Der Rechtsstaat frisst seine Kinder

Erklärung von Doña Carmen e.V.
zum Inkrafttreten des „Prostituiertenschutzgesetzes“

Selten hat ein Gesetz in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland derart schamlos Grundrechte von Menschen mit Füßen getreten wie das am morgigen Tag in Kraft tretende so genannte „Prostituiertenschutzgesetz“.

Der 1. Juli 2017 markiert mithin eine scharfe Zäsur im rechtlichen Umgang mit Sexarbeiter/innen. Für sie beginnen mit diesem Tag polizeistaatliche Verhältnisse.

Mit ständig zu wiederholenden Zwangsberatungen, mit der staatlich verordneten Zwangsregistrierung einer gesamten Berufsgruppe, mit ihrer Zwangsstigma-tisierung durch den ständig mitzuführenden Hurenpass (mit Lichtbild!), über ein flächendeckendes Zwangsouting mittels speziell zuständigen Behörden sowie durch eine weltweit einmalige Zwangskondomisierung erreicht die übergriffige staatliche Kontrolle der Sexualität und Intimsphäre erwachsener Menschen einen traurigen Höhepunkt.

Unter der Form des Rechts werden Sexarbeiter/innen de facto rechtlos gestellt. Ihre gesellschaftliche Ächtung wird sich mit diesem Gesetz schleichend, aber sicheren Schrittes ausbreiten. Angesichts der Perfektionierung des Überwachungswahns gegenüber Sexarbeiter/innen nehmen sich entsprechende Erlasse der Nationalsozialisten – wie etwa der Flick-Heydrich-Erlass vom 9. September 1939 – geradezu stümperhaft und unbeholfen aus.

Gemessen an den eigentlichen Erfordernissen – nämlich der Verrechtlichung prostitutiver Beziehungen jenseits strafrechtlicher Reglementierung von Prostitution sowie einem auf Gleichbehandlung basierenden gewerberechtlichen Umgang mit Prostitutionsstätten – steht die Politik der Großen Koalition von CDU/CSU/SPD für eklatantes Staatsversagen. Insbesondere die SPD und ihre für das Gesetz verantwortlich zeichnende Ministerin Manuela Schwesig waren den Einflüsterungen von Polizei- und Innenbehörden stets aufgeschlossen. Die Stimmen der Betroffenen wurden dagegen geflissentlich überhört und ignoriert.

So drängt man 200.000 Frauen schamlos an den Rand der Gesellschaft, treibt viele von ihnen in die Illegalität und vernichtet ihre Existenz.

Der Mainstream-Mittelklasse-Feminismus, der diese Entwicklung schweigend hingenommen, wohlwollend begleitet oder gar gefördert hat, hat durch sein komplizenhaftes Einverständnis seine Existenzberechtigung verspielt und seine Glaubwürdigkeit zu Grabe getragen.

Sexarbeiter/innen haben ein solches „Prostituiertenschutzgesetz“ nie gefordert und nie gewollt. Dieses Gesetz wurde gegen ihren erklärten Willen verabschiedet!

Gerade mit Blick auf die Zukunft sollte man sich keinen trügerischen Hoffnungen hingeben: Niemals werden Sexarbeiter/innen hierzulande ein Gesetz akzeptieren, das sie hinstellt, als seien sie allesamt unfähig, selbstbestimmt zu handeln. Niemals werden Sexarbeiter/innen ein solches Schandgesetz hinnehmen, dass sie deklassiert, stigmatisiert und kriminalisiert!

Das so genannte „Prostituiertenschutzgesetz“ ist nicht nur ein Affront gegen die sexuelle Selbstbestimmung von Sexarbeiter/innen, sondern – indirekt – auch ein Affront gegen die sexuelle Freizügigkeit aller Frauen. Sexarbeiter-Rechte sind Frauenrechte! Nicht zuletzt dieser Zusammenhang verdeutlicht:

Repression gegenüber Sexarbeiter/innen hat historisch keine Chance! Das „Prostituiertenschutzgesetz“ wird scheitern. Und das Scheitern hat schon begonnen.