Prostituiertenschutzgesetz befördert Illegalisierung von Sexarbeit
Das Statistische Bundesamt Wiesbaden hat heute die Zahl der zum 31.12.2018 angemeldeten Prostituierten in Deutschland veröffentlicht und damit zum zweiten Mal den Stand der Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes dokumentiert.
Zählte man für 2017 seinerzeit 7.000 angemeldete Sexarbeiter/innen, so hat man es Ende 2018 (inklusive 2017) mit nunmehr insgesamt 32.800 zwangsregistrierten Prostituierten zu tun.
Das sind 32.800 Fälle, in denen die Grundrechte Art. 1 (Recht auf informationelle Selbstbestimmung), Art. 12 (Recht freie Berufsausübung) sowie Art. 13 GG (Unverletzlichkeit der Wohnung) von Menschen, die in der Prostitution tätig sind, massiv verletzt werden: durch Zwangsberatungen, durch Zwangsregistrierungen, durch damit einhergehendes Zwangsouting, durch den Zwang, einen Hurenpass mit sich zu führen, durch Zwangskondomisierung ausschließlich im Falle von Prostitution sowie durch den Zwang, prostitutionsspezifische Bußgelder zu entrichten.
Die Bundesregierung inszeniert sich gerne als Sachwalter der Interessen von Frauen. So am gestrigen UN-Aktionstag gegen Gewalt an Frauen. Dabei richtet man den Fokus gezielt auf häusliche Gewalt, unterschlägt aber die unter dem Vorwand des Schutzes vom Staat ausgehende strukturelle Gewalt gegenüber Sexarbeiter/innen, wie sie sich im so genannten Prostituiertenschutzgesetz und dessen Umsetzung manifestiert.
Die neuen Zahlen der Wiesbadener Bundesstatistik verdeutlichen einen kontinuierlichen Anstieg der staatlichen Repression gegenüber Sexarbeiter/innen. Zugleich verdecken sie das tatsächliche Ausmaß dieser Repression. Denn die Bundesstatistik macht die Zahl der „angemeldeten Prostituierten“ fest an der Zahl derer, die fortan mit einem Hurenpass in der Prostitution arbeiten. Die Zahl der im Zuge des Anmelde-Procedere namentlich erfassten Sexarbeiter/innen liegt in Wirklichkeit jedoch um rund 30 % höher als die jetzt in der Bundesstatistik ausgewiesene Zahl. Denn viele Sexarbeiter/innen haben bereits nach der obligatorischen Gesundheitsberatung, an der sie teilnehmen, die Nase voll und verzichten auf ein weiteres obligatorisches „Informations- und Beratungsgespräch“ bei den Ordnungsbehörden. Sie sind damit staatlich erfasst, verfügen aber über keinen Hurenpass und dürfen somit nicht legal arbeiten.
Damit sind sie als Sexarbeiter/innen namentlich erfasst und behördlich registriert, ohne in der Bundesstatistik als „angemeldete Prostituierte“ in Erscheinung zu treten. So haben sich beispielsweise in Frankfurt/Main bis Juli 2019 insgesamt 2.804 Sexarbeiter/innen im Gesundheitsamt zwangsberaten lassen und sind damit als Prostituierte erfasst. Doch nur 2.132 von ihnen haben sich am Ende in der Ordnungsbehörde einen Hurenpass ausstellen lassen. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die angebliche Akzeptanz des Prostituiertenschutzgesetzes seitens der Betroffenen.
Auf die bundesweiten Verhältnisse übertragen bedeutet das, dass bereits heute rund 43.000 Sexarbeiter/innen de facto staatlich erfasst sind und ihr informationelles Selbstbestimmungsrecht dadurch mit Füßen getreten wird.
Doch selbst diese hohe Zahl kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Prostituiertenschutzgesetz nicht auf „Schutz“, sondern auf eine staatlicherseits beabsichtigte Reduzierung des Angebots sexueller Dienstleistungen hinausläuft. Die Illegalisierung der Betroffenen wird zu diesem Zweck bewusst in Kauf genommen. Denn die rund 32.800 in den beiden ersten Jahren vollständig angemeldeten Prostituierten machen gerade mal 17 % aller 200.000 Sexarbeiter/innen aus, mit denen die Bundesregierung rechnet.
Und wozu das Ganze? Wie sieht es mit dem Schutz vor so genannter „Zwangsprostitution“ aus? In Karlsruhe hatte man nach 300 Beratungen in Gesundheitsämtern keine einzige „Zwangsprostituierte“ vorzuweisen. In Nürnberg hatte man nach 1.000 Beratungen keine Zwangsprostituierte vorzuweisen. In Hamburg hat man unter 1.700 zwangsregistrierten Sexarbeiter/innen nach Angaben des zuständigen Leiters der örtlichen Behörde gerade einmal „neun Fälle einer Notlage“ erkannt. In Frankfurt/Main, wo bis Juli 2019 insgesamt 2.804 Sexarbeiter/innen zwangsregistriert wurden, geht man nach Angaben eines kürzlich veröffentlichten Magistratsbericht in lediglich zwei Fällen mutmaßlich vom „Vorliegen von Zwangsprostitution“ aus.
Das sind Zahlen zwischen Null und dem Promillebereich. Bei Licht betrachtet lautet das Fazit: Zwangsprostitution – Fehlanzeige!
Rechtfertigt das, eine ganze Berufsgruppe in Geißelhaft zu nehmen und sie im Zuge einer Zwangsregistrierung ihrer grundgesetzlich geschützten Rechte zu berauben? Wohl kaum.
Doch die Bundesregierung und mit ihr die Politiker/innen des herrschenden Parteienkartells sind allesamt zu feige, Fehler einzugestehen und sie zu korrigieren. Sie pflegen ihre Ignoranz auf Kosten der Rechte von Sexarbeiter/innen. Sie beschreiten den einmal eingeschlagenen Weg weiter, als sei er alternativlos. Das aber ist mitnichten der Fall.
Auch das Wiesbadener Bundesamt für Statistik spielt dabei eine unrühmliche Rolle, indem es die Veröffentlichung der Prostitutions-Statistik unnötig hinauszögert, was der längst überfälligen öffentlichen Debatte nicht gerade förderlich ist. Der Hinweis der Behörde, dass „die Verwaltungsstrukturen zum Teil noch im Aufbau seien“, kann zweieinhalb Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes nicht wirklich überzeugen.
Die Landesstatistikämter sind per Bundesverordnung verpflichtet, bis zum 28. Februar eines jeden Jahres die Daten zu Prostitution an das Bundesamt für Statistik weiterzuleiten. Dass diese Daten sowie auch neuere Daten zu 2019 aber schon längst vorliegen, belegen die Antworten diverser Landesregierungen auf parlamentarische Anfragen. Dennoch braucht das Wiesbadener Bundesamt von März bis November 2018, also ganze neun Monate, um die wahrlich überschaubare Zahl von 32 Daten aufzulisten und zu veröffentlichen.
Warum diese schwere Geburt? Das Statistik-Bundesamt ist dem Bundesinnenministerium unterstellt und die Innenminister des Bundes und der Länder waren bekanntlich treibende Kraft und Hauptakteur bei der Verabschiedung des Prostituiertenschutzgesetzes. Wen wundert es da, dass die peinlichen Daten mit großer Zeitverzögerung veröffentlicht werden?
Hinzu kommt: Die Daten zum Stand der Konzessionierung von Prostitutionsstätten für 2018 gleichen mehr einem Schweizer Käse als einer Statistik. Dass dabei Prostitutionsstätten, die eine Zuverlässigkeitsprüfung absolviert und ein bewilligtes Betriebskonzept haben, mit solchen zusammengezählt werden, bei denen das nach § 37 Abs. 4 ProstSchG nicht der Fall ist, trägt mehr zur Verschleierung als zur Aufklärung bei. Es gaukelt eine Durchsetzung und Akzeptanz des Prostituiertenschutzgesetzes vor, die schlicht nicht besteht.
Die wenigen bereits jetzt veröffentlichten Daten dokumentieren, dass die die tatsächliche Praxis der Nichtgenehmigung bzw. Hinauszögerung der Bewilligung von Erlaubnissen auf eine gezielte Zerschlagung der prostitutiven Infrastruktur von Sexarbeit hinausläuft, was der Illegalisierung von Prostituierten weiteren Vorschub leistet.
Angesichts der schleppenden Veröffentlichungspraxis des Bundesamtes für Statistik hat Doña Carmen e.V. mittels eigener Berechnungen aufgrund öffentlich zugänglicher Daten die Zahl der Registrierungen von Sexarbeiter/innen für das Jahr 2019 vorab berechnet und kommt dabei auf eine Zahl von rund 54.000 angemeldeten Prostituierten. (vgl. www.donacarmen.de)
Nach zweieinhalb Jahren Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes wären dies lediglich rund ein Viertel aller hierzulande tätigen Sexarbeiter/innen.
Wie lange soll dieser Irrsinn noch fortgesetzt werden? Offenbar setzt man auf eine blinde Politik des „Weiter so“ bis zur geplanten Evaluierung des Gesetzes im Jahre 2025. Doch schon jetzt wird deutlich: Die Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes ist ein Stück aus dem Tollhaus. Das Gesetz gehört nicht auf den Prüfstand, sondern in die Tonne.
Doña Carmen e.V. fordert die Aussetzung der Umsetzung des unsäglichen Prostituiertenschutzgesetzes und Rechte statt fortgesetzte Repression für Prostituierte.