NEIN zur geplanten Meldepflicht für Sexarbeiter/innen in der Prostitution!

14 Thesen von Doña Carmen e.V.

Die CDU/SPD-Bundesregierung plant im Rahmen der beabsichtigten Neuregelung des rechtlichen Umgangs mit Prostitution die Einführung einer Meldepflicht für Prostituierte.

Inzwischen ist längst nicht mehr die Frage, ob eine Meldepflicht für Prostituierte eingeführt wird. Es ist nur noch die Frage, in welcher Form dies geschehen wird:

  • entweder unterliegt jede einzelne Sexarbeiter/in der Meldepflicht und muss sich selbst melden;
  • oder die Sexarbeiter/innen werden über Auflagen im Rahmen der geplanten  Erlaubnispflicht von Prostitutionsstätten durch deren Betreiber/innen zwangsgemeldet.

Vieles spricht dafür, dass die letztere, die Betreiber gestützte, entmündigende Variante als eine Art „Meldepflicht durch die Hintertür“ zum Zuge kommen wird.

Doña Carmen e.V. wendet sich entschieden gegen jede Form der Meldepflicht für Sexarbeiter/innen in der Prostitution. Wir schließen uns den grundsätzlichen Bedenken der Gewerkschaft ver.di an, vorgetragen auf der Anhörung des Bundes-familienministeriums vom 12. Juni 2014. In der ver.di-Stellungnahme heißt es:

„Auch grundsätzliche Erwägungen zum Verhältnis des Staates zu einer stigma-tisierten und in der deutschen Geschichte des Nationalsozialismus gebrandmarkten und verfolgten gesellschaftlichen Gruppe sprechen gegen eine gesonderte Registrierung von Sexarbeiter/innen und Prostituierten.“

Die bloße Tatsache, dass derartige Hinweise wieder nötig erscheinen, wirft die Frage auf, an welchem Punkt der gesellschaftlichen Entwicklung wir heute eigentlich (wieder) stehen.

Doña Carmen e.V. nimmt in seinem Positionspapier „Kontrollmädchen 2.0 – Oder: Wie Sexarbeiterinnen durch die von der Bundesregierung geplante repressive Prostitutions-Gesetzgebung zum Objekt umfassender Überwachung werden“ ausführlich zur Auseinandersetzung um die geplante Meldepflicht für Sex-arbeiter/innen in der Prostitution Stellung. Das Positionspapier wird in Kürze auf der Website www.donacarmen.de veröffentlicht.

Unsere grundsätzliche Ablehnung einer Meldepflicht für Prostituierte fassen wir vorab zusammen in


14 Thesen

(1)
Diskriminierendes berufsgruppenspezifisches Sonderrecht
Eine berufsgruppenspezifische Meldepflicht für Sexarbeiter/innen in der Prostitution ist diskriminierendes Sonderrecht. Keine andere Berufsgruppe wird einer derartigen Sonderüberwachung unterstellt. Diskriminierendes Sonderrecht verbietet sich grund-sätzlich. Es widerspricht rechtlicher Gleichbehandlung.

(2)
Rechtstaatlich bedenklich und verfassungswidrig
Meldepflichten betreffen in der Regel nur Personen, von denen eine Gefahr ausgeht.
Von Sexarbeiter/innen in der Prostitution geht aber nachweislich keine Gefahr für die Gesellschaft aus. Selbst Prostitutionskunden können sich jederzeit schützen, wenn sie es denn wollen. Auch wenn von Sexarbeiter/innen eine Gefahr ausgehen würde, wäre die Einführung einer Meldepflicht für eine gesamte Berufsgruppe rechtstaatlich bedenklich und verfassungswidrig.

(3)
Stigmatisierung als „schutzbedürftige Prostituierte“
Wird eine Meldepflicht für Sexarbeiter/innen in der Prostitution mit der Annahme gerechtfertigt, Prostitutionstätigkeit an sich sei stets und grundsätzlich mit Risiken und Gefahren verbunden, so dient diese Argumentation allein der Verfestigung des Klischees der hilfs- und schutzbedürftigen Frau in der Prostitution. Weder entspricht dieses Bild der Realität, noch haben Sexarbeiter/innen jemals um die Einführung einer Meldepflicht gebeten.

(4)
Meldepflicht für Prostituierte – kein Schutz vor Irgendwem und Irgendwas
Selbst wenn die der Prostitution zugeschriebenen Gefahren existieren würden – warum sollte ausgerechnet eine Meldepflicht vor ihnen schützen? Der Wahrheits-gehalt der Behauptung, eine Meldepflicht schütze vor sexuellen Übergriffen, vor Ausbeutung oder vor dem so genannten „Menschenhandel“ ist genauso hoch zu veranschlagen wie der Wahrheitsgehalt der der Behauptung, Hustenbonbons würden vor Schwangerschaft schützen.

(5)
Meldepflicht für Prostituierte – das Gegenteil von Schutz
Eine Meldepflicht für Sexarbeiter/innen in der Prostitution beraubt die Frauen in Wirklichkeit eines faktisch vorhandenen Schutzes: des Schutzes vor gesell-schaftlicher Diskriminierung durch Anonymität. Sie wird all jene Frauen, die diesen Schutz nicht missen wollen, in die Grauzone der Illegalität drängen und sie für jede Form der Unterstützung schwer erreichbar machen.

(6)
Meldepflicht führt zur Kriminalisierung von Sexarbeiter/innen
Jede Meldepflicht ist sanktionsbewehrt. Wer sie nicht befolgt, begeht eine Ordnungs-widrigkeit. Beharrliches Zuwiderhandeln wird zweifellos eine Kriminalisierung der Betroffenen, wenn nicht ein Tätigkeitsverbot zur Folge haben. Migrantische Sex-arbeiter/innen werden mit Abschiebung bedroht werden. Eine Meldepflicht für Sexarbeiter/innen in der Prostitution wird Anlass für vermehrte und willkürliche Kontrollen werden und die Knäste mit Prostituierten füllen. Die Meldepflicht schützt nicht die Frauen. Sie ist nur ein weiterer vergeblicher Versuch, die Gesellschaft vor Prostitution zu schützen.

(7)
Meldepflicht ohne ersichtlichen Grund
Die Annahme eines „kriminogenen Umfelds“ von Prostitution, die vielfach als Begründung für eine Meldepflicht von Sexarbeiter/innen in der Prostitution herhalten soll, findet immer weniger empirische Bestätigung. Die Kriminalitätsraten einschlägiger Milieudelikte im so genannten „Hellfeld“ sinken auffällig und seit Jahren. Studien zum mutmaßlichen „Dunkelfeld“ von Milieukriminalität existieren gar nicht. Die geplante Meldepflicht für Prostituierte lässt mithin jegliche objektive Begründung vermissen.

(8)
Ausdruck polizeilich-behördlicher Überwachungsbedürfnisse
Eine Meldepflicht für Sexarbeiter/innen in der Prostitution, für die keine hinreichend empirisch belegten objektiven Gründe benannt werden können, ist nichts weiter als Ausdruck polizeilich-behördlicher Überwachungsbedürfnisse. Sie machen Sex-arbeiter/innen zu Objekten und entmündigen sie.

(9)
Abschreckung und Eindämmung
Eine Meldepflicht schützt keine Sexarbeiterin, sie ist direkt gegen die Angehörigen dieser Berufsgruppe gerichtet. Sie soll davon abschrecken, den Beruf der Sexarbeiterin zu ergreifen und lediglich zur „Eindämmung“ von Prostitution beitragen.

(10)
Verstoß gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht
Die behördliche Registrierung von Sexarbeiter/innen zielt auf ein zentrales Register aller im Prostitutionsgewerbe tätigen Frauen. Sie führt nicht nur zum Zwangsouting der einzelnen Sexarbeiterin, sondern zu einem umfassenden Bewegungsprofil und einer behördlichen Total-Registrierung. Sie verstößt gegen das grundgesetzlich geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

(11)
Im Widerspruch zum Recht auf freie Berufsausübung
Eine Meldepflicht für Sexarbeiter/innen in der Prostitution schränkt durch die billigend in Kauf genommene, weitgehende Aufhebung der Anonymität als eines bislang fraglos zugestandenen Schutzes vor gesellschaftlicher Diskriminierung die grund-gesetzlich geschützte freie Berufsausübung von Sexarbeiterinnen in der Prostitution in unverhältnismäßiger Weise ein. Die bekannte Mobiltät unter Sexarbeiter/innen zieht bei jedem Ortswechsel erneute Meldeprozeduren nach sich – eine speziell das Prostitutionsgewerbe treffende massive, bürokratische Einschränkung der Berufs-freiheit. Eine Meldepflicht für Sexarbeiter/innen in der Prostitution steht für jeden erkennbar im Widerspruch zu Art. 3 GG.

(12)
Ungleichbehandlung gegenüber anderen freiberuflichen Tätigkeiten
Gesellschaftlich anerkannte Meldepflichten ergeben sich aus einem sozial-versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Prostitution wird jedoch in aller Regel selbständig und freiberuflich ausgeübt. Eine Meldepflicht freiberuflich Tätiger besteht bestenfalls gegenüber einer berufsständischen Vertretung, in der sie Mitglied sind. Eine generelle staatliche Meldepflicht hingegen entspricht einer diskrimi-nierenden Ungleichbehandlung gegenüber anderen freiberuflich Tätigen.

(13)
Im Widerspruch zu geltendem europäischen Recht
Eine Meldepflicht für Sexarbeiter/innen in der Prostitution widerspricht geltendem europäischem Recht, wie es in Art. 8 (1) der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 formuliert ist: „Die Mitgliedstaaten untersagen die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder philosophische Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie von Daten über Gesundheit oder Sexualleben.“

(14)
Statt Gleichstellung: Rückfall in vergangene Zeiten
Die Meldepflicht für Sexarbeiter/innen in der Prostitution ist ein Rückfall in längst vergangene Zeiten. Sie knüpft an überwunden geglaubte, rechtlich diskriminierende und stigmatisierende Kontrollstrategien an, wie sie im deutschen Kaiserreich und im Nationalsozialismus gegenüber Frauen in der Prostitution praktiziert wurden. Sie ist das genaue Gegenteil einer rechtlichen Gleichstellung von Sexarbeit mit anderen Berufen.