Ende der Solidarität statt unbürokratische Unterstützung:

Perspektive für Sexarbeiter/innen: Hartz IV!

Wer als Sexarbeiter/in aufgrund der Schließung von Prostitutionsgewerben (Bordell, Club, Wohnungsbordell, Terminwohnung, Escort-Prostitutionsvermittlung) oder in einigen Bundesländern und Städten (Stuttgart, Karlsruhe) im Zusammenhang der Covid-19-Pandemie einem darüber hinausgehenden Verbot der Prostitutionsausübung unterliegt und seinen Lebensunterhalt (Miete, Lebensmittel etc.) für sich und seine Familie nicht mehr bezahlen kann, dürfte in der überwiegenden Zahl der Fälle zukünftig auf die Grundsicherung (Hartz IV) angewiesen sein.

Es ist kaum zu erwarten, dass Sexarbeiter/innen von der groß angepriesenen unbürokratischen Solidarität, sprich: von den nicht rückzahlbaren Bundes-Zuschüssen in Höhe von maximal 9.000 Euro für 3 Monate für Kleinbetriebe bzw. Solo-Selbständige profitieren werden.

Denn diese Zuschüsse sind an eine Voraussetzung gekoppelt, die die meisten Sexarbeiter/innen gar nicht erfüllen: Es geht um den Ausgleich „betrieblicher Liquiditätsengpässe“, nicht aber um den Ausgleich von „Verdienstausfällen“.

 Worin besteht der Unterschied?

Nimmt man die Covid-19-Unterstützungsprogramme der einzelnen Bundesländer genauer unter die Lupe, so hat man nur bei „betrieblichen Liquiditätsengpässen“ Anspruch auf die Unterstützung mit nicht-rückzahlbaren Zuschüssen. Zu den „laufenden Betriebskosten“, die man aufgrund von Umsatzeinbußen nicht mehr begleichen kann, gehören Mieten und Kredite für Betriebsräume, Leasingraten, Zinszahlungen und Versicherungen, Energie- und Instandhaltungskosten sowie in Sachsen-Anhalt auch die Kosten eines „häuslichen Arbeitszimmers“ und „laufende Telefongebühren“.

Aber schon bei der Frage der Personalkosten von Selbständigen fängt die staatliche Missgunst und Knauserei an. In Bundesländern wie Bayern, Rheinland-Pfalz und Sachsen zählen zu den laufenden Betriebskosten lediglich der „erwerbsmäßige Sach- und Finanzaufwand“, nicht aber Personalkosten. So heißt es auf der Webseite von Rheinland-Pfalz: Personalaufwendungen zählen nicht zum Sach- und Finanzaufwand.“ Und in Sachsen ist zu lesen: „Kann man Lohnkosten geltend machen? Lohnkosten, auch die eines Soloselbständigen, können nicht mit in die Berechnungsgrundlage der Soforthilfe einfließen.“

Anders sieht es Schleswig-Holstein: „Es können alle Betriebsausgaben, auch Personalkosten, in Ansatz gebracht werden.“

Doch in der Berechnung zu berücksichtigende Personalkosten setzen in Schleswig-Holstein voraus, dass sie in einer dem Selbständigen zuzuordnenden Betriebsstätte entstehen, ansonsten wären sie als Lebenshaltungskosten nicht zuschussberechtigt:
„Antragsberechtigt sind kleine Unternehmen… sowie Soloselbständige und Angehörige der Freien Berufe, die… ihre Tätigkeit von einer Betriebsstätte in Schleswig-Holstein …aus ausführen“. Erläuternd heißt es dazu: „..Solo-Selbständige und -gewerbetreibende, die keine Betriebsausgaben haben, etwa, weil sie gar keine Betriebsräume, geleaste Maschinen usw. haben… müssen dann auch ALG II beantragen.“

In den Genuss staatlicher Zuschüsse kämen dann bestenfalls Besitzer/innen von SM-Studios, kleinen Wohnungsbordellen oder von Terminwohnungen, während die dort tätigen Sexarbeiter/innen im Falle längerfristig massiver Verdienstausfällte auf Hartz IV verwiesen werden.

Eine politische Frage

Dass man die Frage der Personalkosten auch anders behandeln kann, es sich mithin um eine durch und durch politische Frage handelt, zeigen die Bundesländer NRW, Berlin und Hamburg.

Bis gestern Nachmittag, den 1. April 2020, konnte man in Nordrhein-Westfalen unter dem Link https://www.wirtschaft.nrw/nrw-soforthilfe-2020?fbclid=IwAR noch lesen:

„Soloselbständige im Haupterwerb beziehen ihren Lebensunterhalt aus ihrer selbstständigen Tätigkeit und müssen daher auch ihr eigenes Gehalt erwirtschaften, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Sofern der Finanzierungsengpass beim Soloselbstständigen im Haupterwerb dazu führt, dass er sein regelmäßiges Gehalt nicht mehr erwirtschaften kann, dient die Soforthilfe auch dazu, das eigene Gehalt und somit den Lebensunterhalt zu finanzieren.

Am späten Nachmittag hingegen war ausgerechnet dieser Passus komplett gelöscht und ist auf der NRW-Website nicht mehr auffindbar. Ein übler NRW-Aprilscherz auf Kosten von Corona-geschädigten Soloselbständigen. Das braucht man jetzt eigentlich gar nicht.

Auch die Ausführungen zum Berliner Landes-Soforthilfeprogramm zu Corona enthält einen unmissverständlichen Passus – ähnlich wie bis vor kurzem in NRW. In Berlin heißt es, es sei daran gedacht, dass die nicht-rückzahlbaren Landeszuschüsse in Höhe von max. 5.000 € „in der Regel für Personal- und Betriebskosten verwendet werden. Diese dürfen also für Gehälter von Beschäftigten und Geschäftsführung verwendet werden. Solo-Selbstständige können ihr eigenes Gehalt davon auszahlen.“

Die Antragstellung ist allerdings in Berlin gegenwärtig bis zum 6. April ausgesetzt, weil man die Antragstellung zu den Corona-Landes- und Bundeszuschüssen „synchronisieren“ wolle.

Man kann nur hoffen, dass die geplante Auszahlung von Gehalt an Corona-geschädigte Solo-Selbständige dieser Synchronisierung nicht zum Opfer fällt.

ACHTUNG: Diese Berliner Regelung wurde über Nacht (vom 02.04. auf den 03.04.2020) – wie von uns befürchtet – geändert. Gehälter und Krankenkassenbeiträge von Solo-Selbständigen fallen jetzt nicht mehr unter die Corona-Hilfe! Dank an die Regierenden in Berlin !!

Ganz unbürokratisch – wenn auch auf niedrigstem finanziellen Niveau – scheint die Sache in Hamburg zu laufen, wo es heißt: „Solo-Selbstständige erhalten neben der Förderung zur Deckung des Liquiditätsengpass aus Mitteln des Bundes eine zusätzliche pauschale Förderung in Höhe von 2.500 € zur Kompensation von Umsatz- und Honorarausfällen aus Landesmitteln.“ Erläuternd heißt es dazu in Hamburg: „Solo-Selbständige können die pauschale Grundförderung von 2.500 Euro auch erhalten, wenn Sie keinen Liquiditätsengpass aufgrund von Fixkosten haben. Sie geben hier einfach „0“ ein.“

 Um die Grenze strikt zu ziehen und Solo-Selbständige ohne Betriebsstätte maximal von einmaligen staatlichen Corona-Zuschüssen auszuschließen, erklären andere Bundesländer wie Niedersachsen unmissverständlich: „Lebenshaltungskosten zählen nicht zu den Betriebskosten.“ Folglich wird hier auch nichts erstattet. Auch Hessen ist in dieser Frage klar positioniert: „Wenn Sie Hilfe bei Ihren privaten Lebenshaltungskosten benötigen, müssen Sie Grundsicherung beantragen…. Bitte beachten Sie: Es geht nicht um Ihren Verdienst- oder Einnahmeausfall, sondern um den Liquiditätsengpass – also um laufende Verpflichtungen wie etwa Büromieten oder Leasingraten, die Sie aufgrund der Corona-Pandemie nicht mehr erfüllen können.“ So auch Schleswig-Holstein: „Wenn die Entnahmemöglichkeiten für den Gewerbetreibenden / Selbständigen nicht mehr ausreichen, um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, sei es für private Krankenversicherung, private Miete usw., muss er die sozialen Sicherungssysteme, ALG II, in Anspruch nehmen. Hier kann nichts Anderes gelten, als für Solo-Selbständige und -gewerbetreibende, die keine Betriebsausgaben haben, etwa, weil sie gar keine Betriebsräume, geleaste Maschinen usw. haben. Sie müssen dann auch ALG II beantragen.

Stolpersteine – Hinweise auf mögliche Fallstricke

Niemand, der es versuchen möchte, sollte sich abschrecken lassen, nichtsdestotrotz Ansprüche geltend zu machen. Wer Zuschüsse beantragen will, sollte allerdings auf den offiziellen Webseiten das „Kleingedruckte“ lesen, das die Voraussetzungen für die Beantragung staatlicher Corona-Zuschüsse behandelt.

Da dies in den einzelnen Bundesländern im Detail teilweise recht unterschiedlich gehandhabt wird, soll nachfolgend auf einige Punkte exemplarisch hingewiesen werden, die es zu beachten gilt. Ansonsten bitte die Infos des jeweiligen Bundeslandes genau lesen.

(1) Solo-Selbständigkeit als berufliche Hauptbestätigung

In den Genuss staatlicher Zuschüsse in Höhe von maximal 9.000 € für drei Monate kommen nur diejenigen (Solo-)Selbständigen Sexarbeiter/innen, die ihre selbständige Tätigkeit als Hauptberuf ausüben und dadurch den Hauptteil ihres Einkommens beziehen.

(2) Den „Grund“ für den existenzbedrohlichen Liquiditätsengpass“ angeben

Der alleinige Verweis auf die Corona-Krise und die damit einhergehenden gravierenden Nachfrageausfälle oder massiven Umsatz- bzw. Gewinneinbrüche sind kein ausreichender Grund für eine Förderung. Es muss an dieser Stelle deutlich gemacht werden, dass und warum die laufenden Kosten (in welcher Art und Höhe) jetzt oder in naher Zukunft nicht mehr selbst gedeckt werden können. Es ist anzugeben, inwiefern dies erst ab März 2020 infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie ohne zusätzliche Eigen- oder Fremdmittel nicht mehr geleistet werden kann. Es ist die Höhe der anfallenden Kosten ab 11. März 2020 anzugeben, die infolge der Auswirkungen der Corona-Pandemie ohne zusätzliche Eigen- oder Fremdmittel nicht mehr beglichen werden können. Berechnet auf drei Monate.

(3) Liquiditätsengpass genau beziffern

Die Höhe des Liquiditätsengpasses ist konkret zu beziffern. Anträge mit Angaben wie beispielsweise „noch nicht absehbar“ können nicht bearbeitet und somit nicht berücksichtigt werden. Es ist also nicht ratsam, einfach nur den zuschussfähigen Maximalbetrag zu beantragen, ohne die Eckpunkte des Liquiditätsengpasses im Einzelnen genau anzugeben.

(4) Finanzieller Engpass ausschließlich aufgrund der Corona-Pandemie

Der Engpass, der bis hin zu einer existenzbedrohlichen Lage führt, muss unmittelbar auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sein. Das bedeutet es sollte angegeben werden, inwiefern sich für den Soloselbständigen unter normalen Umständen (ohne Corona-Pandemie und deren Auswirkungen) aufgrund des aktuellen Verpflichtungen kein Liquiditätsengpass ergeben hätte. Liquiditätsengpässe, die vor dem März 2020 entstanden sind, sind nicht förderfähig

(5) Steuernummer, Einkommenssteuerbescheid und Umsatz des vergangenen Jahres  angeben

Der Engpass, der bis hin zu einer existenzbedrohlichen Lage führt, muss dabei unmittelbar auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sein. Das bedeutet, unter normalen Umständen (ohne Corona-Pandemie und deren Auswirkungen) hätte sich aufgrund der aktuellen Verpflichtungen kein Liquiditätsengpass ergeben. Um dies versichern zu können, können beispielsweise Vorjahresumsätze mit aktuellen Umsätzen verglichen und probeweise berechnet werden, ob sich bei gleichen Bedingungen wie im Vorjahr kein Engpass ergeben hätte. Der Umsatz in diesem März könnte z.B. im Vergleich zum Februar oder März 2019 um mindestens die Hälfte eingebrochen sein. Mit der Angabe der Umsätze im vergangenen Jahr bzw. dem letzte Einkommenssteuerbescheid sichert sich die Bank ab, dass sie nicht betrogen wird.

 (6) Vorher Stundung von Steuerzahlung und Steuervorauszahlungen beantragen

 Einige Bundesländer verlangen, dass man vor der Beantragung von Soforthilfen die Stundung fälliger Steuern- bzw. fälliger Steuervorauszahlungen beantragen muss.

 (7) Keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben machen

„Es handelt sich um einen Zuschuss, der nicht zurückbezahlt werden muss, soweit die relevanten Angaben im Antrag richtig und vollständig waren und wahrheitsgemäß gemacht wurden“, heißt es vielfach. Man muss in den Anträgen eidesstattlich erklären, dass die gemachten Angaben der Wahrheit entsprechen.

 Unrichtige oder unvollständige Angaben zu subventionserheblichen Tatsachen können nach § 264 Strafgesetzbuch (StGB) (Subventionsbetrug) strafbar sein, sofern die Angaben für den Antragsteller oder einen anderen vorteilhaft sind. Vielfach heißt es: „Vorsorglich wird darauf hingewiesen, dass eine Beantragung ohne diese Voraussetzung zu erfüllen, Betrug ist. Der Betrugstatbestand sieht eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren vor. Es wird um Verständnis gebeten, dass jeder Fall, der bekannt wird, angezeigt wird und die Soforthilfe zurückzuzahlen ist.“

(8) Im Zweifel Auskunftspflicht gegenüber der Behörde

Der Zuschussempfänger ist verpflichtet, im Bedarfsfall der Bewilligungsbehörde die zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Bearbeitung des Antrags erforderlichen Unterlagen und Informationen zur Verfügung zu stellen. Das Regierungspräsidium Kassel überprüft auf Basis der Antragsunterlagen stichprobenartig und bei Vermutung wahrheitswidriger Angaben die zweckentsprechende Verwendung des Zuschusses. Die Bewilligungsbehörde kann auch Auskünfte bei den Steuerbehörden / Finanzämtern einholen, der Antragssteller erteilt mit seiner Antragsstellung die Einwilligung in die Offenbarung steuerrelevanter Daten (§ 30 Abgabenordnung (AO)).

(9) Technische Details zur Beantragung des Zuschusses

– Vielfach können Soforthilfen nicht beantragt werden, wenn ein Antrag auf Soforthilfen bereits in einem anderen Bundesland beantragt wurde.
– Nur vollständige eingegangene Anträge berücksichtigt werden.
– Es gibt Fristen, bis wann der Antrag gestellt sein muss, vielfach bis spätestens 31. Mai  2020!
– Nur indem der Antragsteller den unterschriebenen Antrag einscannt und zusammen mit dem Ausweisdokument hochlädt, kann seine Identität eindeutig sichergestellt werden. Auf diese Weise ist es möglich, auch im Sinne des Antragsstellers,     eventuellen Betrugs- und Missbrauchsabsichten vorzubeugen. (Dazu benötigt man einen Scanner oder eine App auf dem Computer, Laptop und / oder auf dem Smartphone.)

(10) Und zum Schluss: Versteuerung

Der nicht rückzahlbare Zuschuss muss in der nächsten Steuerklärung als steuerpflichtiges Einkommen angegeben und versteuert werden.

Nachfolgend kommt eine Sammlung wichtiger Hinweise und Links zu den Corona-Soforthilfe-Zuschüssen der Länder und des Bundes:

Links zu Corona-Soforthilfe Land Bund.02.04.20pdf

Doña Carmen hilft. Helfen Sie Doña Carmen!
Spenden an Doña Carmen e.V.:
Frankfurter Sparkasse
IBAN :  DE68 5005 0201 0000 4661 66

BIC:  HELADEF 1822
Doña Carmen e.V. ist als gemeinnützig anerkannt. Spenden sind daher steuerlich absetzbar.