„Prostituiertenschutzgesetz trägt Handschrift der Polizei“

Am 15. März 2018 beteiligte sich Dona Carmen e.V aus Anlass des „Internationalen Tags gegen Polizeigewalt“ an einer Kundgebung an der Frankfurter Hauptwache. Hier der Redebeitrag von Dona Carmen:

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Freunde,

unsere Organisation – der Verein Doña Carmen e.V. – tritt ein für die sozialen und politischen Rechte von Frauen in der Prostitution.

Es dürfte kaum einen anderen Wirtschaftszweig in diesem Land geben, der in so hohem Maße polizeilich überwacht wird, wie das Prostitutionsgewerbe. Ich sage das, weil wir seit dem Jahr 2000 die polizeiliche Überwachung dieses Gewerbes in Form von Razzien dokumentieren. Das Ergebnis:

In den vergangenen 18 Jahren wurden im Zuge von 351 Großrazzien in 1.058 Gemeinden mehr als 9.500 Bordelle und Wohnungen durchsucht. 77.000 eingesetzte Ermittler kontrollierten vor Ort etwa 55.000 Personen, in der Regel Sexarbeiter/innen. Das ist schon stattlich.

Man sollte wissen, dass bei jeder 9. Razzia Spezialkräften der Polizei zum Einsatz kommen: BGS bzw. Bundespolizei, Mobile Einsatzkommandos (MEK), Sondereinsatzkommandos (SEK) sowie in Einzelfällen sogar die Spezialtruppe GSG 9. Das zeigt, dass Rotlicht-Razzien immer auch Übungseinsätze für paramilitärische Verbände sind.

Die Razzien im Prostitutionsgewerbe sind nur die berühmte „Spitze des Eisbergs“. Ständige ‚reguläre’ Routinekontrollen der Polizei sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Durch sie werden nach unseren Berechnungen pro Jahr rund 40.000 Frauen kontrolliert.

Enthüllungen von Wikileaks haben ergeben, dass die amerikanische Regierung sich vom Frankfurter Polizeipräsidenten detailliert über Umfang und Ausmaß der Prostitutionsüberwachung informieren lässt. Das ging aus einem 2011 von Wikileaks veröffentlichten Kabelbericht hervor.

Doña Carmen nahm das zum Anlass, den damaligen Polizeipräsidenten, Dr. Achim Thiel, um Auskunft zu bitten, was es mit diesen Praktiken der Vernetzung deutscher und amerikanischer Polizeibehörden hinsichtlich der Prostitutionsüberwachung auf sich habe.

Herr Thiel schrieb seinerzeit an Doña Carmen:

„Nach meiner Erinnerung trifft es zu, dass ich wohl zur besagten Zeit ein Gespräch mit Angehörigen von US-Polizeibehörden geführt habe, in dem es um die Erfahrungen der deutschen und der US-amerikanischen Polizei bei der Bekämpfung der Rotlichtkriminalität ging. Dabei handelte es sich um einen üblichen Erfahrungsaustausch zur Pflege der internationalen polizeilichen Zusammenarbeit.“
(Schreiben von Dr. Thiel an Doña Carmen, 22.11.2011)

Wir halten sowohl die überdimensionierte, repressive Polizeiüberwachung der Prostitution als auch den „üblichen Erfahrungsaustausch“ mit der US-amerikanischen Polizei für eine einzige Zumutung. Aber all das ist Normalität.

Es scheint den Herrschenden überhaupt nicht zu passen, wenn man ihr Handeln dokumentiert. Das mussten wir im letzten Jahr erfahren. Die bloße Tatsache, dass wir auf der Website von Doña Carmen eine für  jeden einsehbare Statistik der Bordellrazzien führen, war zum Beispiel dem Frankfurter Finanzamt ein Dorn im Auge und ein willkommener Vorwand für den Versuch, uns die Gemeinnützigkeit zu entziehen.

So schrieb die Finanzbehörde im August 2017 an das Hessische Finanzgericht (ich zitiere):

„Der seit dem Jahr 2000 geführte Razzienspiegel und die regelmäßigen Proteste gegen Razzien durch die Polizei … lassen nicht erkennen, dass (Doña Carmen e.V.) ein Verständnis für die Aufgaben der Sicherheitsbehörden hat…“

(Zitat ende)

Eine kritische Haltung gegenüber der Polizei gilt dem Finanzamt offenbar schon als hinreichender Grund, um einem Verein die Gemeinnützigkeit zu entziehen! Das ist bemerkenswert!

Wir haben uns von den Attacken dieser Behörde nicht beeindrucken lassen und dokumentieren auch weiterhin die polizeiliche Überwachung von Sexarbeiter/innen. Wir wenden uns aber nicht nur gegen repressive Kontrollaktivitäten der Polizei vor Ort, sondern auch gegen den strukturellen Einfluss der Polizei auf politische Entscheidungen.

Wie ihr vielleicht mitbekommen habt, regelt seit Juli 2017 hierzulande ein so genanntes „Prostituiertenschutzgesetz“ den Umgang mit Sexarbeit in der Prostitution.

Zentrale Punkte des Gesetzes sind (1) eine medizinische Zwangs-beratung, (2) die Zwangsregistrierung der Frauen, (3) ein damit verbundenes Zwangsouting der Betroffenen, (4) die Einführung eines Hurenpasses, den Sexarbeiter/innen ständig mit sich führen müssen, sowie (5) weitgehende Betretungsrechte der Ordnungsbehörden in Prostitutionsstätten.

Für das Betreten von Prostitutionsstätten braucht man zukünftig keinen Durchsuchungsbeschluss mehr. Da kann die Polizei jederzeit hereinspazieren.

Dazu muss man wissen: Eine Prostitutionsstätte liegt bereits dann vor, wenn nur zwei Frauen in einer Wohnung der Prostitution nachgehen. Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 GG ist damit nicht nur für Sexarbeiter/innen außer Kraft gesetzt. Denn das Betretungsrecht gilt auch dann, wenn nur der Verdacht besteht, dass eine Frau in ihrer Wohnung möglicherweise der Prostitution nachgeht.

Das Kernelement des Prostituiertenschutzgesetzes, die „Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten“, ermöglicht zudem eine umfassende Kontrolle der dort tätigen Frauen. Überwachungsbehörden können bei Bedarf ein nahezu lückenloses Bewegungsprofil von Frauen in der Prostitution erstellen.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das neue Prostituiertenschutzgesetz ist ein lupenreines Polizeigesetz!

So hat man einzelne Elemente des Gesetzes direkt von der Polizei ausarbeiten lassen. Die Rolle von Politiker/innen erschöpfte sich darin, als ausführendes Organ der Polizei diesem Gesetz ein parlamentarisches Mäntelchen umzuhängen. Mit Verlaub, liebe Kolleginnen und Kollegen: Das sind Verhältnisse, die jedem Polizeistaat zur Ehre gereichen!

Wir haben nicht das geringste Problem, unseren Vorwurf detailliert zu belegen und können dabei Ross und Reiter nennen:

(1) Die „Erlaubnispflicht für Prostitutionsgewerbe“ ist ein Konzept des BKA aus dem Jahre 1993. Ulrich Sieber, seinerzeit Professor für Strafrecht an der Uni Würzburg, entwickelte es in der vom BKA finanzierten Auftragsstudie „Logistik der Organisierten Kriminalität“. Erklärtes Ziel war die Einführung neuer Eingriffsbefugnisse des Staates wie etwa die Abkoppelung polizeilicher Ermittlungen vom Erfordernis eines konkreten Tatverdachts.

(2) Die Meldepflicht für Sexarbeiter/innen war eine Idee der Polizeidirektion Hannover, die 1999 eine komplette Gesetzesinitiative zur Prostitutionsreglementierung vorlegte. Kriminaloberrat Schnelker trug sie 2001 bei einer Anhörung im Bundesfamilienministerium vor.

(3) Die Gesundheitsberatung und die Sonderbehandlung von Frauen unter 21 Jahren sind leicht abgewandelte Vorschläge des Augsburger Kriminalbeamten Helmut Sporer aus dem Jahre 2006.

(4) Die im Prostituiertenschutzgesetz verankerten weitgehenden Betretungsrechte der Polizei im Bereich Wohnungsprostitution gehen zurück auf Vorschläge, für die sich Detlef Ubben vom LKA Hamburg stark gemacht hat. Das „Hamburger Abendblatt“ berichtete 2011 mit Verweis auf Herrn Ubben auf eine diesbezügliche Gesetzesinitiative, die maßgeblich in Hamburg entwickelt wurde.

All das verdeutlicht: Das Prostituiertenschutzgesetz trägt von A bis Z die Handschrift der Polizei!

So wundert es natürlich nicht, dass damit elementare Grundrechte für Sexarbeiter/innen außer Kraft gesetzt werden: das Grundrecht auf Berufsfreiheit, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, das Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung sowie der Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung.

Dagegen hat Doña Carmen eine Verfassungsbeschwerde auf den Weg gebracht, die noch in diesem Jahr vom Bundesverfassungs-gericht verhandelt wird.

Eins ist klar: Gegen Polizeigewalt, gegen Entrechtung und Diskriminierung sollte man sich wehren – juristisch, politisch und mit Aktionen wie dieser heute!

Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit!