihrer Perspektive eine bessere Form, um auf die Probleme in der Prostitution aufmerksam zu machen?
4.) Wie viele Prostituierte gibt es in etwa in Frankfurt/ Hessen?
5.) Welche andere „Randgruppen“ würden vermeintlich vom Slutwalk vertreten, sind es aber nicht?
Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH
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Email von Dona Carmen e.V. an FAZ
Betreff: Antwort / Walk
Von: Dona Carmen <donacarmen@t-online.de
Datum: Fri, 12 Aug 2011 11:35:11 +0200
An: sarahjbuch@gmail.com, hpr@faz.de
Sehr geehrte Frau Buch,
anbei die Skizzierung der Position von Dona Carmen e.V. zur Slutwalk-Bewegung, die wir versucht haben, kurz auf den Punkt zu bringen. Im Unterschied zur Fachberatungsstelle Hydra in Berlin, die sich an der dortigen Demonstration beteiligen will, sehen wir aus den unten angegebenen Gründen darin keinen Sinn.
Ich hoffe, die Ausführungen sind für Sie hilfreich.
Mit freundlichen Grüßen
Juanita Henning
Sprecherin Dona Carmen e.V.
1.) Warum nehmen Sie am Slutwalk nicht teil?
Die Befürworter/innen des Slutwalks gehen auf die Straße, um einen Mythos zurückzuweisen: dass Opfer sexualisierter Gewalt diese selbst zu verantworten hätten. Mag sein, dass einige unbelehrbare Zeitgenossen solchen Vorstellungen anhängen. Es scheint aber doch in hohem Maße zweifelhaft, dass ein solcher Mythos hier bei uns tatsächlich in nennenswertem Maße alltagswirksam ist. Wenn schon demonstrieren, dann bitte schön für konkrete soziale und politische Verbesserungen, für Gesetzesänderungen etc. Aber keine Demos gegen nebolöse Mythen.
Zudem bedienen sich die Organisatorinnen selbst eines Mythos, nämlich des krawall-feministischen Mythos, dass insbesondere Frauen einer Kultur der permanent drohenden Vergewaltigung, einer allenthalben weit verbreiteten „sexualisierten Gewalt“ ausgesetzt seien. In wissenschaftlichen Auftragsarbeiten für das Bundesfamilienministerium wird selbst das harmlose Hinterherpfeifen nach einer Frau als „sexuelle Belästigung“ und somit als Form „sexualisierter Gewalt“ eingestuft (vgl. Bundesfamilienministerium (Hrg.), Lebenssituatuation, Sicherheit und Gesundheit von Frauen in Deutschland, Bielefeld 2004). So konstruiert man vermeintliche Opfer. Und anstatt sich mit der Funktion derart problematischer, weil inflationärer Vorstellungen von „sexualisierter Gerwalt“ und ihrer vermeintlichen Opfer inhaltlich zu befassen, verbleiben die Organisatorinnen des Slutwalk auf dem Niveau einer Auseinandersetzung um Befindlichkeiten, die über eine politisch naive Bauchnabelschau nicht hinauskommt.
Man kokettiert selbst mit dem Status eines potentiellen Opfers und inszeniert sich medial. Die Gefahr einer missbräuchlichen Instrumentalisierung sieht man gar nicht: Unter dem Label des Kampfs gegen „sexualisierte Gewalt“ hat in den USA längst ein konservatives Bündnis von religiösen und pseudo-feministischen Grüppchen zusammengefunden, die eine zweifelhafte neue Prüderie auf ihre Fahnen geschrieben haben. Eine Auseinandersetzung damit findet nicht statt.
Bezeichnenderweise spielen konkrete Forderungen für die Rechte von Prostituierten in der Slutwalk-Bewegung keine Rolle – obwohl doch der Begriff ‚Schlampe‘ seit Jahrhunderten Frauen in die Nähe der stigmatisierten Prostituierten rücken sollte. Stattdessen der naive Glaube, man könne die latente Diskriminierung von Frauen, die promiskuitiv leben oder sich freizügig kleiden durch eine positive Besetzung der auf Sie gemünzten Schimpfwörter abwenden.
2.) Wie seht ihr den Slutwalk? Vertritt diese Bewegung die Interessen von Prostrituierten?
Die aktuellen Interessen der Prostituierten richten sich auf eine Beendigung der permanenten Polizeirazzien, auf eine Legalisierung der Prostitutionsmigrantinnen aus Nicht-EU-Staaten, auf eine steuerrechtliche Gleichbehandlung, die mit den Versuchen der Einführung einer täglich erpressten 25-Euro-Pauschalsteuer unterlaufen werden soll, auf eine Anerkennung von Prostitution als freiberufliche Tätigkeit, – kurzum auf eine rechtliche Gleichbehandlung mit anderen Berufen. Von derart konkreten politischen Forderungen sind die Slutwalk-Organisatorinnen meilenweit entfernt. Insofern vertreten sie nicht die Interessen der Prostituierten. Im Gegenteil: Das Kokettieren mit dem Status des potentiellen Opfers sexualisierter Gewalt ist hinderlich für eine zukünftige Interessensannäherung. Denn seit Jahren und Jahrzehnten werden Prostituierte permanent als „Opfer“ von sexualisierter Gewalt, als Opfer von Armut, als Opfer von Zuhältern und Menschenhändlern, als Opfer von Freiern etc. etc. dargestellt, um sie als nicht selbst bestimmungsfähige „Randgruppe“ stigmatisieren zu können. Insofern ist die in der Slutwalk-Bewegung allenthalben zu registrierende unkritische Bezugnahme auf einen potentiellen Opferstatus tatsächlich kontraproduktiv und wenig zukunftsweisend.
3.) Was wäre aus Ihrer Perspektive eine bessere Form, um auf die Probleme in der Prostitution aufmerksam zu machen?
Aus unserer Sicht geht es nicht in erster Linie um eine „bessere Form“, um auf Probleme in der Prostitution aufmerksam zu machen, sondern vor allem um die Klärung inhaltlich begründeter politischer Forderungen. Die Form ist gegenüber den Inhalten völlig zweitrangig. Auch dies sieht die Slutwalk-Bewegung so offenbar nicht. Aber was ja nicht ist, kann ja noch werden. Dona Carmen e.V. hat einige brauchbare Formen entwickelt, um auf Probleme im Umgang mit Prostitution zu verweisen: Bordellführungen wie jetzt in der Frankfurter Bahnhofsviertelnacht, Kunstaktionen im städtischen Raum, Protestkundgebungen vor Behörden, Zeitungsanzeigen betroffener Frauen aus der Prostitution in der Tagespresse, Gespräche mit Politikern. Zugegeben: hier fehlt der Glamour-Faktor. Aber ohne das harte Brot der täglichen Lobby-Arbeit geht gar nichts. Eine mediale Inszenierung a la Slutwalk kann das nicht ersetzen.
4.) Wie viele Prostituierte gibt es in etwa in Frankfurt/ Hessen?
Es gibt allein in Frankfurt nach unseren Zählungen in den Bordellen, Saunaclubs und auf dem Straßenstrich insgesamt rund 2.000 Frauen, die hier in der Prostitution arbeiten. In ganz Hessen dürften es zusammengenommen schätzungsweise um die 5.000 Frauen sein.
5.) Welche andere „Randgruppen“ würden vermeintlich vom Slutwalk vertreten, sind es aber nicht?
Um es klarzustellen: Prostituierte sind keine Randgruppe, sie werden erst durch Stigmatisierung und rechtliche Ausgrenzung zu einer solchen gemacht. Geht man von der zahlenmäßigen Größe einer Berufsgruppe aus, könnte man genauso gut Banker als eine gesellschaftliche Randgruppe bezeichnen. Sie sind im Unterschied zu Prostituierten allerdings nicht diskriminiert. Wir erwarten auch nicht von einer Slutwalk-Bewegung, dass sie nur diverse Randgruppen vertritt, sondern sich realer Probleme annimmt. Beispielsweise der Probleme der ca. 4 Millionen Alleinerziehenden, die erst vor wenigen Tagen durch einen skandalösen Richterspruch des BGH, wonach sie einen Vollzeitjob anzunehmen haben, sobald ihre Kinder drei Jahre alt sind, ökonomisch massiv diskriminiert wurden. Das sind die realen Probleme, die es verdienen, mit scharfen Protestaktionen aufgegriffen zu werden, nicht aber Fragen der Kleiderordnung von Frauen und darauf bezogene Vergewaltigungsmythen. Das sind vergleichsweise luxuriöse Anliegen einer bauchnabelfixierten Mittelschichtsbewegung.