Grundrechte statt faule Kompromisse:

„Öffnung der Bordelle“ als Mogelpackung? – Nicht mit uns!

Seit Mitte März 2020 ist über das gesamte Prostitutionsgewerbe ein mit Corona-Bedrohung begründeter Lockdown verhängt worden. Er betraf vor allem die konzessionierten Einrichtungen des Prostitutionsgewerbes: Prostitutionsstätten, Prostitutionsfahrzeuge sowie Prostitutionsvermittlungen und Prostitutionsveranstaltungen.

Sexuelle Dienstleistungen außerhalb von Prostitutionsstätten blieben von diesem Lockdown weitgehend, aber nicht gänzlich verschont: In sechs Bundesländern gab es ein vollständiges Verbot sexueller Dienstleistungen: Berlin, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, NRW, Saarland und Schleswig-Holstein.

Gerichte nötigen Politik zu Kurswechsel: Der zähe Abschied vom Lockdown

Dieses Bild hat sich mittlerweile gewandelt. Maßgeblich dafür waren Urteile der Verwaltungsgerichte, aber auch die öffentlich durchaus registrierten Proteste von Sexarbeiter/innen in verschiedenen Städten.

Man darf es unumwunden als Schande bezeichnen, dass die Bundesländer ihre Corona-Verordnungen nicht etwa im Hinblick auf die Argumente der Sexarbeiter/innen überprüften, sondern erst aufgrund unanfechtbarer Entscheidungen der Gerichte änderten.

Diese Politik der „Öffnung der Bordelle“ begann am 26.06.2020 zaghaft mit einem Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin, dass einer Escort-Sexarbeiterin bestätigte, dass sie nicht unter das Anti-Prostitutions-Corona-Regime von Mecklenburg-Vorpommern falle. Schwesigs Landesregierung (SPD / CDU) rächte sich umgehend, indem sie die Corona-Verordnung von ihren Beamten im Sinne eines Komplett-Verbots von Prostitution umschreiben ließ.

Doch die Kritik am Total-Lockdown der gesamten Prostitutionsbranche ließ sich durch solche Tricksereien nicht stoppen. Es folgten in kürzeren Abständen mehrere „Öffnungs“-Urteile in anderen Bundesländern. Dazu zählten die Urteile

– des Verwaltungsgerichts Berlin vom 22.07.2020 (Az. VG 14 L 163/20),
– des Verwaltungsgerichtshofs München vom 27.07 2020 (Az. 20 N 20.1611),
– des saarländischen Oberverwaltungsgerichts vom 06.08.2020 (Az. 2 B 258/20),
– des thüringischen Oberverwaltungsgerichts Weimar vom 13.08.2020,
– des Verwaltungsgerichtshofs München vom 26.08.2020 (Az. 20 CE 20.1806),
– des niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 28.08.2020
(Az. 13 MN 299/20),
– des Oberverwaltungsgerichts Sachsen-Anhalt vom 3.9.2020 (Az. 3 R 156/20),
– und schließlich das NRW-Urteil des OVG Münster vom 8.9.2020 (Az. 13 B 902/20.NE).

Das sah nach einer glücklichen Serie aus, zumal direkt im Anschluss an das NRW-Urteil die Bundesländer Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein klein beigaben und erklärten, sich der „Öffnungs“-Linie einer Prostitutions-Reglementierung mittels Hygienevorgaben anschließen zu wollen. Doch dass das kein Selbstläufer ist, zeigte bereits das Negativ-Urteil aus Rheinland-Pfalz vom 20.08.2020 (Az. 6 B 10868/20.OVG).

Aktuelle Lage im rechtlichen Umgang mit Prostitution:
Vier Strategien – keine wirkliche Perspektive

Momentan (Mitte September 2020) kann von einem riesigen rechtspolitischen Flickenteppich im Umgang mit Corona/Prostitution gesprochen werden. Offenbar agiert das listige Corona-Virus in den deutschen Bundesländern jeweils unterschiedlich und ändert an den Landesgrenzen sein Verhalten, sodass mit unterschiedlichen Strategien darauf geantwortet werden muss. Dass es hierbei nur um gesundheitspolitisch notwendige Vorgaben geht, glauben immer weniger Menschen.

Gegenwärtig lassen sich vier Strategien im Umgang mit Prostitution unterscheiden.

(Detaillierte Infos dazu: https://www.donacarmen.de/wp-content/uploads/14-Corona-Prostitution-STAND-14-September-2020.docx.pdf)

(1) MODELL 1: Die Hardliner im Südwesten und ein Nordlicht
(Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern)

Drei Bundesländer im Südwesten und ein Nordlicht halten krampfhaft fest am allgemeinen Bordell-Lockdown – ein Hohn auf die Notwendigkeit, Corona gezielt lokal und regional einzudämmen, wenn es zu Clustern und entsprechenden Corona-Ausbrüchen kommt.

Nach der Komplett-Verbots-Logik müssen in Heidelberg die Bordelle schließen, wenn in Garmisch eine Corona-Infizierte Jugendliche abends in die Disco geht. Immer wieder wird mit möglichen Kontrollverlusten argumentiert (Rheinland-Pfalz), wenn es um eine Öffnung von Bordellen geht. Ein schlechter Witz, wenn man bedenkt, dass das Prostitutionsgewerbe zu den am besten überwachten Gewerben hierzulande gehört.

Vor dem Hintergrund dieser von Angst getriebenen Bedrohungs-Szenarien scheint eine Öffnung von Prostitutions-Einrichtungen offenbar frühestens dann denkbar, wenn ein verlässlicher Corona-Impfstoff auf dem Markt ist. Das kann dauern.

Wie auch immer andere handeln, man bleibt unbeirrt. Ganz gleich, wie das Infektionsgeschehen sich ändert: Man leistet sich – wie beispielsweise Hessen – Corona-Verordnungen mit dreimonatiger Dauer. Da kann man als Politiker/in schon mal in aller Ruhe in den wohlverdienten Urlaub fahren

Die Verlierer, deren Existenz auf der Kippe steht, stehen vorab fest: Betreiber/innen, die gezielt in den wirtschaftlichen Ruin getrieben werden und viele – insbesondere migrantische – Sexarbeiter/innen, die in informelle Strukturen und in die Perspektivlosigkeit abgedrängt werden. Auf der Strecke bleibt dabei auch der Gesundheitsschutz, den man wie eine Monstranz vor sich herträgt.

(2) MODELL 2: Die Trickser im Süden und Westen
(Bayern, Saarland)

In Bayern und dem Saarland dürfen zwar „Prostitutionsstätten“ öffnen, nicht aber „Bordelle“.

Einige feiern das als „Öffnung“. Es ist zwar kein Total-Lockdown mehr, aber allemal eine halbherzige, verlogene „Öffnung“, die hier praktiziert wird.

Betreiber/innen von „Prostitutionsstätten“ (im Sinne des ProstSchG) müssen gegenüber den Behörden den Nachweis erbringen, dass sie „Prostitutionsstätten“ (im Sinne des Infektionsschutzgesetzes) sind und ihre Einrichtungen über keine Anbahnungsräume oder Aufenthaltsräume verfügen, in denen sich mehrere Menschen auf einmal über den Weg laufen.

Würde man diese Messlatte an Hotels und Pensionen anlegen, wo sich bekanntlich auch Menschen auf Fluren begegnen, ohne dass es deshalb gleich zu stürmischen, Corona-relevanten Verbrüderungsszenen käme, dann müssten auch alle Hotels in Bayern und dem Saarland längst geschlossen sein. Aber man misst eben mit doppeltem Maß.

Entscheidend sei in Bayern und dem Saarland – so die Verwaltungsrichter und die Beamten – angeblich nicht das prostitutive Verhalten als solches, sondern die räumliche Struktur der fraglichen Prostitutions-Einrichtungen. Man habe nichts gegen Prostitution und sei allein dem Gesundheitsschutz verpflichtet, heißt es.

Wer das glaubt, wird selig: Denn das tiefkatholische Saarland ist neben Schwesigs Mecklenburg-Vorpommern das einzige Bundesland, das unter dem Vorwand der Corona-Eindämmung auch „sexuelle Dienstleistungen“ außerhalb von Prostitutionsstätten kriminalisiert. Die Ideologie scheitert mithin schon an der eigenen Praxis.

Die so genannte „Öffnung“ in diesen Bundesländern bezieht sich zudem ausdrücklich nicht auf Prostitutionsfahrzeuge, Prostitutionsvermittlungen oder Prostitutionsveranstaltungen, sondern ausschließlich auf Prostitutionsstätten.

Doch auch dort gibt es Verlierer:
Es sind im Zweifel die größeren Laufhaus-Bordelle, aber auch die Clubs. Und damit vor allem die dort arbeitenden migrantischen Sexarbeiter/innen

(3) MODELL 3: „Nicht Fisch, nicht Fleisch“ – Die Zögerlichen im Osten
(Brandenburg, Sachsen)

In Brandenburg bleiben Prostitutionsstätten, Prostitutionsfahrzeuge und Prostitutionsveranstaltungen grundsätzlich untersagt, „es sei denn“, es bestehe wie bei erotischen Massagen ein „geringes Infektionsrisiko“. Dann dürfe man sexuelle Dienstleistungen anbieten – aber doch bitte „ohne Geschlechtsverkehr“!

Ähnlich in Sachsen, wo die Öffnung von Prostitutionsstätten nach wie vor grundsätzlich untersagt ist, „es sei denn“, sie erfolgen „ohne Geschlechtsverkehr“ und unter Vorlage eines Hygienekonzepts. In beiden Fällen ist kein Ende dieser sehr speziellen Restriktion in Aussicht gestellt.

Eine famose Sache, diese Art der „Öffnung“: Man gibt sich den Schein, kein Hardliner zu sein, und lässt doch die Prostitutionsstätten am ausgestreckten Arm verhungern. Denn wer ist wirklich scharf auf diese Art Angebot sexueller Dienstleistungen ohne Sex.

Das mag in einigen BDSM-Studios funktionieren. Doch „Sexarbeit“ hin oder her: Diese Etablissements waren noch nie ein „Modell“ für das Prostitutionsgewerbe.

Ein Bordell ohne Geschlechtsverkehr ist nichts weiter als primitiver Etikettenschwindel: Es ist, als würde man eine Metzgerei für Veganer eröffnen oder Frisöre zulassen, denen alles erlaubt ist, nur kein Haarschnitt.

Von einer Gleichbehandlung von Prostitution mit anderen körpernahen Dienstleistungen kann angesichts solch gravierender Einschränkungen beim Dienstleistungsspektrum von Prostitution wahrlich nicht die Rede sein.

(4) MODELL 4:

„Öffnung mit Hygieneplänen“: Bekämpfung von Prostitution statt Corona-Eindämmung
(Berlin, Thüringen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, NRW, Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein)

Bei dieser fortgeschrittenen Variante der „Öffnung von Bordellen“ geht es darum, dass dem Prostitutionsgewerbe neben den für andere (körpernahe) Dienstleistungen geltenden „allgemeinen Hygienevorgaben“ noch weitere, speziell für Sexarbeit ersonnene „besondere Hygienevorgaben“ aufgenötigt werden.

Diese „besonderen Hygienevorgaben“ haben das Zeug, Prostitution weiterhin als Virenschleuder zu inszenieren und Ängste aufrechtzuerhalten oder zu schüren. Sie zielen auf die Abschreckung der Kundschaft von Sexarbeiter/innen. Auch wenn diese Konsequenz gerne kleingeredet wird, weil man doch froh ist, den eigenen Laden wieder öffnen zu können: Es wäre in höchstem Maße töricht, diesen Aspekt einfach auszublenden.

Mogelei Nr. 1:
Beibehaltung von Verboten

Die Linie „Bordell-Öffnung mit Hygienekonzepten“ soll den Eindruck erwecken, es handele sich dabei endlich um die lang ersehnte Alternative zu den Verboten des Bordell-Lockdowns, also um eine Anpassung des rechtlichen Umgangs mit Prostitution an eine sich verändernde Ausgangslage. Doch der Schein trügt. Denn die Linie „Bordell-Öffnung mit Hygienekonzept“ ist bislang durchsetzt und durchzogen von Verboten und Verbotsvorbehalten:

– So sind „Prostitutionsveranstaltungen“ allein in fünf dieser sieben Bundesländer nach wie vor grundsätzlich verboten (weil da zu viele Teilnehmer zusammen kommen würden). Bei weiteren zwei Bundesländern ist dasselbe Vorgehen zu erwarten, deren Hygiene- Konzepte sind aber noch nicht bekannt.

– In drei dieser sieben Bundesländer mit Hygieneplan-Öffnung sind „Prostitutionsfahrzeuge“ weiterhin verboten. In Bremen ist das gegenwärtig noch unklar.

– In Niedersachsen bleibt trotz aller „Öffnung“ die gesamte Straßenprostitution weiterhin verboten.

All das passt wie die Faust aufs Auge zu den weniger exponierten „zögerlichen Öffnungs-Modellen“ in Brandenburg und Sachsen: Grundsätzlich gilt dort nach wie vor ein Verbot von Prostitutionsstätten. Sachsen verbietet trotzÖffnungs“-Rhetorik zudem „Prostitutionsfahrzeuge“, „Prostitutionsvermittlungen“ und „Prostitutionsveranstaltungen“.

Auch die „Öffnungs“- Modelle Bayern und Saarland glänzen nicht durch übertriebene Liberalität. Beide Bundesländer verbieten weiterhin „Bordelle“ (weil dort eine „Vielzahl von Personen“ aufeinander treffen), das Saarland obendrein noch den Verkauf „sexueller Dienstleistungen“ außerhalb von Prostitutionsstätten.

Mogelei Nr. 2:
Massive Einschränkungen des sexuellen Dienstleistungsangebots

Die Linie „Bordell-Öffnung mit Hygienekonzepten“ korrespondiert mit einschneidenden Einschränkungen des sexuellen Dienstleistungsangebots: Berlin verlangt den Verzicht auf „gesichtsnahe Sexualpraktiken“. Was immer das heißen mag – es ist eine unzulässige Einmischung des Staates in die Sexualpraktiken, die Sexarbeiterinnen und Kunden im Verhältnis 1:1 eigenverantwortlich aushandeln.

Anfangs gab es für einige Wochen in Berlin sogar den staatlich verordneten Verzicht auf Geschlechtsverkehr bei der Erbringung sexueller Dienstleistungen. Diesen Unsinn haben jetzt die Bundesländer Brandenburg und Sachsen zur generellen Linie für alle sexuellen Dienstleistungen erklärt – egal, wo und wie sie erbracht werden. Brandenburg will daher die Öffnung konsequenterweise und vorzugsweise auf „erotische Massagen“ beschränkt wissen Da verbietet das Saarland doch lieber gleich sämtliche „sexuellen Dienstleistungen“ jenseits von Prostitutionsstätten.

Bei keinen anderen körpernahen Dienstleistungen findet sich ein derart massiver exekutiver Eingriff in die Berufsfreiheit und das Angebotsspektrum der Dienstleistenden wie im Falle von Prostitution.

Hamburg und Niedersachsen gehen diesen fatalen Weg der Einmischung in die Details der Begegnung von Sexarbeiterin/Kunde konsequent weiter, wenn sie bei den speziell auf Prostitution zugeschnittenen Hygienevorgaben nun das Verbot des Konsums von Alkohol und solcher Substanzen verlangen, die der „Stimulation“ dienen bzw. die „Atemfrequenz erhöhen“. Man erkennt unschwer, dass es bei solchen und anderen Vorgaben vor allem darum geht, aus einer sexuellen Dienstleistung eine vollständig aseptische Begegnung zweier Menschen zu machen, wo Desinfektion und Sterilität im Mittelpunkt stehen, so als wären Sexarbeiter/innen verlaust. Konsequent sprachen saarländische Verwaltungsrichter von dem Ort der Erbringung sexueller Dienstleistungen als einem „Verrichtungszimmer“.

Die Vorstellung von Pay-Sex geht immer mehr in die Richtung, als würde sie zukünftig auf einer Art Intensivstation stattfinden bei maximaler Isolation aller Beteiligten.

Das hinter allem stehende Feindbild ist längst nicht mehr das Corona-Virus, sondern das Bordell als Freudenhaus. Wenn – wie jetzt in Niedersachsen und Hamburg – die Maskenpflicht nicht nur während des Aufenthalts in Prostitutionsstätten, sondern auch während der gesamten Dauer der sexuellen Dienstleistung sowohl für Kunde als auch für Sexarbeiterin gelten soll, so ist klar: Es geht um die Abschreckung der Kundschaft.

Wieder mal erscheint die Eindämmung von Prostitution als vermeintlich probates Mittel zur Eindämmung von Seuchen. Die einzelne Sexarbeiterin firmiert als „infizierte Prostituierte“, als Gefahr für die gesittete Familie und die Volksgesundheit.

Mogelei Nr. 3
Ausgrenzung durch Zuschnitt auf spezielle Angebotssegmente sexueller Dienstleistungen

Mit der Vorgabe einer „vorherigen telefonischen oder digitalen Terminvereinbarung“ zwischen Prostitutionseinrichtung und Prostitutionskunde bzw. zwischen Sexarbeiterin und Prostitutionskunde werden in den Bundesländern Berlin, Hamburg und Niedersachsen (für NRW, Bremen und Schleswig-Holstein sind die Vorgaben noch nicht veröffentlicht) findet zweifellos eine Bevorzugung bestimmter Segmente von prostitutiven Dienstleistungen gegenüber anderen statt. Andere Angebotsformen werden dadurch ausgegrenzt.

Derartige Vorgaben, zu denen auch Vorgaben wie die Maskenpflicht bei Sexarbeiterin und Kunde während der gesamten sexuellen Dienstleistung gehört, sind (wenn überhaupt) vielleicht mehr auf Angebote „erotischer Massagen“ und BDSM zugeschnitten, passen aber nicht auf Laufhäuser oder FKK-Clubs. In die gleiche Richtung weist die Vorgabe, sexuelle Dienstleistungen hätten gänzlich „ohne Geschlechtsverkehr“ zu erfolgen (Sachsen, Brandenburg).

Man mag solche Vorgaben als „lebensfern“ und „realitätsfremd“ kritisieren. Aber das trifft nicht den Punkt. Derartige Vorgaben sind geeignet, Prostitution gezielt in informelle Strukturen zu drängen und darüber die bestehende prostitutive Infrastruktur mutwillig zu zerstören. Das ist schließlich auch ein zentrales Anliegen des Prostitutiertenschutzgesetzes in Bezug auf die Einrichtungen des Prostitutionsgewerbes, wovon die nach wie vor bestehenden zahllosen „Erlaubnisfiktionen“ nur vorläufig genehmigter Prostitutionsbetriebe Zeugnis ablegen.

Der Glaube, diese Vorgaben dienten einzig und allein dem Gesundheitsschutz, man könne sie also locker erfüllen, ist naiv und blauäugig. Man ignoriert dabei, das Prostitutionskunden legitimerweise bestimmte Vorstellungen von einer sexuellen Dienstleistung haben.

Wenn Kunden ein Auto kaufen wollen und kommen in einen Fahrradladen, dann muss man sich nicht wundern, wenn sie einem – schneller als man denkt – den Rücken kehren.

Mogelei Nr. 4
„Informationelle Selbstbestimmung“ und Schutz der Intimsphäre: Fehlanzeige!

Alle Bundesländer mit der Linie „Bordell-Öffnung mit Hygienekonzepten“ erklären die „Kontaktdatennachverfolgung“ und damit die Registrierung von Prostitutionskunden zum unverzichtbaren Bestandteil „individueller“ Hygienekonzepte. Kontaktdatennachverfolgung und Dokumentation der Kontakte wird fortan zur Pflicht einer jeden Einrichtung des Prostitutionsgewerbes und zur Pflicht einer jeden Sexdienstleisterin.

Kontaktdatennachverfolgung ist in der Tat eine sinnvolle Sache, wenn sie von Gesundheitsämtern in Zusammenarbeit mit den von Corona-Infektionen Betroffenen gemacht wird. Dafür muss man Gesundheitsämter endlich personell besser aufstellen, anstatt diese Aufgabe vom Staat auf Private abzuwälzen.

Dass sie dort nicht in guten Händen ist, haben kürzlich Recherchen des Chaos Computer Clubs unter Beweis gestellt, der im Internet 87.000 Datensätze aus dem Gastronomiebereich entdeckte. Für die Prostitutionsbranche wäre so etwas der Supergau.

Niedersachsen geht bei der Kontaktdatennachverfolgung sogar soweit, dass Sexarbeiter/innen sich von ihren Kunden amtliche Ausweisdokumente mit Bild vorlegen lassen müssen – als Preis für die Öffnung der Bordelle!

Nach Empfehlungen der DEHOGA sollten nicht einmal Gastronomen sich dazu verleiten lassen, die Personalausweise ihrer Gäste zu kontrollieren. Ganz abgesehen davon, ob das überhaupt rechtens ist.

Im Saarland hat jetzt das Landesverfassungsgericht mit Beschluss vom 28.08.2020

(Az. Lv 15/20) die Kontaktdatennachverfolgung deshalb für verfassungswidrig erklärt, weil damit auch der Besuch politischer Veranstaltungen der Überwachung unterliegen könnte. Wieviel mehr gilt dies für den höchstpersönlichen Besuch eines Prostitutions-Etablissements! Auch hier stehen grundgesetzlich geschützte Persönlichkeitsrechte auf dem Spiel.

Dabei hat erst jüngst der wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages in einem Sachstandsbericht mit dem Titel „Zulässigkeit einer Ausweismitführpflicht in den Corona-Verordnungen der Länder“ festgestellt, dass Menschen rechtlich gar nicht verpflichtet sind, Ausweispapiere überhaupt mit sich zu führen.

Um die Überwachung komplett zu machen, verlangen fortan Bundesländer wie Hamburg und Niedersachsen von Sexarbeiter/innen, die außerhalb von Prostitutionsstätten oder im Rahmen von Prostitutionsvermittlungen / Escorts arbeiten, ab jetzt die vollständige Adresse des Ortes zu dokumentieren, an dem die sexuelle Dienstleistung stattgefunden hat. Also: Name des Hotels oder der Privatwohnung. Über diese dreiste Form des Zwangsoutings werden Escort-Gäste sicherlich hoch erfreut sein…

Fazit

Es ist – bei Licht betrachtet – nicht gut bestellt um die jetzigen „Öffnungs“-Konzepte für Prostitutions-Einrichtungen. Zwar ist es gut, wenn die Häuser wieder öffnen und der Komplett-Lockdown der Bordelle endlich der Vergangenheit angehört. Keine Frage.

Aber dabei sollte man sich nicht täuschen lassen: Die Gegenseite verfolgt ihre eigene Agenda. Und die ist in vielen Fällen nicht dieselbe wie die des Prostitutionsgewerbes.

Sexarbeiter/innen und auch Betreiber von Prostitutions-Etablissements haben Grundrechte, die sie verteidigen sollten

– das Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit,
– das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung,
– das Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz,
– das Grundrecht auf freie Berufsausübung

Diese Rechte sollte man nicht gering schätzen und außer Acht lassen. Man sollte sie sich nicht abkaufen lassen für eine Handvoll Euro, die an den ersten Tagen einer lang ersehnten Öffnung der Etablissements vielleicht hereinkommen. Aber wie wird es auf Dauer sein?

Auch wenn die Bilanz der bisherigen Politik der „Öffnung der Bordelle“ sich sehr durchwachsen zeigt und zu Recht als „Mogelpackung“ bezeichnet werden darf:

Der rechtliche Widerstand vor den Gerichten und der politische Prostest auf der Straße, die diesen Wandel zur Folge hatten, waren keineswegs umsonst.

Auch wenn sich von 709 Abgeordneten des Deutschen Bundestages gerade mal 16 Abgeordnete für das „Nordische Modell“ des Sexkaufverbots aussprechen, ist das in Ordnung. Diese klägliche Anzahl von lediglich 2 % aller Abgeordneten versucht man durch Krakeelen und Krawall wettzumachen. Aber das wird nicht verfangen.

Das NRW-Urteil hat vor Augen geführt, dass die Menschen im Prostitutionsgewerbe mit dem Total-Lockdown um ihre verfassungsmäßigen Rechte betrogen wurden. Das ist jetzt zumindest gerichtlich festgestellt. Die jetzige Politik mit völlig unterschiedlichen Corona-Verordnungen der einzelnen Bundeländer zeigt zudem, dass es wenig um Gesundheitsschutz, aber viel um die herkömmliche Prostitutionsgegnerschaft der politischen Klasse geht. Das kommt nicht gut an in der Öffentlichkeit.

All das muss man sich bieten lassen. Die Prostitutionsbranche hat starke Argumente. Sie braucht aber auch eine öffentliche Resonanz und Verbündete, nicht eine Kopf-in-den-Sand-Politik. Nur so kann man seine Grundrechte verteidigen und wiedererlangen. Nur so kann man die unter dem Vorwand von Corona betriebene Existenzvernichtung im Prostitutionsgewerbe erfolgreich entgegentreten.

Deshalb kommt zur Kundgebung & Demonstration

► Für die vollständige Öffnung aller Bordelle!
► Für die uneingeschränkte Gewährung des Rechts auf sexuelle Dienstleistungen!

Wo? Frankfurt, Opernplatz
Wann? Kommenden Samstag, 19. September 2020, 12 Uhr

Kommt zahlreich! Jede/r einzelne zählt!