‚Offener Brief‘ an Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig:

Anhörung als Farce – Repressive Prostitutions-Gesetzgebung längst beschlossene Sache!

Sehr geehrte Ministerin Schwesig,

vor gut einem Monat haben wir Ihnen einen von Doña Carmen e.V. ausgearbeiteten Vorschlag für einen „Gesetzentwurf zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse in der Prostitution“ zugesandt. Wir hatten Sie gebeten, diesen Vorschlag in die Auswertung der von Ihrem Ministerium am 12. Juni 2014 in Berlin durchgeführten Anhörung zur Regulierung des Prostitutionsgewerbes mit einfließen zu lassen.

Seinerzeit waren wir in Unkenntnis der inhaltlichen Ausrichtungen und personellen Zusammensetzung dieser Anhörung. Mittlerweile jedoch sind einige Rahmenbedingungen der von Ihnen organisierten Veranstaltung bekannt.

Sie lassen nur eine Bewertung zu: Diese Anhörung war eine einzige Farce!

Zwei Monate vor dieser Anhörung, am 11.4.2014, durfte Ihre Staatssekretärin, Frau Ferner, öffentlich erklären, sie freue sich,

„dass es offenbar auch im Bundesrat eine breite Einigkeit über wichtige Kernbestandteile einer gesetzlichen Initiative zur Regulierung von Prostitution gibt, – und das ist die Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten! Denn: Die Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten einschließlich einer Zuverlässigkeitsprüfung für die Betreiber und verbesserter Aufsichts- und Kontrollbefugnisse aber auch eine entsprechende Kontrolldichte im Bereich des Prostitutionsgewerbes sind entscheidende Schlüssel, um unsere Ziele zu erreichen.“

Vor diesem Hintergrund ist klar: Der in der Anhörung versammelte Sachverstand war lediglich gefragt, eine Vorabfestlegung Ihres Hauses nachträglich abzusegnen. Nicht um das Pro und Contra hinsichtlich der zentralen Frage der Erlaubnispflicht von Prostitutionsstätten ging es, sondern nur um deren „Ausgestaltung“.

Wovor haben Sie eigentlich Angst, dass Sie glauben, so verfahren zu müssen?

Sie degradieren Befragte zu Statisten und Claqueuren, die zu einer fix und fertigen Vorabfestlegung ihr Plazet geben dürfen. So verkommen Anhörungen zum Mittel der Akklamation – sinnfälliger Ausdruck eines abgehobenen Politikbetriebs, der sich anschickt, den Parlamentarismus von innen auszuhöhlen und Politikverdrossenheit Vorschub zu leisten.

Dass Sie dennoch vierzig Organisationen, Gremien und Personen gefunden haben, die dieses traurige Spiel mitspielen, macht die Angelegenheit keineswegs besser.

Nur auf den ersten Blick wirken vierzig Stellungnahmen unterschiedlicher Organisationen imposant. Eine demokratische Meinungsvielfalt spiegeln sie nur scheinbar wider. Das belegt die sorgsam ausgewählte Zusammensetzung der Angehörten:

Über die Hälfte, nämlich einundzwanzig der vierzig zur Anhörung geladenen Organisationen, trat nach Recherchen von Doña Carmen bereits vor der Anhörung öffentlich für die von der Bundesregierung favorisierte zentrale Forderung einer „Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten“ ein.

Sechzehn der vierzig Angehörten waren Vertreter/innen staatlicher bzw. kommunaler Stellen, von denen in der Grundsatzfrage kaum abweichende Meinungen zu befürchten waren.

Dass im Rahmen der Anhörung zehn mit der Gleichstellung von Mann und Frau befasste Ministerien und Regierungsstellen, aber kein einziges Wirtschaftsministerium befragt wurde, verdeutlicht die nach wie vor ideologisch geprägte Perspektive Ihres Hauses, die es verhindert, dass gewerberechtliche Fragen von den tatsächlich Zuständigen verhandelt werden.

Mehrere der angehörten Organisationen sind in ihrer Existenz direkt oder indirekt von staatlichen Zuwendungen abhängig, sodass deren Votum im Großen und Ganzen kalkulierbar war.

Auffällige Dopplungen / Überschneidungen gab es bei der Auswahl der Angehörten:
? vier Vertreter unterschiedlicher Polizeibehörden wurden angehört, deren gemeinsame Haltung „pro Erlaubnispflicht“ bereits im Vorfeld feststand;
? die Diakonie Deutschland wurde angehört, obwohl sie mit mehreren Fachberatungsstellen im ebenfalls angehörten KOK e.V. vertreten ist;
? Obwohl die Dortmunder Mitternachtsmission Mitglied der beiden angehörten Organisationen KOK e.V. und bufas e.V. ist, erhielt sie zusätzlich die Möglichkeit einer eigenen Stellungnahme, selbstverständlich ‚pro Erlaubnispflicht’ für Prostitutionsstätten;
? das zweitkleinste deutsche Bundesland, das Saarland, dessen befürwortende Position zur Erlaubnispflicht seit 2007 bekannt ist, war gleich mit zwei Stellungnahmen (Familienministerium und Landeshauptstadt) vertreten.

Als besondere Schande darf es gelten, Frau Schwesig, dass Vertreter/innen einer unabhängigen Wissenschaft bei der Anhörung Ihres Ministeriums überhaupt nicht zugegen waren. Während bei der entsprechenden Anhörung im Vorfeld der Verabschiedung des rot-grünen Prostitutionsgesetzes im Jahre 2001 nahezu die Hälfte, nämlich sieben von fünfzehn angehörten Sachverständigen, Wissenschaftler/innen waren (vgl. Protokoll 14/62 der 69. Sitzung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom 20. Juni 2001), war es jetzt gerademal einer von vierzig Angehörten! Und dabei handelte es sich ausgerechnet um den von der Bundesregierung bereits als bezahlten Auftragsgutachter verpflichteten und als Erlaubnispflicht-Befürworter bekannten Professor Renzikowski.

Es kann nicht weiter verwundern, dass der von Ihrem Hause zur Anhörung vorgelegte Fragenkatalog die vorab festgelegte politische Ausrichtung deutlich hervortreten ließ: Von insgesamt 45 Fragen thematisierten allein zwölf Fragen die Ausgestaltung der beabsichtigten „Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten“, weitere sieben Fragen befassten sich mit dem Komplex der Ihnen ganz offensichtlich ebenfalls sehr am Herzen liegenden Meldepflicht für Sexarbeiterinnen in der Prostitution.

Eine solche Meldepflicht normierte zuletzt der Runderlass des Reichsinnenministers von 1939. Das sollte Ihnen zu denken geben, Frau Schwesig.

Und wenn Sie sich von Doña Carmen nicht gerne belehren lassen, mag Ihnen die Ihrem Hause vorliegende Stellungnahme der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di vielleicht ein Denkanstoß sein. Darin heißt es: „Auch grundsätzliche Erwägungen zum Verhältnis des Staates zu einer stigmatisierten und in der deutschen Geschichte des Nationalsozialismus gebrandmarkten und verfolgten gesellschaftlichen Gruppe sprechen gegen eine gesonderte Registrierung von Sexarbeiter/innen und Prostituierten.“

Dass Ihnen die Belange der Sexarbeiter/innen reichlich egal sind, verdeutlicht die Tatsache, dass eine Entkriminalisierung von Sexarbeit durch Abschaffung des diskriminierenden Sonderstrafrechts gegen Prostitution in den Überlegungen Ihres Hauses nicht die geringste Rolle spielt. Das heißt: Sie plädieren für eine strenge „Erlaubnispflicht von Prostitutionsstätten“ zusätzlich zum bestehenden repressiven Sonderstrafrecht gegen Prostitution!

Wo hier auch nur entfernt eine Gleichbehandlung des Prostitutionsgewerbes mit anderen Gewerben bestehen soll – das glaubhaft zu machen, dürfte Ihnen, Frau Schwesig, schwerfallen.

Sofern Sie Berufsverbände der Sexarbeiter/innen an Ihrer Pseudo-Anhörung beteiligt haben, weisen Sie ihnen die Rolle des Feigenblatts bei einer Veranstaltung zu, als deren große Verlierer die Sexarbeiter/innen schon jetzt feststehen: Kleinteilige Überwachung, vermehrte Kontrollen, erleichterte Schließung von Prostitutionsstätten, Zwangsouting samt Auskunftsrecht und behördlicher Datenweitergabe – die Betroffenen werden sich bei Ihnen bedanken!

Seien Sie versichert, Frau Schwesig: Wir werden Sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit dafür anklagen und in Erinnerung rufen, dass Sie persönlich die politische Verantwortung tragen für die zukünftigen Schicksale von Frauen in der Prostitution, sollte das von ihnen geplante repressive Kontrollregime über Sexarbeit gesetzlich normiert werden.

Mit freundlichen Grüßen

Juanita Henning

(Sprecherin Doña Carmen e.V.)