Offener Brief

Kindesentzug bei Sexarbeiterin mit Roma-Hintergrund: Offener Brief an die Frankfurter Sozialdezernentin Birkenfeld

An
Sozialdezernentin
Frau Prof. Dr. Daniela Birkenfeld
c/o Dezernat VIII Soziales, Senioren, 
Jugend und Recht
Schillerstraße 20
60313 Frankfurt

Kindesentzug bei Roma-Frauen

Sehr geehrte Frau Prof. Dr. Birkenfeld,

als Sprecherin von Dona Carmen e. V. wende ich mich heute  an Sie aus Anlass des Falles von Frau S. Wie Sie u. a. der Berichterstattung der örtlichen Presse entnehmen konnten (siehe FAZ, 30. 06.  2020), ist Frau S. vom Jugendamt der Stadt Frankfurt unmittelbar nach der Geburt ihrer Tochter A. mit Hinweis auf angeblich „ungeklärte“ finanzielle Verhältnisse und Wohnverhältnisse das Kind nach § 42 SGB VIII entzogen worden (Schreiben des Jugendamtes vom 24. 06. 2020).

Die vom Jugendamt in diesem Fall vorgebrachten Gründe für eine Inobhutnahme waren in der Sache unzutreffend und erfolgten ohne die notwendige Prüfung der tatsächlichen Lebensumstände von Frau S.

Nicht genug damit. Man ging sogar so weit, dass man Frau S . seitens des Jugendamtes das „Angebot“ machte, sie könne ihr Kind sofort wiederbekommen, wenn sie das von „Besondere Dienste 3“ (Sozialamt) ihr offerierte kostenlose Rückkehr-Ticket nach Rumänien annehme und umgehend die Stadt verlasse.

Am gestrigen Donnerstag, den 09. 07. 2020, hat das Frankfurter Familiengericht diesem schändlichen Vorgehen der daran beteiligten Ämter und Institutionen einen Riegel vorgeschoben und der verzweifelten Mutter ihr neugeborenes Kind wieder zugesprochen.

Dona Carmen e. V. ist in Anbetracht dieser Vorgänge und des unnötigen Leids, das sie für Mutter und Kind bedeuten, in Sorge und hat die Befürchtung, dass es sich bei den hier dargestellten Abläufen um keinen Einzelfall handelt. Die geschilderten Vorgänge legen die Vermutung nahe, dass insbesondere Roma-Frauen, zumal dann, wenn sie in der Sexarbeit tätig sind, in dieser Stadt nicht willkommen sind und im Zweifel mit unlauteren und rechtswidrigen Methoden aus der Stadt Frankfurt – vorsichtig formuliert – „herauskomplimentiert“ werden.

Wir hoffen, dass unsere Vermutung nicht zutreffend ist, sind uns dessen aber nicht sicher angesichts des routinierten Zusammenspiels von Uni-Klinik, Jugendamt, Besondere Dienste 3 sowie des Jobcenters.

Aus diesem Grund bitten wir Sie als zuständige Dezernentin um Aufklärung über die städtische Praxis des Anbietens kostenloser Rückkehr-Tickets an Migranten/innen insbesondere aus südosteuropäischen Herkunftsländern und der in diesem Kontext ggf. erfolgenden Praxis der Inobhutnahme ihrer Kinder.

Wir möchten Sie daher vor dem Hintergrund des hier geschilderten Falles um die Beantwortung nachfolgender Fragen bitten:

1. Wie vielen Migranten/innen wurde in der Zeit von 2007 bis 2020 von Besondere Dienste 3 ein kostenloses Rückkehr-Ticket in ihre Herkunftsländer angeboten?

2. Wie viel von denen, denen ein solches Ticket angeboten wurde, haben es in Anspruch genommen?

3. Welche Nationalität hatten die Migranten/innen, denen in dem besagten Zeitraum ein solches kostenloses Ticket ausgehändigt wurde?

4. Wie viele der Migranten/innen, denen ein solches Ticket in dem besagten Zeitraum ausgehändigt wurde, hatten einen Roma-Hintergrund?

5. In wie vielen dieser Fälle erfolgte im besagten Zeitraum eine Inobhutnahme von Kindern?

6. In wie vielen Fällen einer solchen Inobhutnahme von Kindern lag dem ein richterlicher Beschluss zugrunde?

7. In wie vielen Fällen wurde die Rückgabe eines zuvor in Obhut genommenen Kindes in Aussicht gestellt, wenn anschließend ein städtisches Rückfahrt-Ticket zur Ausreise ins Herkunftsland in Anspruch genommen wird?

8. In wie vielen Fällen wurden im besagten Zeitraum von 2007 bis 2020 Kinder von Migranten/innen, denen man ein kostenloses Rückkehr-Ticket in ihr Herkunftsland angeboten hat, zeitweise oder dauerhaft in Pflegefamilien gegeben bzw. zur Adoption freigegeben?

Dona Carmen e. V.  ist der Auffassung, dass die Öffentlichkeit vor dem Hintergrund des aktuellen Falles ein Anrecht darauf hat zu erfahren, wie die Stadt Frankfurt insbesondere mit Migrantinnen aus Rumänien und Bulgarien,  dabei wiederum vor allem derjenigen mit Roma-Hintergrund, verfährt.

Wir bitten Sie um eine zeitnahe Beantwortung der hier gestellten Fragen und verbleiben

mit freundlichen Grüßen

Juanita Henning

(Sprecherin Dona Carmen e.V.)