Offener Brief: An die Sozialdezernentin Offenbach Sabine Groß (die Grünen) – ‚Sozialpsychiatrischer Dienst‘ zuständig für Sexarbeiter/innen

Frankfurt, den 31.01.2019

An
Sozialdezernentin
Sabine Groß
c/o Stadt Offenbach  Rathaus
Berliner Straße 100

63065 Offenbach

Gesundheitliche Beratung von Sexarbeiter/innen nach § 10 ProstSchG

Sehr geehrte Frau Groß,

ausweislich der Website der Stadt Offenbach erfolgt die seit Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes obligatorische Gesundheitsberatung für Sexarbeiter/innen in Offenbach in der Zuständigkeit des Sozialpsychiatrischen Dienstes des Gesundheitsamtes. Zuständig für die gesundheitliche Zwangsberatung von Sexarbeiter/innen sind Frau Heine, Frau Kucharskis und Herr Stein – allesamt Mitarbeiter/innen der ‚Fachberatung Psychosoziale Gesundheit / Sozialpsychiatrie‘.

Zur Aufgabenbeschreibung dieser Fachabteilung heißt es auf der Website der Stadt Offenbach:

„Die Fachberatung Psychosoziale Gesundheit der Stadt Offenbach berät und unterstützt psychisch behinderte oder suchtkranke Menschen mit dem Ziel, dass diese ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können. Bei Krisensituationen, die in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen stehen, bietet die Fachberatung Psychosoziale Gesundheit aufsuchende und zeitnahe Hilfe während der regulären Dienstzeiten an. Betroffenen und Angehörigen bietet die Fachberatung eine umfassende Beratung über Krankheitsverlauf, Behandlungsmöglichkeiten und komplementäre Angebote an.“

Sexarbeiter/innen sind aber per se weder „psychisch behindert“, noch sind sie aufgrund der von ihnen ausgeübten Tätigkeit „krank“. Sie bedürfen mithin keiner Beratung über Krankheitsverläufe und entsprechende „Behandlungsmöglichkeiten“.

 

Die Zuordnung der gesundheitlichen Beratung von Sexarbeiter/innen zur ‚Fachberatung Psychosoziale Gesundheit / Sozialpsychiatrie‘ im Offenbacher Gesundheitsamt ist hoch problematisch und geeignet, Angehörige einer ganzen Berufsgruppe pauschal als „behindert“ und „krank“ einzustufen und auf diese Weise zu stigmatisieren. Eine solche institutionelle Zuordnung nimmt billigend in Kauf, ein von Vorurteilen geprägtes Bild von Sexarbeit zu verbreiten, indem es den Eindruck erweckt, Sexarbeiter/innen seien aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit daran gehindert, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.

Wir sind nicht der Auffassung, dass dies in der Absicht der Verantwortlichen des Offenbacher Gesundheitsamtes und seiner Mitarbeiter/innen lag. Entsprechende Schuldzuweisungen liegen uns fern.

Gleichwohl bitten wir zu bedenken: Vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Vergangenheit, in der man Prostituierten aus politisch motiviertem Ressentiment seitens der Ärzteschaft nur allzu bereitwillig „moralischen Schwachsinn“ attestierte, um sie anschließend als „Asoziale“ stigmatisieren, aufgreifen und internieren zu können, verbietet sich heute eine geschichtsvergessene institutionalisierte Zuordnung von Prostituiertenberatung und Sozialpsychiatrie, die eine berufliche Betätigung in der Sexarbeit mit ‚psychischer Erkrankung‘ in Zusammenhang bringt.

Da Sie, Frau Groß, das Amt der Offenbacher Sozialdezernentin noch nicht lange bekleiden, gehen wir davon aus, dass die hier angesprochene Problematik schlicht Ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist. Es wäre für uns auch schwer vorstellbar, dass eine grüne Sozialdezernentin das Potenzial der Stigmatisierung übersehen und ignorieren könnte, dass mit der institutionellen Zuordnung der Gesundheitsberatung von Sexarbeiter/innen zum Sozialpsychiatrischen Dienst zwangsläufig verbunden ist.

Wir möchten Sie daher bitten, aus den genannten Gründen die Befassung von Mitarbeiter/innen der ‚Fachberatung Psychosoziale Gesundheit / Sozialpsychiatrie‘ mit der gesundheitlichen Zwangsberatung von Prostituierten umgehend zu beenden.

Mit freundlichen Grüßen

Juanita Henning

Sprecherin Doña Carmen e.V.