Zum Ausschluss aus dem Arbeitskreis Illegalität

Erklärung von Doña Carmen e.V. zum Ausschluss aus dem „Arbeitskreis Illegalität“ des Evangelischen Regionalverbands

Wir sind die Täter – Sie sind das Opfer!

Mit einem Schreiben datiert vom 21. April diesen Jahres (siehe Rückseite) und in einem Gespräch mit Vertretern des Evangelischen Regionalverbandes, das am 15. Juni stattfand, wurde Doña Carmen e.V. ohne Nennung von Gründen jede weitere Teilnahme an Sitzungen des „AK Illegalität“ verwehrt. Dieser Vorgang trifft uns völlig unerwartet. Wir können ihn weder nachvollziehen, noch billigen. Wir sind darüber entsetzt, dass unser Ausschluss aus dem mittlerweile stadtweiten „Arbeitskreis Illegalität“ seitens der Abteilung III (Interkulturelle Arbeit) des Evangelischen Regionalverbandes klammheimlich und hinter dem Rücken der Mehrheit der Arbeitskreis-Mitglieder vorgenommen wurde. Und zwar ohne dass uns als Betroffenen oder anderen Arbeitskreis-Mitgliedern vor einem Ausschluss das Recht auf eine Stellungnahme eingeräumt, ohne dass eine offene Debatte über diesen Vorgang ermöglicht wird.

Dazu stellen wir fest: Der Versuch, Doña Carmen aus dem „Arbeitskreis Illegalität“ auszuschließen, entbehrt jeglicher Grundlage. Er erfolgt in einer Art und Weise, die man nur als Bruch elementarer demokratischer Gepflogenheiten bezeichnen kann.

  • Es wird kein einziger inhaltlicher Grund für den Ausschluss Doña Carmens genannt! Stattdessen wird auf nicht nachvollziehbare Befindlichkeiten anderer Teilnehmer des AK verwiesen, die selbst im Dunkeln bleiben und offenbar nicht genannt werden wollten.
  • Doña Carmen soll für etwas ausgeschlossen werden, was – wie ausdrücklich eingeräumt wird – gar nicht im Zusammenhang mit dem „Arbeitskreis Illegalität“ steht.
  • Ohne dass irgendein Unbehagen oder irgendwelche Probleme im „Arbeitskreis Illegalität“ uns gegenüber jemals offen angesprochen wurden, versucht man mittels Hinterzimmer-Diplomatie fertige Tatsachen zu schaffen und Ausgrenzungen vorzunehmen.
  • Behauptungen über Doña Carmen dürfen offenbar ungeprüft vorgebracht und als Grundlage für weitreichende Entscheidungen dienen, ohne dass bei uns nachgefragt und der Wahrheitsgehalt von Behauptungen überprüft wird, ohne dass uns die Möglichkeit einer Stellungnahme eingeräumt wird.
  • Die Mitglieder des „Arbeitskreis Illegalität“ werden über den Ausschluss Doña Carmens weder vorab informiert, noch in Entscheidungen über Ausschluss aus bzw. Teilnahme am Arbeitskreis einbezogen. Heute trifft es Doña Carmen. Wen trifft es morgen??
  • Damit wird das demokratische Mehrheitsprinzip, wonach eine Mehrheit der Mitglieder und nicht eine (unbekannte) Minderheit darüber befindet, mit wem man sinnvollerweise zusammenarbeitet und mit wem nicht, ad absurdum geführt.
  • Mögliche Differenzen unter Mitgliedern des Arbeitskreises werden nicht – wie es sich gehört – in offener, inhaltlicher Debatte ausgetragen, sondern stattdessen über eine undemokratische Ausschlusspolitik „gelöst“. (Wobei gezielt im Unklaren gelassen wird, ob das, was von Ungenannten gegen Doña Carmen vorgebracht wird, überhaupt als Gesprächsgegenstand des „Arbeitskreises Illegalität“ relevant ist.)

Wenn etwas – wie es Pfarrer Wegner befürchtet – einen Arbeitskreis, in dem notwendigerweise unterschiedliche Meinungen zusammen kommen, sprengt, dann sind es Gemauschel und Intrigen hinter dem Rücken der Mehrheit von Arbeitskreis-Mitgliedern, dann ist es eine auf undemokratischen Praktiken und Hinterzimmerdiplomatie basierende Ausgrenzungspolitik, für die noch nicht einmal stichhaltige Gründe angeführt werden können.

Das formale Argument, man wolle Konflikte vermeiden und den Arbeitskreis arbeitsfähig halten, kann vor diesem Hintergrund nur als vorgeschoben bezeichnet werden. Doña Carmen jedenfalls hat nachweislich keinen Konflikt in den „Arbeitskreis Illegalität“ hineingetragen.

Als besonders schlimm empfinden wir die Methode den Eindruck zu erwecken, als habe Doña Carmen irgendwelche „Leichen“ im Keller, als seien die Bedenken einiger weniger (ungenannter) Mitglieder des Arbeitskreises gegen uns bereits gewichtig genug, dass weder wir noch die Übrigen Mitglieder des Arbeitskreises von diesen Einwänden informiert oder gar gehört werden müssten. Ein solches Verfahren ist geeignet, Gerüchte und darauf beruhende Verdächtigungen zu lancieren. Ein Ausschluss, ohne den Betroffenen dafür Gründe darzulegen, ohne sie anzuhören und ihnen das Recht auf eine Stellungnahme zu gewähren, macht sie wehr- und schutzlos und kann nur als Polit-Mobbing bezeichnet werden.

Niemand wird darlegen und begründen können, wie sich ein „Arbeitskreis Illegalität“ für gesellschaftlich ausgegrenzte Menschen wirkungsvoll einsetzen kann, wenn er selbst auf dem Prinzip der Ausgrenzung beruht.

Doña Carmen arbeitet seit nunmehr 6 Jahren in Frankfurt mit illegalisierten Menschen, insbesondere Prostitutionsmigrantinnen. Die Erfahrungen einiger unserer Mitarbeiter/innen auf diesem Gebiet reichen 14 Jahre zurück. Wir unterhalten in Frankfurt die einzige Prostituierten-Beratungsstelle unmittelbar vor Ort im Bahnhofsviertel (Elbestra?e 41). Diese Einrichtung wird von den Betroffenen reichlich frequentiert, weil wir professionelle und qualifizierte Beratung und Betreuung anbieten. Prostitutionsmigrantinnen leisten einen großen Teil unserer täglichen Büroarbeit, sodass wir zu Recht von uns behaupten können, einen Selbsthilfe-Organisation zu sein.

Wenn also in Frankfurt eine Organisation legitimiert ist, an einem „Arbeitskreis Illegalität“ mitzuarbeiten, dann gehört Doña Carmen mit Sicherheit dazu. Unsere Erfahrungen beziehen sich auf eine der größten Gruppen von Illegalen in dieser Stadt und sollten anderen selbstverständlich zugänglich sein. Schon deshalb ist unsere Mitarbeit im „Arbeitskreis Illegalität“ unverzichtbar.

Gespräch Evangelischer Regionalverband / Doña Carmen e.V. vom 15.06.2004:

An einem im Vorfeld der nächsten AK-Sitzung von beiden Seiten vereinbarten Gespräch zur strittigen Frage des Ausschlusses von Doña Carmen aus dem „Arbeitskreis Illegalität“, beharrten die Vertreter des Evangelischen Regionalverbands (Jean Claude Diallo, Leiter des Fachbereichs Interkulturelle Arbeit des ERV, Diether Heesemann, Ev. Kirche Hessen und Nassau, Pfarrer Ulrich Wegner) auf ihrer Linie, Doña Carmen weder die Urheber irgendwelcher Anschuldigungen, noch die Gründe für einen Ausschluss zu nennen. Dies hätte ein Beirat des Arbeitskreises beschlossen. Wer in diesem Beirat Mitglied sei, ginge Doña Carmen nichts an, hieß es auf Nachfrage. Man mache lediglich von seinem Recht Gebrauch, Doña Carmen einzuladen und nun eben wieder „auszuladen“. Man habe vor der Alternative gestanden: Entweder mehrere andere gehen oder Doña Carmen scheide aus. Da habe man sich für letzteres entschieden. Keineswegs habe man damit Partei ergriffen.

Die Vertreter/innen von Doña Carmen bestritten diese angebliche Unparteilichkeit vehement und warfen den anwesenden Vertretern des Evangelischen Regionalverbands eine undemokratische und deshalb inakzeptable Ausgrenzungspolitik vor. Die Kritik, die Vertreter des Evangelischen Regionalverbands würden nicht mit offenen Karten spielen, ließen diese ungerührt an sich abprallen.

Auf die Frage Doña Carmens, warum die Angelegenheit nicht innerhalb des Arbeitskreises behandelt werde, entgegnete Pfarrer Wegner, dass er sich solche „demokratische Attitüde“ ersparen wolle. Herr Diallo sah sich nicht zuständig für irgendwelche „Gruppendynamik“. Den Vorwurf der „Hinterzimmerdiplomatie“ wies er gar nicht erst von sich, sondern gab der Sichtweise von Doña Carmen insofern Recht, als er gänzlich ohne Skrupel bestätigte: „Wir sind die Täter“  Sie sind das Opfer!

Das Gespräch, in dem die Vertreter des Ev. Regionalverbandes sich keinen Millimeter bewegten, wurde nach gut einer halben Stunde wegen offenkundiger Aussichtslosigkeit im Hinblick auf eine Einigung seitens der Vertreter/innen von Doña Carmen abgebrochen.

Die im Namen des Evangelischen Regionalverbandes erfolgte Ausgrenzung einer Prostituierten-Selbsthilfeorganisation wie Doña Carmen aus dem „Arbeitskreis Illegalität“ ist – ganz abgesehen von der unzumutbaren Form, in der dieser Ausschluss vollzogen und gerechtfertigt wird – insgesamt beschämend. Sie ist ein Affront gegen die anerkannte Arbeit einer Prostituierten-Selbsthilfeorganisation, die sich seit Jahren nachweislich engagiert für die Interessen gerade auch der illegalisierten Ausländer/innen in dieser Stadt einsetzt. Mit der Ausgrenzung Doña Carmens beschädigen einige Verbandspolitiker das Ansehen der Evangelischen Kirche in Frankfurt. Und weil man darum weiß, versucht man es klammheimlich.

Solch undemokratische Ausgrenzungspraktiken laufen den Anliegen sowohl von Prostituierten als auch von illegal in dieser Stadt lebenden Menschen zuwider.

Es ist an der Zeit und dringend geboten, dass solche Praktiken entschieden missbilligt und nicht durch Schweigen toleriert werden.

Scharf auf Razzien

Bundesdeutsche Frauenberatungsstellen auf der schiefen Bahn:
Von der Polizei-Kooperation zur Rechtfertigung menschenverachtender Razzien gegen ausländische Prostituierte

von Juanita Henning

Polizei-Kooperation: Ja, bitte!

Die empirisch und wissenschaftlich unbewiesene Behauptung, immer mehr Frauen seien von Frauenhandel betroffen, wird seit Jahren dazu benutzt, eine seit 1997 institutionalisierte Zusammenarbeit von Frauenberatungsstellen und Polizei zu rechtfertigen (siehe dazu auch: La Muchacha 2, 2000 ). Diese Kooperation ist mittlerweile auf höchster Ebene angesiedelt: Unter Federführung des Bundesfamilienministeriums treffen sich in der bundesweiten „AG Frauenhandel“ regelmäßig Vertreterinnen von agisra und Solwodi, beides Mitgliedsorganisationen des KOK e.V. („Koordinierungskreis gegen Frauenhandel und Gewalt an Frauen im Migrationsprozess“), mit sechs Vertretern von Bundesministerien und dem BKA. Die erklärte Absicht des von der Regierung finanzierten und von den Kirchen nachhaltig unterstützten KOK ist die Intensivierung und flächendeckende Ausdehnung dieser Polizeikooperation.

Dem Mangel an empirischen Daten über eine angeblich zunehmende Bedrohung durch „Frauenhandel“ entspricht ein Mangel an vorzeigbaren Frauenhandels-Opfern. Nach außen erklärt man diese Tatsache mit einer den Sachverhalt abermals dramatisierenden extremen „Ausbeutung“ und „Abhängigkeit“ ausländischer Prostitutionsmigrantinnen: „Sind die Frauen in Deutschland angekommen, bricht für sie eine Welt zusammen. Sie werden zu Gefangenen in einem Netz von Lügen und Drohungen… Die Abhängigkeit der betroffenen Frauen verstärkt sich, da es ihnen in einer ständig wechselnden Umgebung unmöglich ist, Hilfsangebote ausfindig zu machen“, behauptet die in Frankfurt/Main ansässige Organisation FiM (‚Frauenrecht ist Menschenrecht’). (1) Die Frauen „haben Angst und sind verwirrt“, so FiM. „Hier handelt es sich oft um schwer traumatisierte Frauen, die den Kontakt zur Beratungsstelle meist nur vermittelt durch die Polizei finden.“ (2).

Vor diesem Hintergrund erscheint die Polizei diesen Frauenberatungsstellen als „helfende Instanz der Befreiung“. (3) Und da geistig verwirrte ausländische Frauen natürlich unfähig sind, sich selbst zu befreien, verstehen sich Polizeirazzien geradezu wie von selbst. Dass die von Razzien betroffenen Frauen sich selbst nicht als Opfer von Frauenhandel verstehen, wird ihnen flugs als Lüge unterstellt: „Werden die Frauen, wie es die Regel ist, von der Polizei bei einer Razzia angetroffen, erzählen sie … ihre wahre Geschichte nicht.“ (4) Die Gründe für das Verschweigen ihres Status als Frauenhandelsopfer seien Misstrauen gegenüber der Polizei, Abhängigkeit vom Zuhälter, finanzielle Abhängigkeit und Scham.

Dass die Frauen sich bei ihrer „Befreiung“ durch die Polizei nicht mehrheitlich als „Opfer“ outen, kann die bundesdeutschen Frauenberatungsstellen also kaum irritieren. Umso mehr werden Prostitutionsmigrantinnen von ihnen öffentlich als traumatisiert und geistig verwirrt hingestellt und damit viktimisiert. Die logische Schlussfolgerung ist nicht nur eine Kooperation mit der Polizei (was sich noch recht freundlich anhört), sondern in der Praxis die Rechtfertigung repressiver Maßnahmen gegenüber ausländischen Prostituierten. Wortführerinnen der Beratungsstellen und Befürworterinnen der Polizei-Kooperation wissen, was sie tun: „Damit legitimieren wir repressive Regierungsmaßnahmen.“ (5)

Da die betroffenen Migrantinnen nicht selbst den Weg zu den Beratungsstellen finden würden und die Polizei ihnen zudem viel zu wenig „Opfer“ zur Betreuung liefert, plädieren die Frauenberatungsstellen mittlerweile nicht nur für Polizeirazzien, sondern auch für ihre eigene Einbindung in die Razzien! Denn dadurch sei noch mehr „Sensibilisierung“ im Umgang mit den aufgegriffenen ausländischen Prostituierten gewährleistet. Vor allem ergeben sich dann – so das Kalkül – mehr „Opfer“, mehr „Opferzeuginnen“, mehr verhaftete „Täter“ – und damit einhergehend mehr Staatsknete für die Betreuung der Frauen sowie eine Bestätigung des „Frauenhandel“-Weltbilds der Beratungsstellen.

Man kann es nur als Zynismus bezeichnen, wenn diese Beratungsstellen ausländische Prostituierte öffentlich als „Opfer“ präsentieren, intern aber durchaus einräumen, dass sie es mehrheitlich gar nicht sind: „Die überwältigende Mehrheit der Migrantinnen, die wir ideologisch verbrämt in der breiten Definition zu Opfern von Frauenhandel zählen, sehen sich selbst keineswegs in dieser Rolle, geschweige denn wollen sie als Opfer von Menschenhandel befreit werden.“ (6)

Solche Einsichten dokumentieren, dass man wissentlich gegen die Interessen von Prostitutionsmigrantinnen handelt. Sie hindern allerdings die in die Polizeikooperation mittlerweile fest eingebundenen und finanziell davon abhängigen Frauenberatungsstellen nicht daran, sich als heftige Razzien-Befürworter zu gebärden. Mutieren sie damit nicht zu Vorfeldorganisationen der Polizei? Nachfolgend präsentierte einschlägige Stellungnahmen dieser Beratungsstellen zum Thema „Razzien“ dokumentieren die Unbekümmertheit eines „fröhlichen Etatismus“ (Silvia Kontos), dem sich mittlerweile weite Teile der ehemaligen Frauenbewegung verschrieben haben.

Pro Razzia

„Wegen der „absoluten Kontrolle bis hin zur Gefangenschaft“ gingen von „Menschenhandel“ betroffene Frauen in den seltensten Fällen direkt zu den Fachberatungsstellen, schreibt die kirchlich gesponserte Organisation Solwodi aus Boppart. Ihre Schlussfolgerung daraus, dass „weiterhin Maßnahmen der Polizei zum Kontakt mit den Opfern und Zeuginnen führen werden“, umschreibt ihre positive Parteinahme für Polizeirazzien. (7)

„Wir von agisra sehen die Razzien durchaus zwiespältig“, bekannte die damalige agisra-Sprecherin Howe. (8) Auch hier kein eindeutiges ‚Nein’. Während der großen Vertreibungsaktion von ausländischen Prostituierten aus Frankfurt, bei der in den Jahren 2000/2001 nahezu 1.000 Frauen vertrieben wurden, rief agisra im April 2000 die Stadt zuerst zur Beendigung der Razzien auf, erklärte zwei Monate später, als es um die in Aussicht gestellte Teilnahme an einem ‚Runden Tisch’ ging, dass man die eigene Forderung nach einem Stop der Razzien „vorerst zurückstellen“ wolle und äußerte – während die Razzien noch liefen – dann freimütig: „Wir haben nichts dagegen, dass den Bordellbetreibern mal etwas auf die Finger geklopft wird.“ (9)

Ganz eindeutig hingegen äußert sich die agisra-Mitbegründerin, ehemals Vorstandsmitglied der Ökumenischen Asiengruppe und heutige FiM-Mitarbeiterin Elvira Niesner: Sie fordert eine „Ernsthaftigkeit bei der Strafverfolgung“, und dazu gehören neben dem Zeuginnenbeweis „natürlich… Erkenntnisse aus verdeckten Ermittlungen – Telefonüberwachung, Informationen über verdeckte Ermittler -, Observationsberichte und Erkenntnisse aus eigenen Kontrollgängen und Razzien im Milieu“. (10)

Allerdings bevorzugt sie statt unspezifischer „standardisierter Razzien“ (11) lieber „fallorientierte Razzien“, da diese „eher im Interesse der Opfer“ (12) seien. Die „niedrige Strafverfolgungsquote“ hinsichtlich des Frauenhandels in Polen findet sie „fatal“. Die Ursache: „Es finden keine regelmäßigen Razzien der Polizei hinsichtlich möglicher Strafdelikte statt.“ (13)

Razzien auch bei Frauen mit legalem Aufenthaltsstatus?

Nivedita Prasad von der Berliner Organisation Ban Ying sieht in der Heiratsmigration eine Form der „Professionalisierung“ von Frauenhandel. Hierbei würden Frauen „tatsächlich oder zum Schein verheiratet.“ Wegen ihres legalen Aufenthaltsstatus würden die Frauen bei Razzien nun nicht mehr aufgegriffen: „Bei einer Razzia in einem Bordell o.ä. werden diese Frauen nicht vernommen oder gar mit zum Präsidium genommen, da sie einen legalen Aufenthaltstitel haben.“ Gleichsam bedauernd fügt sie hinzu: „Vor einigen Jahren waren Razzien für gehandelte Frauen eine Möglichkeit des Ausstiegs bzw. der Flucht…“ Offenbar wird diesen Frauen durch den Verzicht auf ihre Einbeziehung in Razzien die Möglichkeit des Ausstiegs und der Flucht genommen… Dass mutmaßlich gehandelte, gleichwohl legal in Deutschland sich aufhaltende Frauen bei Razzien nicht aufgegriffen werden, erklärt für Prasad auch, „warum thailändische Opfer von Menschenhandel statistisch immer weniger sichtbar werden.“ (14) Der Mangel an Opfern also eine Folge unzureichender Razzien?

Vorherige Information über Razzien

Einige Beratungsstellen sind ganz übereifrig und möchten bereits im Voraus von der Polizei über Razzien unterrichtet werden. Dies ist teilweise schon Realität. Sie werde bisweilen sogar „vor Polizeirazzien informiert“, gestand Monika Bußmann von der Informationsstelle Dritte Welt in Herne, „damit wir wenigstens eine Beratungsbereitschaft haben.“ (15) Ähnlich liegen die Dinge in Hannover: „Teilweise wird Kobra auch schon vor einer Razzia informiert, wenn erwartet wird, dass Opfer von Menschenhandel angetroffen werden. In diesen Fällen können wir uns bereits im Vorfeld um Unterbringungsmöglichkeiten kümmern.“ (16)

Und Gerlinde Iking von der Dortmunder Mitternachtsmission bekannte: „Wenn Razzien anstehen, müssen wir parat stehen.“ (17) Ähnliches berichtet Solwodi: „In einigen Fällen wurde Solwodi als Fachberatungsstelle schon ab der Vorbereitungsphase in eine geplante Razzia eingebunden.“ Selbstverständlich gewährt Solwodi der Polizei dabei einen Vertrauensvorschuss: „Die Polizei muss darauf vertrauen können, dass Einsatzort und -datum nicht an Unbefugte weitergegeben werden.“ (18)

Was in Deutschland noch gefordert wird, wird in anderen europäischen Staaten bereits praktiziert. Auf einer Tagung zum Frauenhandel 1999 in Frankfurt berichteten Vertreter der belgischen Staatsanwaltschaft diesbezüglich von positiven Kooperationserfahrungen: „Ich kann das nur bestätigen. Wir können uns nicht mehr vorstellen, effektiv gegen Menschenhandel vorzugehen, ohne die Hilfe der (Beratungs-)Zentren. Das Vertrauen ist so groß, dass wir sie über große Operationen informieren.“ Und eine Opferschutzstelle aus Brüssel ergänzte: „Seit fast vier Jahren haben wir das Gesetz in Belgien. Am Anfang gab es auf beiden Seiten viel Misstrauen. Mittlerweile hat sich ein Klima des Vertrauens gebildet. Die Polizei hat es beruhigt, dass die Zentren gemäß den Richtlinien arbeiten. Der Informationsfluss funktioniert auch ganz gut. Die Beratungszentren werden mittlerweile als Partner verstanden. Und bei uns werden die Beratungszentren vor den großen Razzien informiert.“ (19)

Teilnahme an Razzien

Als geradezu konsequent muss es vor diesem Hintergrund erscheinen, wenn Organisationen wie Solwodi die Teilnahme von NGOs an Razzien einfordern: „Die beste Möglichkeit, mit allen aufgegriffenen Frauen in Kontakt zu treten, ohne dass eine Vorselektion durch die Polizei erfolgt, bietet die ‚Teilnahme’ an einer Razzia. .. Die Beraterinnen können entweder – falls erforderlich – mit in das Objekt gehen oder beim Eintreffen der Frauen auf der Polizeidienststelle präsent sein. Diese Kooperationsvariante ermöglicht am ehesten eine partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Polizei und Beratungsstelle… Optimalerweise sollen Teams gebildet werden, die während des gesamten Einsatzes (und möglichst auch darüber hinaus) für eine Zeugin zuständig bleiben… Die Aufgaben der Fachberatungsstelle und das Zusammenwirken von Polizeibeamten und Beraterinnen kann im Einsatzbefehl festgeschrieben werden.“ (20)

 Man sieht: Diese Organisation denkt nicht nur in polizeilichen, sondern bereits in militärischen Kategorien! Dabei ist man sich durchaus bewusst, dass man hier Grenzen überschreitet: „Gerade den angetroffenen Frauen ist die Abgrenzung der nichtstaatlichen Beratungsstelle zur Polizei möglicherweise erschwert, gerade auch weil Beraterinnen an Grenzüberschreitungen teilnehmen: z.B. werden die Bordelle von Sondereinheiten gestürmt, die Razzien werden während der Arbeitszeit der Frauen durchgeführt, sodass die Intimsphäre der Frauen verletzt wird.“ (21)

Aber die Verletzung der Intimsphäre der Frauen (von den Freiern ganz zu schweigen) scheint diese Organisationen nicht weiter zu kümmern. Denn: „Durch die Präsenz vor Ort erhält die Mitarbeiterin der Fachberatungsstelle auch authentisches Hintergrundswissen über die Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer zukünftigen Klientin, was den Beziehungsaufbau erleichtert.“ Sorge bereitet nur die eigene Sicherheit: „Wenn Beraterinnen mit in das Objekt gehen, dann natürlich erst, wenn dort die Sicherheit hergestellt ist.“ (22)

Natürlich sind ausnahmslos alle mit der Einbindung von Frauenberatungsstellen in Razzien rundum zufrieden: „Hervorzuheben sei hierbei die Einbindung Kobras in eine im Raum Oldenburg durchgeführte Razzia durch den Zeugenschutz Oldenburg. Mitarbeiterinnen Kobras (und Solwodis) bekamen Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt und hatten die Möglichkeit, mit den bei der Razzia aufgegriffenen Frauen noch vor der Vernehmung durch die Ermittlungsbeamten zu sprechen. Diese Vorgehendweise wurde von allen Beteiligten als sehr positiv bewertet, da die Frauen so (von einer nichtstaatlichen Organisation, der sie mehr Vertrauen schenken) zunächst beraten werden und zur Ruhe kommen konnten.“ (23)

Feministische Empfehlungen für verbesserte Razzien

 Nach solchen Ausführungen kann nicht mehr erstaunen, dass Elvira Niesner von FiM sogar „Empfehlungen“ für ein effektiveres Vorgehen bei Razzien ausspricht: „Es ist ein klar durchstrukturiertes Vorgehen bei Razzien zu zeigen, symbolisiert durch die amtliche Autorität, die sich nicht vereinnahmen lässt. In der Praxis kann dies beispielsweise bedeuten, die Personen bei den Razzien nicht zu duzen bzw. sich nicht in für die Ermittlungen irrelevante Gespräche verwickeln zu lassen.“ (24)

Theda Kröger von Kobra (Hannover) weiß: „Die Razzia / Kontrolle ist daher oftmals der entscheidende Punkt, an dem die Weichen für das weitere Schicksal der Frauen gestellt werden.“ Die „gewaltsame, auf sie bedrohlich wirkende Situation einer Razzia / Kontrolle (ist) kaum der Rahmen, indem sie sich den BeamtInnen spontan anvertrauen würden.“ (25) Als geeigneter Rahmen für die Schaffung eines Vertrauensverhältnisses zur Polizei biedern sich deshalb die Frauenberatungsstellen an.

Am deutschen Wesen soll die Welt genesen…

Bundesdeutsche Frauenberatungsstellen kooperieren nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland mit der Polizei. Schließlich ist Menschenhandel ja ein „internationales Phänomen“… Bevorzugte Zielrichtung scheint dabei vor allem der Osten und Südosten zu sein: „Das Thema Kooperation zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Stellen im Umgang mit Menschenhandelsopfern ist auch international ins Blickfeld gerückt. In Kooperation mit La Strada Warschau sowie einem Beamten des Fachkommissariats Milieu Hannover, finanziert von der Friedrich-Ebert-Stiftung Warschau, organisierte Kobra ein mehrtägiges Seminar für Fachberaterinnen und Polizei in Warschau. Ziel war die Vorstellung möglicher Kooperationsmodelle sowie der Abbau gegenseitiger Vorbehalte und Entwicklung möglicher Kooperationsstrukturen. Auch in der Slowakei wurde ein mehrtägiges Seminar zu diesem Thema für sie slowakische Polizei durchgeführt, zu dem ebenfalls eine Vertreterin Kobras sowie des Fachkommissariats Milieu, Hannover eingeladen waren, um die Kooperation in Niedersachsen vorzustellen.“ (26)

Solche Tagungen sind offenbar kein Einzelfall: „Im Januar 2002 führte Kobra organisiert und finanziert von der OSCE in Kooperation mit dem Fachkommissariat Milieu Hannover zwei mehrtägige workshops für jugoslawische Polizei und NGO in Belgrad durch.“ (27)

Schluss

Im Zuge dieser Politik ist den genannten Frauenberatungsstellen offenbar jede kritische Distanz zum Staat im Allgemeinen und Polizeirazzien im Besonderen (sollte es diese Distanz je gegeben haben) nunmehr endgültig abhanden gekommen. Um „auf der Klaviatur der Macht klimpern zu können“, hätten (ehemalige) Frauenbewegungsinitiativen nur die „traditionelle Schutzkonstruktion von Frauen bestätigt“, kritisierte die Sozialwissenschaftlerin Prof. Silvia Kontos (FH Wiesbaden). Indem man „die traditionelle Konstruktion der Frau als Opfer der Gewalt und Ausbeutung“ bestätigt, „wurde gleichzeitig einem feministischen Etatismus das Wort geredet… Als ob sich den Frauen aus der Trutzburg des Patriarchats der siebziger Jahre nunmehr im Umkehrschluss die helfende Hand des Staates herausrecken würde.“ (28)

Die genannten Beratungsstellen haben in ihrem unermüdlichen Einsatz gegen „Frauenhandel“ die betroffenen ausländischen Migrantinnen über ihre umfassende Kooperation mit der Polizei und ihre zustimmende Haltung zu Polizeirazzien weder informiert, noch haben sie im Vorfeld die Betroffenen befragt, ob ihnen solche Praktiken recht sind. Nicht zuletzt ein solches Vorgehen diskreditiert die selbsternannten Anwältinnen der „Opfer“ von Frauenhandel.

Anmerkungen:
(1) Ökumenische Asiengruppe / FiM (Hrsg.), 20 Jahre für Frauenrechte, Frankfurt 2001, S. 47
(2) ebenda, S. 113,114
(3) KOK, Schattenbericht zum Prüfbericht des CEDAW-Ausschusses zum 2. und 3. sowie 4. periodischen Bericht der Bundesrepublik Deutschland, 2003, S. 197
(4) KOK, Schattenbericht zum Prüfbericht des CEDAW-Ausschusses der Bundesregierung, 2000, S. 7
(5) Elvira Niesner, Zur veränderten Rolle von NGOs im Kontext von Frauenhandel, in: agisra e.V. (Hrsg.) Dokumentation der agisra-Vernetzungstreffen von 1996 bis 2000, Frankfurt 2001, S. 120
(6) ebenda, S. 121
(7) Solwodi e.V., Grenzüberschreitendes Verbrechen – Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Boppart 2003, S.146
(8) Freitag, 12. 11. 1999
(9) agisra, Rundbrief 28/29, Frankfurt 2000, S. 25 ff
(10) Elvira Niesner, Christina Jones-Pauly, Frauenhandel in Europa, Bielefeld 2001, S. 240 (11) Niesner, Jones-Pauly, S. 236
(12) Niesner, Jones-Pauly, S. 59
(13) Niesner, Jones-Pauly, S. 117
(14) Deutscher Bundestag, Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Stellungnahme von Ban Ying, Berlin, zur öffentlichen Anhörung „Frauenhandel mit dem Ziel der sexuellen Ausbeutung“, 1998, S. 5
(15) taz, 12.11.1999
(16) Kobra, Koordinierungs- und Beratungsstelle für Opfer von Frauenhandel, Hannover, Tätigkeitsbericht 2000, S. 3
(17) Westfalenpost, 12. 5. 2000
(18) Solwodi, Grenzüberschreitendes Verbrechen, S.149
(19) Niesner, Jones-Pauly, S. 247
(20) Solwodi, Grenzüberschreitendes Verbrechen, S.148
(21) Solwodi, Grenzüberschreitendes Verbrechen, S.148
(22) Solwodi, Grenzüberschreitendes Verbrechen, S.151
(23) Kobra, Koordinierungs- und Beratungsstelle für Opfer von Frauenhandel, Hannover, Tätigkeitsbericht 2003, S. 7
(24) Niesner, Jones-Pauly, S. 243
(25) Theda Kröger, Problemfelder in Zusammenhang mit Menschenhandel, in: KOK (Hrsg.) Frauen handel(n) in Deutschland, Berlin 2001, S. 47
(26) Kobra, Koordinierungs- und Beratungsstelle für Opfer von Frauenhandel, Hannover, Tätigkeitsbericht 2001, S. 6
(27) Kobra, Koordinierungs- und Beratungsstelle für Opfer von Frauenhandel, Hannover, Tätigkeitsbericht 2001, S. 7
(28) Silvia Kontos, Feministische Politik im neuen politischen Kontext, in: agisra e.V. (Hrsg.) Dokumentation der agisra-Vernetzungstreffen von 1996 bis 2000, Frankfurt 2001, S. 120