– Doña Carmen e.V. zur Vermischung von Pädophilie-Debatte und Prostitution –
Prostitutionsgegnerschaft hat zurzeit politisch Konjunktur und ist zweifellos ganz groß in Mode. Im konservativen Mainstream medialer Diskreditierung und Diskriminierung von Sexarbeit ist Alice Schwarzer eine feste Größe, mit der man rechnen kann. Es verwundert daher nicht, dass die EMMA-Herausgeberin versucht, aus der nur vermeintlich der Aufklärung dienenden aktuellen Auseinandersetzung um pädophile Strömungen in der Entstehungsphase der GRÜNEN Honig zu saugen. Schwarzer ist bemüht, die Debatte für ihren fundamentalistischen Kreuzzug gegen Sexarbeit in der Prostitution zu instrumentalisieren.
So schrieb sie in der taz: „Und die Parallelen im Diskurs um die Pädophilie und dem über die Prostitution drängen sich regelrecht auf: Auch die heute über 90 Prozent Armuts- und Zwangsprostituierten in Deutschland werden geleugnet, und es ist von ‚Einvernehmlichkeit’ und ‚Freiwilligkeit’ die Rede.“ (taz, 13.08.2013) Wie im pädophilen Verhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern, so bestünde auch zwischen Prostitutionskunden und Prostituierten ein „Machtverhältnis“, dem ein jede Freiwilligkeit negierendes „Recht des Stärkeren über den Schwächeren“ eigen sei.
Selbstredend reklamiert Schwarzer für sich die Parteinahme zugunsten der Schwachen und inszeniert sich als Kämpferin gegen die Stärkeren, die ihre Macht missbrauchen. Wie seinerzeit in ihrer Parteinahme gegen Pädophilie – „Dieser Geist lebt ja…“ – gelte es heute, einen „Kampf gegen die Verharmlosung und Akzeptanz der Prostitution und für den Schutz der betroffenen Frauen“ zu führen. Es stelle sich die „Frage nach Macht und Verantwortung“. (taz, 13.08.2013)
Frau Schwarzer stellt mit ihren jüngsten Einlassungen erneut unter Beweis, dass ihr keine Argumentation zu armselig ist, um eine öffentliche Kreuzzugsmentalität gegen Prostitution zu befeuern.
Die angeblichen „Parallelen“ zwischen Pädophilie und Prostitution erschleicht Schwarzer sich mit der Behauptung von „90 Prozent Armuts- und Zwangsprostituierten in Deutschland“, für die es freilich nicht den geringsten empirischen Beleg gibt. Seriöse empirische Studien jenseits von Boulevardpresse und medialer Panikmache belegen das Gegenteil. Schwarzers Gewährsmann für diese Zahlenangabe war vor Jahren der damalige Hamburger LKA-Chef Detlef Ubben. Doch auch der hatte für seine windige Schätzung keinen stichhaltigen Beleg vorzuweisen.
Die offizielle Polizeistatistik liefert – zum größten Bedauern aller Prostitutionsgegner – nicht den geringsten Anhaltspunkt für derartige Größenordnungen. Dummerweise sind sämtliche einschlägigen Zahlen obendrein schon seit Jahren rückläufig:
Im Jahr 2002, als das damalige Prostitutionsgesetz in Kraft trat, wies die polizeiliche Kriminalstatistik in Deutschland 776 mutmaßliche Opfer der „Ausbeutung von Prostitution“ (§ 180a StGB) auf. Zehn Jahre später, im Jahr 2012, waren es nur noch 58 mutmaßliche Opfer! Im Jahre 2002 wies die polizeiliche Kriminalstatistik 793 mutmaßliche Opfer des Delikts „Zuhälterei“ (§ 181a StGB) auf. Im Jahre 2012 waren es nur noch 267 mutmaßliche Opfer bei diesem Straftatbestand. Im Jahre 2002 wurden 988 mutmaßliche Opfer des Delikts „Menschenhandel“ gezählt. 2012 waren es nur noch 642 mutmaßliche Opfer von „Menschenhandel zum Zwecke sexueller Ausbeutung“.
Gemessen an der Gesamtzahl der im Prostitutionsgewerbe tätigen Frauen bewegt sich diese Opferzahl im Promillebereich.
Im Jahr 2011 wurde nur eine einzige Person als Täter im Falle von „Ausbeutung von Prostituierten“ verurteilt, nur 32 Täter im Falle von „Zuhälterei“ und 117 Täter im Falle von „Menschenhandel“.
Die tatsächliche Ausweitung der nach wie vor massiven und umfangreichen Razzien und Routinekontrollen im Prostitutionsgewerbe sowie die Verschärfung der Menschenhandelsgesetzgebung (zuletzt 2005) widersprechen der Annahme, dass eine unzureichende Überwachung und zu laxe Strafgesetze die Ursache für den Rückgang der Kriminalitätsentwicklung seien könnten.
Da ein Überhand nehmender Zwang gegenüber Prostituierten aufgrund krimineller Machenschaften nicht wirklich nachweisbar ist, flüchten Prostitutionsgegner wie Frau Schwarzer in die bequeme, aber ausländerfeindliche Behauptung, dass Armut im Herkunftsland schon für sich genommen ein Beleg für „Zwang“ gegenüber Prostitutionsmigrantinnen sei. Ganz abgesehen davon, dass diese Argumentation in unzulässiger Weise „Notwendigkeit“ mit „Zwang“ vermengt und gleichsetzt, hätte man aus dieser zweifellos reaktionären Sichtweise auch die gesamte „Gastarbeiter“-Immigration nach Deutschland in den 50er und 60er Jahre verbieten müssen! Zweifellos ein verkappter Rassismus, der sich hier manifestiert.
Wer – wie Schwarzer – ungeachtet der Entwicklung der polizeilichen Kriminalstatistik und ohne die geringsten empirische Belege ständig die Behauptung von „90 Prozent Armuts- und Zwangsprostituierten“ öffentlich verbreitet, muss es sich gefallen lassen, als notorische Lügnerin bezeichnet zu werden.
Doch geht es Frau Schwarzer gar nicht ernsthaft um Zahlen, sondern bloß um die daraus abgeleitete These vom strukturellen Machtgefälle zwischen Prostitutionskunden und (ausländischen) Frauen in der Prostitution. Wenn jedoch die Voraussetzung nicht nachgewiesen ist, kann es auch um die Schlussfolgerung nicht gut bestellt sein.
Entscheidend an Schwarzers Argumentation ist jedoch die von ihr nichtsdestotrotz vorgenommene Parallelisierung des Verhältnisses von pädophilen Erwachsenen gegenüber Kindern einerseits mit dem Verhältnis von Prostitutionskunden und Prostituierten andererseits.
Damit wird nicht nur das Verhalten von Prostitutionskunden mit strafrechtlich bewehrter Pädophilie auf eine Stufe gestellt und indirekt zu deren Kriminalisierung aufgerufen. Es werden die Frauen in der Prostitution zudem mit Kindern, also mit nicht geschäftsfähigen Minderjährigen auf eine Stufe gestellt und damit von Schwarzer entwürdigt, entmündigt und gedemütigt, da sie ihrer Entscheidungs- und Verantwortungsfreiheit beraubt werden. Frauen in der Prostitution stellen sich für die vermeintliche „Frauenrechtlerin“ Schwarzer ganz grundsätzlich als „Opfer“ dar – unabhängig von jeder empirischen Bestätigung. Nur auf diese unglaublich dreiste Art vermag Schwarzer sich als schützende Retterin von Prostituierten in Szene zu setzen.
Eine „freie Sexualität ist zwischen Ungleichen nicht möglich“, behauptet Schwarzer im Interview mit Deutschlandradio (14.08.2013). In den 70er und 80er Jahren erlitt Schwarzer mit derart unsäglichen Plattitüden Schiffbruch, als sie diese auf das Verhältnis von Mann und Frau anwandte und sich noch für den „Geschlechterkrieg“ begeisterte. Heute versucht sie mit einem faden Aufguss ihrer damaligen Weltsicht ganz oben auf der Anti-Prostitutionswelle zu surfen.
Ihren Gegnern wirft sie in der ihr eigenen Bescheidenheit ein „falsches Verständnis von Fortschritt und Freiheit“ vor. Welch ein Hohn! Welch eine Verblendung! Wer beständig mit dem Ruf nach Strafrechtsverschärfungen, Verboten und mehr Polizeirazzien gegen Frauen in der Prostitution deren grundrechtlich verbrieftes Recht auf freie und ungehinderte Berufsausübung in Frage stellt, wer durch die Gleichsetzung erwachsener Frauen in der Prostitution mit minderjährigen Kindern ihnen grundsätzlich jedes Recht auf Entscheidungsfreiheit und Eigenverantwortung glaubt absprechen zu können, hat mit „Freiheit“ nicht das Geringste am Hut. Schwarzer ist das genaue Gegenteil einer „Frauenrechtlerin“. Denn dass sie Rechte für Frauen in der Prostitution gefordert hätte, ist uns noch nicht zu Ohren gekommen.
Alice Schwarzer erweist sich erneut als eine peinlich um Selbstinszenierung bemühte Ikone des konservativen Polit-Establishments. Eine Inszenierung übrigens „auf Kosten Dritter“: nämlich der vielen Prostitutionsmigrantinnen hierzulande, die Schwarzer gezielt missbraucht, um ihre kruden „Parallelen“ von Pädophilie und Prostitution zu lancieren.
Sollte dies vielleicht der Grund sein, warum Schwarzers jüngste Entgleisungen auf so viel Sympathie bei rechten Gazetten wie die „Junge Freiheit“ (13.08.2013) sowie beim AfD-nahen Blog „www.freiewelt.net“ gestoßen sind?